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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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masculorum cum nervo definirt. Charakteristisch tritt daselbst
die Bedeutung Pesel-Borg, verschnittener Eber, gegen Suw-
Borg,
verschnittene Sau, sowie das dem hochdeutschen Ochsen-
fisel entsprechende Bullenpesel, daselbst S. 27 (proprie geni-
talia tauri, quae, perinde ac balaenarum
-- der männliche
Walfisch wird bekanntlich von den Walfischjägern ebenfalls Bulle
genannt -- verberibus infligendis valde sunt idonea. Gallice:
nerf de boeuf
) hervor. Fiseln und nd. peseln, eng. to feaze, to
feazle
, ist mit der Ruthe schlagen. Als Jntensivform dafür ist
fizen (besonders in der Schweiz neben fiseln, fieseln, füseln)
gebräuchlich. Fisel und Pesel wird im Femininum ausschließlich
nur als Schimpfwort für ein schmuziges Frauenzimmer, besonders
für ein altes schmuziges Weib gebraucht. Volksthümlich sind die
Bezeichnungen Pechfisel, Schuster; Flachsfisel, flachshaariger,
flachsbärtiger junger Mensch, filziger Mensch, Pinsel; Herr-
gottsfisel,
ein Andächtler; Mädchenfisel, ein Mensch, der gern
hinter Mädchen herläuft; Knackfisel, ein Mensch, der eine laute,
knackende Stimme hat; Nötfisel, ein geiziger, filziger Mensch.
Vgl. Schmeller, I, 571; Schmid, S. 143. Das Niederdeutsche
hat Fisel in Fister umgewandelt und hat noch fiseln, fisseln
in starkem Gebrauch für das dünne feine Fallen von Schnee und
Eisregen. Die übrigen Spielarten sehe man bei Schwenck, S. 180.
Adelung und Heinsius haben Fisel nicht aufgeführt.

Jn prägnanter Weise und mit voller Rücksicht auf die ur-
sprüngliche Bedeutung gebraucht die Gaunersprache das Wort
Fisel oder Fiesel für das gaunerische Jndividuum selbst. Jn
der Beschränkung dieser Bedeutung auf das männliche Geschlecht
hat es die volle Bedeutung der Chochem oder Chessen. Bei
dem mit vielen andern Gaunerausdrücken getheilten Schicksal,
der Aufmerksamkeit der Linguisten und Behörden fast vollständig
entgangen zu sein1), scheint es sogar topisch gebunden und we-

1) Nur Thiele, a. a. O., erwähnt in seinem Wörterbuche, S. 250,
sehr entfernt und einseitig Fiesel als Aufseher, Schließer, Polizei-
diener,
ohne Kenntniß der wahren Bedeutung dieses determinirten Gauner-
ausdrucks zu verrathen.

masculorum cum nervo definirt. Charakteriſtiſch tritt daſelbſt
die Bedeutung Peſel-Borg, verſchnittener Eber, gegen Suw-
Borg,
verſchnittene Sau, ſowie das dem hochdeutſchen Ochſen-
fiſel entſprechende Bullenpeſel, daſelbſt S. 27 (proprie geni-
talia tauri, quae, perinde ac balaenarum
— der männliche
Walfiſch wird bekanntlich von den Walfiſchjägern ebenfalls Bulle
genannt — verberibus infligendis valde sunt idonea. Gallice:
nerf de boeuf
) hervor. Fiſeln und nd. peſeln, eng. to feaze, to
feazle
, iſt mit der Ruthe ſchlagen. Als Jntenſivform dafür iſt
fizen (beſonders in der Schweiz neben fiſeln, fieſeln, füſeln)
gebräuchlich. Fiſel und Peſel wird im Femininum ausſchließlich
nur als Schimpfwort für ein ſchmuziges Frauenzimmer, beſonders
für ein altes ſchmuziges Weib gebraucht. Volksthümlich ſind die
Bezeichnungen Pechfiſel, Schuſter; Flachsfiſel, flachshaariger,
flachsbärtiger junger Menſch, filziger Menſch, Pinſel; Herr-
gottsfiſel,
ein Andächtler; Mädchenfiſel, ein Menſch, der gern
hinter Mädchen herläuft; Knackfiſel, ein Menſch, der eine laute,
knackende Stimme hat; Nötfiſel, ein geiziger, filziger Menſch.
Vgl. Schmeller, I, 571; Schmid, S. 143. Das Niederdeutſche
hat Fiſel in Fiſter umgewandelt und hat noch fiſeln, fiſſeln
in ſtarkem Gebrauch für das dünne feine Fallen von Schnee und
Eisregen. Die übrigen Spielarten ſehe man bei Schwenck, S. 180.
Adelung und Heinſius haben Fiſel nicht aufgeführt.

