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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Ausdrücke gaunerische Ausdrücke, welche der Volkssprache zum
Theil gänzlich oder doch nicht in der gaunerischen Bedeutung
bekannt sind. Die Gaunersprache macht aber gerade beim Spiele,
namentlich in den Glücksbuden, von ihrem geheimen Absolutis-
mus eine ganz eigenthümliche Digression zu einer besondern Po-
pularität hin. Sie macht sich mit ihren Opfern so populär wie
die spielende Katze mit der Maus, und ihre Art und Weise
erscheint nur dem Kenner nicht arg- und gefahrlos. Bei allem
bittern Hohn, allem frechen Spott, aller frivolen Frechheit der
Gaunersprache, welche ihr charakteristisches Kriterium. ist, findet
sich wie eine Jncarnation in der Sprache der Glücksbüdner ein
ganz merkwürdiges Eingehen auf die eigenthümliche abergläubische
Spieldogmatik des Volkes, welche vor Jahrhunderten vom Gauner-
thum selbst künstlich geschaffen und immer weiter gefördert worden
ist, bis denn diese Dogmatik so fest im Volke zu haften an-
gefangen hat, daß die stets unverkümmert fortwuchernde und neuer-
dings wesentlich durch schlimme buchhändlerische Speculation ge-
tragene Traumdeute- und Wahrsagekunst-Literatur seit Jahrhun-
derten her so reich und eigenthümlich im Volke selbst dasteht, als
ob sie wie eine echte Volksliteratur naturwüchsig mitten aus
dem Volke und seinem geistigen Bedürfniß herausgedrungen wäre.
Für dieses Spiel mit dem Volke in jeder Bedeutung des Worts
hat das Gaunerthum nicht nur eine sprachliche, sondern auch
eine persönliche Jncarnation in der Erscheinung und Sprache
der Fallmacher, von deren Treiben schon besonders Th. II,
S. 283 fg. und 292 fg. die Rede gewesen ist. Jn genauer
Kenntniß der seit Jahrhunderten von ihnen geschaffenen und ge-
förderten Schwäche des Volkes erscheinen die Fallmacher bei ihrer
künstlichen Verführung desselben gerade am arglosesten und natür-
lichsten, wenn sie in ihrer Berührung mit dem Volke dieses eine
Sprache sprechen lassen, welche sie selbst doch erfunden und heim-
lich in dasselbe hineingestreut haben, während sie selbst ihre ge-
heimen technischen Wörter, Zeichen und Manipulationen im tief-
sten Geheimniß vor dem Volke bewahren. So erscheint die Fall-
machersprache theils als eine absolut geheime, vollkommen gau-

Ausdrücke gauneriſche Ausdrücke, welche der Volksſprache zum
Theil gänzlich oder doch nicht in der gauneriſchen Bedeutung
bekannt ſind. Die Gaunerſprache macht aber gerade beim Spiele,
namentlich in den Glücksbuden, von ihrem geheimen Abſolutis-
mus eine ganz eigenthümliche Digreſſion zu einer beſondern Po-
pularität hin. Sie macht ſich mit ihren Opfern ſo populär wie
die ſpielende Katze mit der Maus, und ihre Art und Weiſe
erſcheint nur dem Kenner nicht arg- und gefahrlos. Bei allem
bittern Hohn, allem frechen Spott, aller frivolen Frechheit der
Gaunerſprache, welche ihr charakteriſtiſches Kriterium. iſt, findet
ſich wie eine Jncarnation in der Sprache der Glücksbüdner ein
ganz merkwürdiges Eingehen auf die eigenthümliche abergläubiſche
Spieldogmatik des Volkes, welche vor Jahrhunderten vom Gauner-
thum ſelbſt künſtlich geſchaffen und immer weiter gefördert worden
iſt, bis denn dieſe Dogmatik ſo feſt im Volke zu haften an-
gefangen hat, daß die ſtets unverkümmert fortwuchernde und neuer-
dings weſentlich durch ſchlimme buchhändleriſche Speculation ge-
tragene Traumdeute- und Wahrſagekunſt-Literatur ſeit Jahrhun-
derten her ſo reich und eigenthümlich im Volke ſelbſt daſteht, als
ob ſie wie eine echte Volksliteratur naturwüchſig mitten aus
dem Volke und ſeinem geiſtigen Bedürfniß herausgedrungen wäre.
