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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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schenblute am entsetzlichsten zu waten begann und den Scharfrich-
tern eine ungeheuere handwerksmäßige Praxis zuwies, aus wel-
cher dann Erscheinungen wie Meister Franz Schmidt von Nürn-
berg hervortraten, welcher nur durch sein merkwürdiges Tagebuch
ausgezeichnet, gewiß aber nicht der einzige so furchtbar thätige
Praktiker seines blutigen Handwerks ist. Jn der That gehörte ein
vollkommen verhärteter Sinn dazu, 87 Jahre alte Matronen oder
Mädchen von 8--12 Jahren, wie dies die Acten erweisen, die
ganze Scala der Qualen auf der Folter durchmachen zu lassen,
um das unsinnige Geständniß mehrmaliger Geburten aus der
Buhlschaft mit dem Teufel zu erpressen. 1) Die Verachtung und
Furcht, mit welcher das Volk auf die Scharfrichter blickte, die
kalte, verhärtete Grausamkeit, mit welcher diese täglich vor den
Augen der Richter die furchtbarsten Martern vollzogen, mochten
vielleicht am ehesten den verfinsterten Blick der Richter auf die
Seele ihrer Helfershelferschaft gelenkt und zur Abschiebung der
eigenen innern sittlichen Makel die Scharfrichter zur Ehrlosig-

1) Soviel alte Acten einer auch gelesen hat, so schrickt er doch immer
wieder zusammen, wenn er ein neues Torturalprotokoll vor die Augen nimmt
und von den künstlich bereiteten Qualen liest, welche unauslöschliche Schande
auf die Christenmenschheit werfen. Wie war doch in den Hexenprocessen die
peinliche Frage nach dem Teufel das wahrhaft einzige, aber auch ganz Teufli-
sche im ganzen Proceß, in welchem mit satanischer Lust der unmenschliche Rich-
ter die unschuldigsten Opfer von seinen viehisch rohen Helfershelfern auf him-
melschreiende Weise martern ließ. Jm Bisthum Würzburg wurden von 1627
--29 mehr als 200 Personen jedes Alters, Standes und Geschlechts, ja Kinder
von 8--12 Jahren hingerichtet; im Bisthum Bamberg von 1627--30 bei
einer Bevölkerung von 100,000 Seelen 285 Personen; in Offenburg im Breis-
gau in derselben Zeit 60 Personen, und -- alle vorher gefoltert! Allerorten
hauste der Wahnsinn und die kalte, höllische Folterhandwerkslust. Die Justiz
stützte ihren ganzen Schwerpunkt auf die Folterbank, und der Scharfrichter trug
dieselbe wie ein Atlas auf seinen Schultern. So ein Mensch vermochte über
eine 64 Jahre alte Frau, welche alle Torturgrade ausgehalten hatte, sein Kunst-
urtheil abzugeben, "daß es soviel gewesen sei, als hätte man in einen alten
Pelz hineingehauen!" oder: "der Böse müsse sein Spiel mit der alten Vettel
gehabt haben, obwol er (der Scharfrichter) das Luder hin- und hergezerrt habe!"
Wer dies furchtbar wahre Bild weiter sehen will, der lese Wächter's "Beiträge
zur deutschen Geschichte", Abhandl. IV mit den Excursen.

ſchenblute am entſetzlichſten zu waten begann und den Scharfrich-
tern eine ungeheuere handwerksmäßige Praxis zuwies, aus wel-
cher dann Erſcheinungen wie Meiſter Franz Schmidt von Nürn-
berg hervortraten, welcher nur durch ſein merkwürdiges Tagebuch
ausgezeichnet, gewiß aber nicht der einzige ſo furchtbar thätige
Praktiker ſeines blutigen Handwerks iſt. Jn der That gehörte ein
vollkommen verhärteter Sinn dazu, 87 Jahre alte Matronen oder
Mädchen von 8—12 Jahren, wie dies die Acten erweiſen, die
ganze Scala der Qualen auf der Folter durchmachen zu laſſen,
um das unſinnige Geſtändniß mehrmaliger Geburten aus der
Buhlſchaft mit dem Teufel zu erpreſſen. 1) Die Verachtung und
Furcht, mit welcher das Volk auf die Scharfrichter blickte, die
kalte, verhärtete Grauſamkeit, mit welcher dieſe täglich vor den
Augen der Richter die furchtbarſten Martern vollzogen, mochten
vielleicht am eheſten den verfinſterten Blick der Richter auf die
Seele ihrer Helfershelferſchaft gelenkt und zur Abſchiebung der
eigenen innern ſittlichen Makel die Scharfrichter zur Ehrloſig-