Jn prägnanter Weiſe und mit voller Rückſicht auf die ur-
ſprüngliche Bedeutung gebraucht die Gaunerſprache das Wort
Fiſel oder Fieſel für das gauneriſche Jndividuum ſelbſt. Jn
der Beſchränkung dieſer Bedeutung auf das männliche Geſchlecht
hat es die volle Bedeutung der Chochem oder Cheſſen. Bei
dem mit vielen andern Gaunerausdrücken getheilten Schickſal,
der Aufmerkſamkeit der Linguiſten und Behörden faſt vollſtändig
entgangen zu ſein1), ſcheint es ſogar topiſch gebunden und we-

1) Nur Thiele, a. a. O., erwähnt in ſeinem Wörterbuche, S. 250,
ſehr entfernt und einſeitig Fieſel als Aufſeher, Schließer, Polizei-
diener,
ohne Kenntniß der wahren Bedeutung dieſes determinirten Gauner-
ausdrucks zu verrathen.
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[143/0177] masculorum cum nervo definirt. Charakteriſtiſch tritt daſelbſt die Bedeutung Peſel-Borg, verſchnittener Eber, gegen Suw- Borg, verſchnittene Sau, ſowie das dem hochdeutſchen Ochſen- fiſel entſprechende Bullenpeſel, daſelbſt S. 27 (proprie geni- talia tauri, quae, perinde ac balaenarum — der männliche Walfiſch wird bekanntlich von den Walfiſchjägern ebenfalls Bulle genannt — verberibus infligendis valde sunt idonea. Gallice: nerf de boeuf) hervor. Fiſeln und nd. peſeln, eng. to feaze, to feazle, iſt mit der Ruthe ſchlagen. Als Jntenſivform dafür iſt fizen (beſonders in der Schweiz neben fiſeln, fieſeln, füſeln) gebräuchlich. Fiſel und Peſel wird im Femininum ausſchließlich nur als Schimpfwort für ein ſchmuziges Frauenzimmer, beſonders für ein altes ſchmuziges Weib gebraucht. Volksthümlich ſind die Bezeichnungen Pechfiſel, Schuſter; Flachsfiſel, flachshaariger, flachsbärtiger junger Menſch, filziger Menſch, Pinſel; Herr- gottsfiſel, ein Andächtler; Mädchenfiſel, ein Menſch, der gern hinter Mädchen herläuft; Knackfiſel, ein Menſch, der eine laute, knackende Stimme hat; Nötfiſel, ein geiziger, filziger Menſch. Vgl. Schmeller, I, 571; Schmid, S. 143. Das Niederdeutſche hat Fiſel in Fiſter umgewandelt und hat noch fiſeln, fiſſeln in ſtarkem Gebrauch für das dünne feine Fallen von Schnee und Eisregen. Die übrigen Spielarten ſehe man bei Schwenck, S. 180. Adelung und Heinſius haben Fiſel nicht aufgeführt. Jn prägnanter Weiſe und mit voller Rückſicht auf die ur- ſprüngliche Bedeutung gebraucht die Gaunerſprache das Wort Fiſel oder Fieſel für das gauneriſche Jndividuum ſelbſt. Jn der Beſchränkung dieſer Bedeutung auf das männliche Geſchlecht hat es die volle Bedeutung der Chochem oder Cheſſen. Bei dem mit vielen andern Gaunerausdrücken getheilten Schickſal, der Aufmerkſamkeit der Linguiſten und Behörden faſt vollſtändig entgangen zu ſein 1), ſcheint es ſogar topiſch gebunden und we- 1) Nur Thiele, a. a. O., erwähnt in ſeinem Wörterbuche, S. 250, ſehr entfernt und einſeitig Fieſel als Aufſeher, Schließer, Polizei- diener, ohne Kenntniß der wahren Bedeutung dieſes determinirten Gauner- ausdrucks zu verrathen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/177>, abgerufen am 29.04.2024.