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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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in welcher man so hochmüthig auf die Zunftrollen herabschaute.
Was vom eigentlichen Handwerk in den Zunftrollen steht, ist
quantitativ nur wenig, aber dies Wenige war ein mahnender
Hinweis auf Reellität der Arbeit. Alles Uebrige ist ein so starker
Zwang zu christlicher Zucht und Sitte wie die eiserne Nothwendig-
keit selbst. Die Zunftrollen sind die Geburtszeugnisse des deut-
schen Bürgerthums und die Beglaubigung seiner christlichen Weihe,
in welcher der Kern und die volle sittliche Kraft des deutschen
Volkes sich entwickelte. Die Zünfte schufen den deutschen Handel
und machten ihn stark und mächtig. Sie hegten und pflegten
die Wissenschaft und Kunst und dachten und schufen zuerst die
fromme christliche Malerei und Musik. Schon lange, ehe Fürsten
und Ritter die Meistersänger begünstigt und dann überdrüssig von
ihnen sich abgewandt hatten, waren es die Zünfte gewesen, welche
den Gesang zum Volkslied umgeschaffen hatten, und als die
Meistersänger mit ihrer entarteten Kunst von den Höfen sich fort-
wenden mußten und zu einem hänkelsängerischen Vagabunden-
leben übergingen: da hatten Gesang und Lied ihre feste heimische
Stätte in den Handwerkersingschulen gefunden, welche sich zum
Theil noch bis in dies Jahrhundert hinein erhalten konnten, weil
sie, wenn auch in zunftmäßiger Abgeschlossenheit gehalten, doch
in frischer Naturpoesie und in einfacher Weise von Freud und
Leid des Lebens sangen. Die Poesie mußte erst in den Städten
Volkspoesie werden, um Begeisterung und zum Ausdruck der
Begeisterung die reine edle deutsche Sprache zu gewinnen. Was
an den Höfen der Großen verdorben war, wurde in den Städten
geläutert und zur wahren gesunden Bildung übergeführt. Wenn
man die Sprache in ihrer würdigsten Gestalt bezeichnen will, so
sollte man sie nicht "Sprache der Bildung", sondern geradezu die
"Sprache der Zünfte" nennen, weil diese die deutsche Sprache
gerettet, erhalten, gepflegt und veredelt haben. Dieser Geist, diese
Sprache der Zünfte gab den sprachrettenden Vereinigungen jene
festgeschlossene, geistesgewaltige Form, in welcher ja der gerechte
Forscher den ganzen bewußten, klaren und mächtigen Volksgeist
erkennen muß, welcher gerade in den von ihm geschaffenen Formen

in welcher man ſo hochmüthig auf die Zunftrollen herabſchaute.
Was vom eigentlichen Handwerk in den Zunftrollen ſteht, iſt
quantitativ nur wenig, aber dies Wenige war ein mahnender
Hinweis auf Reellität der Arbeit. Alles Uebrige iſt ein ſo ſtarker
Zwang zu chriſtlicher Zucht und Sitte wie die eiſerne Nothwendig-
keit ſelbſt. Die Zunftrollen ſind die Geburtszeugniſſe des deut-
ſchen Bürgerthums und die Beglaubigung ſeiner chriſtlichen Weihe,
in welcher der Kern und die volle ſittliche Kraft des deutſchen
Volkes ſich entwickelte. Die Zünfte ſchufen den deutſchen Handel
und machten ihn ſtark und mächtig. Sie hegten und pflegten
die Wiſſenſchaft und Kunſt und dachten und ſchufen zuerſt die
fromme chriſtliche Malerei und Muſik. Schon lange, ehe Fürſten
und Ritter die Meiſterſänger begünſtigt und dann überdrüſſig von
ihnen ſich abgewandt hatten, waren es die Zünfte geweſen, welche
den Geſang zum Volkslied umgeſchaffen hatten, und als die
Meiſterſänger mit ihrer entarteten Kunſt von den Höfen ſich fort-
wenden mußten und zu einem hänkelſängeriſchen Vagabunden-
leben übergingen: da hatten Geſang und Lied ihre feſte heimiſche
Stätte in den Handwerkerſingſchulen gefunden, welche ſich zum
Theil noch bis in dies Jahrhundert hinein erhalten konnten, weil
ſie, wenn auch in zunftmäßiger Abgeſchloſſenheit gehalten, doch
in friſcher Naturpoeſie und in einfacher Weiſe von Freud und
Leid des Lebens ſangen. Die Poeſie mußte erſt in den Städten
Volkspoeſie werden, um Begeiſterung und zum Ausdruck der
Begeiſterung die reine edle deutſche Sprache zu gewinnen. Was
an den Höfen der Großen verdorben war, wurde in den Städten
geläutert und zur wahren geſunden Bildung übergeführt. Wenn
man die Sprache in ihrer würdigſten Geſtalt bezeichnen will, ſo
ſollte man ſie nicht „Sprache der Bildung“, ſondern geradezu die
„Sprache der Zünfte“ nennen, weil dieſe die deutſche Sprache
gerettet, erhalten, gepflegt und veredelt haben. Dieſer Geiſt, dieſe
Sprache der Zünfte gab den ſprachrettenden Vereinigungen jene
feſtgeſchloſſene, geiſtesgewaltige Form, in welcher ja der gerechte
Forſcher den ganzen bewußten, klaren und mächtigen Volksgeiſt
erkennen muß, welcher gerade in den von ihm geſchaffenen Formen

