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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Volkes, welches trotz der absolutesten Verleugnung, trotz der un-
menschlichsten Verfolgung mit wunderbarer innerer Kraft festhielt
an diesem Leben. Mit welchen Mühen und Opfern diese Literatur
von den Juden gefördert wurde, das zeigt neben den vielen, mit
wahrer Pracht gedruckten Werken auch wieder manches andere
auf dem elendesten grauen Papier, mit abgenutzten, oft aus weiter
Ferne entliehenen Lettern, deren Druck nur mit Mühe gelesen
werden kann. So wurden in diese wunderliche lebendige Volks-
sprachform auch die Bücher der Heiligen Schrift und der bedeu-
tendsten Lehrer und Weisen übertragen und mit jeder Uebertragung
die Anerkennung und das tiefgewurzelte Bedürfniß deutschen Lebens
der Juden auf deutschem Boden ausgesprochen. Und dies wun-
derbar reiche geistige Streben, Ringen, Wirken und Schaffen
blieb Jahrhunderte lang unerkannt, unbeachtet! Kein deutscher
Culturhistoriker, kein Linguist, kein Socialpolitiker nahm irgend-
welche Notiz davon!

Sobald der Verfasser in der deutschen Volkssprache die Grund-
lage für seine Forschungen erkannt hatte, mußte er auch das bis
dahin grammatisch völlig unbearbeitete Judendeutsch näher durch-
forschen, soweit seine Kräfte dazu ausreichten. Seine Unter-
suchungen mußten ganz aus seiner subjectiven Auffassung hervor-
gehen. Er scheut es nicht, damit hervorzutreten. Ein neues
unbebautes Feld öffnet sich und bietet der weitern Forschung
viel Jnteressantes und Wichtiges. Aus der grammatischen Dar-
stellung selbst wird man die Nothwendigkeit begreifen, daß zur
vollständigen Erläuterung des Ganzen alle die mehr oder minder
ähnlichen Zusammenschiebungen, Transpositionen und Spielereien
vieler Sprachen, besonders der deutschen, sogar bis in die kab-
balistischen und christlich-zaubermystischen Formeln hinein, andeu-
tungsweise berührt und über die treubewahrten jüdischen Eigen-
thümlichkeiten in Diction, Schrift, Zeitrechnung, Poesie und Prosa
u. s. w. Nachweise und Auskunft gegeben werden mußten. Bei

Volkes, welches trotz der abſoluteſten Verleugnung, trotz der un-
menſchlichſten Verfolgung mit wunderbarer innerer Kraft feſthielt
an dieſem Leben. Mit welchen Mühen und Opfern dieſe Literatur
von den Juden gefördert wurde, das zeigt neben den vielen, mit
wahrer Pracht gedruckten Werken auch wieder manches andere
auf dem elendeſten grauen Papier, mit abgenutzten, oft aus weiter
Ferne entliehenen Lettern, deren Druck nur mit Mühe geleſen
werden kann. So wurden in dieſe wunderliche lebendige Volks-
ſprachform auch die Bücher der Heiligen Schrift und der bedeu-
tendſten Lehrer und Weiſen übertragen und mit jeder Uebertragung
die Anerkennung und das tiefgewurzelte Bedürfniß deutſchen Lebens
der Juden auf deutſchem Boden ausgeſprochen. Und dies wun-
derbar reiche geiſtige Streben, Ringen, Wirken und Schaffen
blieb Jahrhunderte lang unerkannt, unbeachtet! Kein deutſcher
Culturhiſtoriker, kein Linguiſt, kein Socialpolitiker nahm irgend-
welche Notiz davon!

Sobald der Verfaſſer in der deutſchen Volksſprache die Grund-
lage für ſeine Forſchungen erkannt hatte, mußte er auch das bis
dahin grammatiſch völlig unbearbeitete Judendeutſch näher durch-
forſchen, ſoweit ſeine Kräfte dazu ausreichten. Seine Unter-
ſuchungen mußten ganz aus ſeiner ſubjectiven Auffaſſung hervor-
gehen. Er ſcheut es nicht, damit hervorzutreten. Ein neues
unbebautes Feld öffnet ſich und bietet der weitern Forſchung
viel Jntereſſantes und Wichtiges. Aus der grammatiſchen Dar-
ſtellung ſelbſt wird man die Nothwendigkeit begreifen, daß zur
vollſtändigen Erläuterung des Ganzen alle die mehr oder minder
ähnlichen Zuſammenſchiebungen, Transpoſitionen und Spielereien
vieler Sprachen, beſonders der deutſchen, ſogar bis in die kab-
baliſtiſchen und chriſtlich-zaubermyſtiſchen Formeln hinein, andeu-
tungsweiſe berührt und über die treubewahrten jüdiſchen Eigen-
thümlichkeiten in Diction, Schrift, Zeitrechnung, Poeſie und Proſa
u. ſ. w. Nachweiſe und Auskunft gegeben werden mußten. Bei

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[XIV/0018] Volkes, welches trotz der abſoluteſten Verleugnung, trotz der un- menſchlichſten Verfolgung mit wunderbarer innerer Kraft feſthielt an dieſem Leben. Mit welchen Mühen und Opfern dieſe Literatur von den Juden gefördert wurde, das zeigt neben den vielen, mit wahrer Pracht gedruckten Werken auch wieder manches andere auf dem elendeſten grauen Papier, mit abgenutzten, oft aus weiter Ferne entliehenen Lettern, deren Druck nur mit Mühe geleſen werden kann. So wurden in dieſe wunderliche lebendige Volks- ſprachform auch die Bücher der Heiligen Schrift und der bedeu- tendſten Lehrer und Weiſen übertragen und mit jeder Uebertragung die Anerkennung und das tiefgewurzelte Bedürfniß deutſchen Lebens der Juden auf deutſchem Boden ausgeſprochen. Und dies wun- derbar reiche geiſtige Streben, Ringen, Wirken und Schaffen blieb Jahrhunderte lang unerkannt, unbeachtet! Kein deutſcher Culturhiſtoriker, kein Linguiſt, kein Socialpolitiker nahm irgend- welche Notiz davon! Sobald der Verfaſſer in der deutſchen Volksſprache die Grund- lage für ſeine Forſchungen erkannt hatte, mußte er auch das bis dahin grammatiſch völlig unbearbeitete Judendeutſch näher durch- forſchen, ſoweit ſeine Kräfte dazu ausreichten. Seine Unter- ſuchungen mußten ganz aus ſeiner ſubjectiven Auffaſſung hervor- gehen. Er ſcheut es nicht, damit hervorzutreten. Ein neues unbebautes Feld öffnet ſich und bietet der weitern Forſchung viel Jntereſſantes und Wichtiges. Aus der grammatiſchen Dar- ſtellung ſelbſt wird man die Nothwendigkeit begreifen, daß zur vollſtändigen Erläuterung des Ganzen alle die mehr oder minder ähnlichen Zuſammenſchiebungen, Transpoſitionen und Spielereien vieler Sprachen, beſonders der deutſchen, ſogar bis in die kab- baliſtiſchen und chriſtlich-zaubermyſtiſchen Formeln hinein, andeu- tungsweiſe berührt und über die treubewahrten jüdiſchen Eigen- thümlichkeiten in Diction, Schrift, Zeitrechnung, Poeſie und Proſa u. ſ. w. Nachweiſe und Auskunft gegeben werden mußten. Bei

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/18>, abgerufen am 27.04.2024.