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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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anfällen kommen bei ihnen vor. Als Scheingeschäft gehen viele
von ihnen auf den Profit, d. h. sie sammeln Lumpen und Kno-
chen, und treten auch hier ganz eigenthümlich in der äußern Er-
scheinung auf als "Haderlumpsammler", unter denen vorzüglich
die Haderlumpweiber mit der "Gugl", jenem weit um Kopf und
Hals geschlungenen großen Tuche, wie sie sonst nur vom niedrig-
sten Landvolk getragen zu werden pflegt, höchst charakteristisch sich
kennzeichnen und welche Banlstierer (von Banl, Beinl, Bein-
lein, Knochen, und stieren, stüren, scharren, hervorscharren; vgl.
Schmeller, III, 656), Knochenscharrer genannt werden.

Schon aus den geistvollen Skizzen des wiener Volkslebens
von Sylvester Wagner1) sieht man, wie das Gaunerthum aus
den untersten Schichten des bunten Volkshaufens hervordringt,
immer zu ihnen zurückkehrt und in ihnen lebt und webt. Das
Volksleben einer großen belebten Stadt läßt auf dem Grunde
seiner bunten Totalität die verbrecherischen Figuren im grellen
Lichte auch für den hervortreten, welcher in der Unterscheidung der
dem Verbrechen eigenthümlichen Farbentöne nur noch geringere
Uebung hat. Eine sehr zu wünschende tiefer eingreifende Dar-
stellung, welche besonders in Wien sowol des stark gemischten
Volkslebens als auch der dortigen geistigen Befähigung der Po-
lizei wegen leicht erreicht werden kann, müßte ein Panorama
des Gaunerthums geben, welches die ganze riesige Erscheinung
desselben in ungeheuern Zügen und mit treffender Analogie fixiren
würde. Schon die wiener Fisel- oder Wiesenersprache an und
für sich als Verdichtung des Geistes der verbrecherischen Ele-
mente in Wien ist ein so absolut gaunerisches Ganzes, daß sie
nicht nur als Typus der gesammten deutschen Gaunersprache gel-
ten kann, sondern auch als die am mächtigsten fließende Quelle
anzusehen ist, aus welcher immer neue Sprachzuflüsse in die deut-
sche Gaunersprache hineinströmen und welche durch ihre starke

1) S. a. a. O. vorzüglich S. 63 fg., S. 219 fg., S. 309 fg. Die vielen
gut gezeichneten und colorirten Bilderbeilagen machen die Anschauung so lebendig,
daß man das Buch zu den besten seiner Art zählen darf.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 10

anfällen kommen bei ihnen vor. Als Scheingeſchäft gehen viele
von ihnen auf den Profit, d. h. ſie ſammeln Lumpen und Kno-
chen, und treten auch hier ganz eigenthümlich in der äußern Er-
ſcheinung auf als „Haderlumpſammler“, unter denen vorzüglich
die Haderlumpweiber mit der „Gugl“, jenem weit um Kopf und
Hals geſchlungenen großen Tuche, wie ſie ſonſt nur vom niedrig-
ſten Landvolk getragen zu werden pflegt, höchſt charakteriſtiſch ſich
kennzeichnen und welche Banlſtierer (von Banl, Beinl, Bein-
lein, Knochen, und ſtieren, ſtüren, ſcharren, hervorſcharren; vgl.
Schmeller, III, 656), Knochenſcharrer genannt werden.