Für dieſes Spiel mit dem Volke in jeder Bedeutung des Worts
hat das Gaunerthum nicht nur eine ſprachliche, ſondern auch
eine perſönliche Jncarnation in der Erſcheinung und Sprache
der Fallmacher, von deren Treiben ſchon beſonders Th. II,
S. 283 fg. und 292 fg. die Rede geweſen iſt. Jn genauer
Kenntniß der ſeit Jahrhunderten von ihnen geſchaffenen und ge-
förderten Schwäche des Volkes erſcheinen die Fallmacher bei ihrer
künſtlichen Verführung deſſelben gerade am argloſeſten und natür-
lichſten, wenn ſie in ihrer Berührung mit dem Volke dieſes eine
Sprache ſprechen laſſen, welche ſie ſelbſt doch erfunden und heim-
lich in daſſelbe hineingeſtreut haben, während ſie ſelbſt ihre ge-
heimen techniſchen Wörter, Zeichen und Manipulationen im tief-
ſten Geheimniß vor dem Volke bewahren. So erſcheint die Fall-
macherſprache theils als eine abſolut geheime, vollkommen gau-

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[139/0173] Ausdrücke gauneriſche Ausdrücke, welche der Volksſprache zum Theil gänzlich oder doch nicht in der gauneriſchen Bedeutung bekannt ſind. Die Gaunerſprache macht aber gerade beim Spiele, namentlich in den Glücksbuden, von ihrem geheimen Abſolutis- mus eine ganz eigenthümliche Digreſſion zu einer beſondern Po- pularität hin. Sie macht ſich mit ihren Opfern ſo populär wie die ſpielende Katze mit der Maus, und ihre Art und Weiſe erſcheint nur dem Kenner nicht arg- und gefahrlos. Bei allem bittern Hohn, allem frechen Spott, aller frivolen Frechheit der Gaunerſprache, welche ihr charakteriſtiſches Kriterium. iſt, findet ſich wie eine Jncarnation in der Sprache der Glücksbüdner ein ganz merkwürdiges Eingehen auf die eigenthümliche abergläubiſche Spieldogmatik des Volkes, welche vor Jahrhunderten vom Gauner- thum ſelbſt künſtlich geſchaffen und immer weiter gefördert worden iſt, bis denn dieſe Dogmatik ſo feſt im Volke zu haften an- gefangen hat, daß die ſtets unverkümmert fortwuchernde und neuer- dings weſentlich durch ſchlimme buchhändleriſche Speculation ge- tragene Traumdeute- und Wahrſagekunſt-Literatur ſeit Jahrhun- derten her ſo reich und eigenthümlich im Volke ſelbſt daſteht, als ob ſie wie eine echte Volksliteratur naturwüchſig mitten aus dem Volke und ſeinem geiſtigen Bedürfniß herausgedrungen wäre. Für dieſes Spiel mit dem Volke in jeder Bedeutung des Worts hat das Gaunerthum nicht nur eine ſprachliche, ſondern auch eine perſönliche Jncarnation in der Erſcheinung und Sprache der Fallmacher, von deren Treiben ſchon beſonders Th. II, S. 283 fg. und 292 fg. die Rede geweſen iſt. Jn genauer Kenntniß der ſeit Jahrhunderten von ihnen geſchaffenen und ge- förderten Schwäche des Volkes erſcheinen die Fallmacher bei ihrer künſtlichen Verführung deſſelben gerade am argloſeſten und natür- lichſten, wenn ſie in ihrer Berührung mit dem Volke dieſes eine Sprache ſprechen laſſen, welche ſie ſelbſt doch erfunden und heim- lich in daſſelbe hineingeſtreut haben, während ſie ſelbſt ihre ge- heimen techniſchen Wörter, Zeichen und Manipulationen im tief- ſten Geheimniß vor dem Volke bewahren. So erſcheint die Fall- macherſprache theils als eine abſolut geheime, vollkommen gau-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/173>, abgerufen am 28.04.2024.