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[117/0151] in welcher man ſo hochmüthig auf die Zunftrollen herabſchaute. Was vom eigentlichen Handwerk in den Zunftrollen ſteht, iſt quantitativ nur wenig, aber dies Wenige war ein mahnender Hinweis auf Reellität der Arbeit. Alles Uebrige iſt ein ſo ſtarker Zwang zu chriſtlicher Zucht und Sitte wie die eiſerne Nothwendig- keit ſelbſt. Die Zunftrollen ſind die Geburtszeugniſſe des deut- ſchen Bürgerthums und die Beglaubigung ſeiner chriſtlichen Weihe, in welcher der Kern und die volle ſittliche Kraft des deutſchen Volkes ſich entwickelte. Die Zünfte ſchufen den deutſchen Handel und machten ihn ſtark und mächtig. Sie hegten und pflegten die Wiſſenſchaft und Kunſt und dachten und ſchufen zuerſt die fromme chriſtliche Malerei und Muſik. Schon lange, ehe Fürſten und Ritter die Meiſterſänger begünſtigt und dann überdrüſſig von ihnen ſich abgewandt hatten, waren es die Zünfte geweſen, welche den Geſang zum Volkslied umgeſchaffen hatten, und als die Meiſterſänger mit ihrer entarteten Kunſt von den Höfen ſich fort- wenden mußten und zu einem hänkelſängeriſchen Vagabunden- leben übergingen: da hatten Geſang und Lied ihre feſte heimiſche Stätte in den Handwerkerſingſchulen gefunden, welche ſich zum Theil noch bis in dies Jahrhundert hinein erhalten konnten, weil ſie, wenn auch in zunftmäßiger Abgeſchloſſenheit gehalten, doch in friſcher Naturpoeſie und in einfacher Weiſe von Freud und Leid des Lebens ſangen. Die Poeſie mußte erſt in den Städten Volkspoeſie werden, um Begeiſterung und zum Ausdruck der Begeiſterung die reine edle deutſche Sprache zu gewinnen. Was an den Höfen der Großen verdorben war, wurde in den Städten geläutert und zur wahren geſunden Bildung übergeführt. Wenn man die Sprache in ihrer würdigſten Geſtalt bezeichnen will, ſo ſollte man ſie nicht „Sprache der Bildung“, ſondern geradezu die „Sprache der Zünfte“ nennen, weil dieſe die deutſche Sprache gerettet, erhalten, gepflegt und veredelt haben. Dieſer Geiſt, dieſe Sprache der Zünfte gab den ſprachrettenden Vereinigungen jene feſtgeſchloſſene, geiſtesgewaltige Form, in welcher ja der gerechte Forſcher den ganzen bewußten, klaren und mächtigen Volksgeiſt erkennen muß, welcher gerade in den von ihm geſchaffenen Formen

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/151>, abgerufen am 29.04.2024.