1) Soviel alte Acten einer auch geleſen hat, ſo ſchrickt er doch immer
wieder zuſammen, wenn er ein neues Torturalprotokoll vor die Augen nimmt
und von den künſtlich bereiteten Qualen lieſt, welche unauslöſchliche Schande
auf die Chriſtenmenſchheit werfen. Wie war doch in den Hexenproceſſen die
peinliche Frage nach dem Teufel das wahrhaft einzige, aber auch ganz Teufli-
ſche im ganzen Proceß, in welchem mit ſataniſcher Luſt der unmenſchliche Rich-
ter die unſchuldigſten Opfer von ſeinen viehiſch rohen Helfershelfern auf him-
melſchreiende Weiſe martern ließ. Jm Bisthum Würzburg wurden von 1627
—29 mehr als 200 Perſonen jedes Alters, Standes und Geſchlechts, ja Kinder
von 8—12 Jahren hingerichtet; im Bisthum Bamberg von 1627—30 bei
einer Bevölkerung von 100,000 Seelen 285 Perſonen; in Offenburg im Breis-
gau in derſelben Zeit 60 Perſonen, und — alle vorher gefoltert! Allerorten
hauſte der Wahnſinn und die kalte, hölliſche Folterhandwerksluſt. Die Juſtiz
ſtützte ihren ganzen Schwerpunkt auf die Folterbank, und der Scharfrichter trug
dieſelbe wie ein Atlas auf ſeinen Schultern. So ein Menſch vermochte über
eine 64 Jahre alte Frau, welche alle Torturgrade ausgehalten hatte, ſein Kunſt-
urtheil abzugeben, „daß es ſoviel geweſen ſei, als hätte man in einen alten
Pelz hineingehauen!“ oder: „der Böſe müſſe ſein Spiel mit der alten Vettel
gehabt haben, obwol er (der Scharfrichter) das Luder hin- und hergezerrt habe!“
Wer dies furchtbar wahre Bild weiter ſehen will, der leſe Wächter’s „Beiträge
zur deutſchen Geſchichte“, Abhandl. IV mit den Excurſen.
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[151/0185] ſchenblute am entſetzlichſten zu waten begann und den Scharfrich- tern eine ungeheuere handwerksmäßige Praxis zuwies, aus wel- cher dann Erſcheinungen wie Meiſter Franz Schmidt von Nürn- berg hervortraten, welcher nur durch ſein merkwürdiges Tagebuch ausgezeichnet, gewiß aber nicht der einzige ſo furchtbar thätige Praktiker ſeines blutigen Handwerks iſt. Jn der That gehörte ein vollkommen verhärteter Sinn dazu, 87 Jahre alte Matronen oder Mädchen von 8—12 Jahren, wie dies die Acten erweiſen, die ganze Scala der Qualen auf der Folter durchmachen zu laſſen, um das unſinnige Geſtändniß mehrmaliger Geburten aus der Buhlſchaft mit dem Teufel zu erpreſſen. 1) Die Verachtung und Furcht, mit welcher das Volk auf die Scharfrichter blickte, die kalte, verhärtete Grauſamkeit, mit welcher dieſe täglich vor den Augen der Richter die furchtbarſten Martern vollzogen, mochten vielleicht am eheſten den verfinſterten Blick der Richter auf die Seele ihrer Helfershelferſchaft gelenkt und zur Abſchiebung der eigenen innern ſittlichen Makel die Scharfrichter zur Ehrloſig- 1) Soviel alte Acten einer auch geleſen hat, ſo ſchrickt er doch immer wieder zuſammen, wenn er ein neues Torturalprotokoll vor die Augen nimmt und von den künſtlich bereiteten Qualen lieſt, welche unauslöſchliche Schande auf die Chriſtenmenſchheit werfen. Wie war doch in den Hexenproceſſen die peinliche Frage nach dem Teufel das wahrhaft einzige, aber auch ganz Teufli- ſche im ganzen Proceß, in welchem mit ſataniſcher Luſt der unmenſchliche Rich- ter die unſchuldigſten Opfer von ſeinen viehiſch rohen Helfershelfern auf him- melſchreiende Weiſe martern ließ. Jm Bisthum Würzburg wurden von 1627 —29 mehr als 200 Perſonen jedes Alters, Standes und Geſchlechts, ja Kinder von 8—12 Jahren hingerichtet; im Bisthum Bamberg von 1627—30 bei einer Bevölkerung von 100,000 Seelen 285 Perſonen; in Offenburg im Breis- gau in derſelben Zeit 60 Perſonen, und — alle vorher gefoltert! Allerorten hauſte der Wahnſinn und die kalte, hölliſche Folterhandwerksluſt. Die Juſtiz ſtützte ihren ganzen Schwerpunkt auf die Folterbank, und der Scharfrichter trug dieſelbe wie ein Atlas auf ſeinen Schultern. So ein Menſch vermochte über eine 64 Jahre alte Frau, welche alle Torturgrade ausgehalten hatte, ſein Kunſt- urtheil abzugeben, „daß es ſoviel geweſen ſei, als hätte man in einen alten Pelz hineingehauen!“ oder: „der Böſe müſſe ſein Spiel mit der alten Vettel gehabt haben, obwol er (der Scharfrichter) das Luder hin- und hergezerrt habe!“ Wer dies furchtbar wahre Bild weiter ſehen will, der leſe Wächter’s „Beiträge zur deutſchen Geſchichte“, Abhandl. IV mit den Excurſen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/185>, abgerufen am 29.04.2024.