Schon aus den geiſtvollen Skizzen des wiener Volkslebens
von Sylveſter Wagner1) ſieht man, wie das Gaunerthum aus
den unterſten Schichten des bunten Volkshaufens hervordringt,
immer zu ihnen zurückkehrt und in ihnen lebt und webt. Das
Volksleben einer großen belebten Stadt läßt auf dem Grunde
ſeiner bunten Totalität die verbrecheriſchen Figuren im grellen
Lichte auch für den hervortreten, welcher in der Unterſcheidung der
dem Verbrechen eigenthümlichen Farbentöne nur noch geringere
Uebung hat. Eine ſehr zu wünſchende tiefer eingreifende Dar-
ſtellung, welche beſonders in Wien ſowol des ſtark gemiſchten
Volkslebens als auch der dortigen geiſtigen Befähigung der Po-
lizei wegen leicht erreicht werden kann, müßte ein Panorama
des Gaunerthums geben, welches die ganze rieſige Erſcheinung
deſſelben in ungeheuern Zügen und mit treffender Analogie fixiren
würde. Schon die wiener Fiſel- oder Wieſenerſprache an und
für ſich als Verdichtung des Geiſtes der verbrecheriſchen Ele-
mente in Wien iſt ein ſo abſolut gauneriſches Ganzes, daß ſie
nicht nur als Typus der geſammten deutſchen Gaunerſprache gel-
ten kann, ſondern auch als die am mächtigſten fließende Quelle
anzuſehen iſt, aus welcher immer neue Sprachzuflüſſe in die deut-
ſche Gaunerſprache hineinſtrömen und welche durch ihre ſtarke

1) S. a. a. O. vorzüglich S. 63 fg., S. 219 fg., S. 309 fg. Die vielen
gut gezeichneten und colorirten Bilderbeilagen machen die Anſchauung ſo lebendig,
daß man das Buch zu den beſten ſeiner Art zählen darf.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 10
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[145/0179] anfällen kommen bei ihnen vor. Als Scheingeſchäft gehen viele von ihnen auf den Profit, d. h. ſie ſammeln Lumpen und Kno- chen, und treten auch hier ganz eigenthümlich in der äußern Er- ſcheinung auf als „Haderlumpſammler“, unter denen vorzüglich die Haderlumpweiber mit der „Gugl“, jenem weit um Kopf und Hals geſchlungenen großen Tuche, wie ſie ſonſt nur vom niedrig- ſten Landvolk getragen zu werden pflegt, höchſt charakteriſtiſch ſich kennzeichnen und welche Banlſtierer (von Banl, Beinl, Bein- lein, Knochen, und ſtieren, ſtüren, ſcharren, hervorſcharren; vgl. Schmeller, III, 656), Knochenſcharrer genannt werden. Schon aus den geiſtvollen Skizzen des wiener Volkslebens von Sylveſter Wagner 1) ſieht man, wie das Gaunerthum aus den unterſten Schichten des bunten Volkshaufens hervordringt, immer zu ihnen zurückkehrt und in ihnen lebt und webt. Das Volksleben einer großen belebten Stadt läßt auf dem Grunde ſeiner bunten Totalität die verbrecheriſchen Figuren im grellen Lichte auch für den hervortreten, welcher in der Unterſcheidung der dem Verbrechen eigenthümlichen Farbentöne nur noch geringere Uebung hat. Eine ſehr zu wünſchende tiefer eingreifende Dar- ſtellung, welche beſonders in Wien ſowol des ſtark gemiſchten Volkslebens als auch der dortigen geiſtigen Befähigung der Po- lizei wegen leicht erreicht werden kann, müßte ein Panorama des Gaunerthums geben, welches die ganze rieſige Erſcheinung deſſelben in ungeheuern Zügen und mit treffender Analogie fixiren würde. Schon die wiener Fiſel- oder Wieſenerſprache an und für ſich als Verdichtung des Geiſtes der verbrecheriſchen Ele- mente in Wien iſt ein ſo abſolut gauneriſches Ganzes, daß ſie nicht nur als Typus der geſammten deutſchen Gaunerſprache gel- ten kann, ſondern auch als die am mächtigſten fließende Quelle anzuſehen iſt, aus welcher immer neue Sprachzuflüſſe in die deut- ſche Gaunerſprache hineinſtrömen und welche durch ihre ſtarke 1) S. a. a. O. vorzüglich S. 63 fg., S. 219 fg., S. 309 fg. Die vielen gut gezeichneten und colorirten Bilderbeilagen machen die Anſchauung ſo lebendig, daß man das Buch zu den beſten ſeiner Art zählen darf. Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 10

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/179>, abgerufen am 29.04.2024.