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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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welche bei der statuirten Verbannung und Jsolirung den Scharf-
richtern volle Gelegenheit bot, ohne Aufsicht und ungestraft mit
dem Gaunerthum sich zu verbünden und mit dessen Künsten auf
das verderblichste in das Volk hineinzuwirken. Jm Dreißigjähri-
gen Kriege sollte die durch die Scharfrichter vielfach vermittelte
Verbindung des Gaunerthums mit dem räuberischen Soldaten-
thum einen entscheidenden Sieg feiern mittels eines schmählichen
Betrugs, wie wol schwerlich jemals ein Betrug so ungeheuere
weitgreifende Folgen gehabt hat, durch die sogenannte Passauer
Kunst. Als nämlich Kaiser Matthias 1611 in der Gegend von
Passau ein Heer sammelte, um seinem Bruder Rudolf II. Böhmen
abzugewinnen, fiel der Henker zu Passau, Kaspar Neithardt von
Hersbruck, auf den Gedanken, Vortheil davon zu ziehen. Er

Cicero, Horaz und Plautus im schimpflichen Sinn für einen verworfenen Men-
schen gebraucht wird. Gleicher Abstammung ist Schuppel, Schübel, Schimpf-
wort für Personen, Grindschüppel, Lügenschüppel; die Schüppel,
leichtsinnige, liederliche Dirne (Schmeller, III, 377; Schmid, S. 481); Schubb-
jack,
schweiz. Schobiack, niederd. Schobbejack, Schufjack und Schob,
Grind, Schabe (Schwenck, S. 594), sowie Schuft. Vgl. Schwenck; Heinsius,
IV, 374; Adelung, III, 1632 das angels. sceof, scypen; engl. shop; franz.
echope; poln. szopa. (Adelung zieht nicht mit Unrecht die Bedeutung bedecken,
beschützen vom veralteten ahd. hierher und führt das wendische schowam, gr.
skepein, dazu auf, wie das mittellat. eschopa, Haus, Schuppen.) Wichtig
für die Beurtheilung der Stellung, welche die Schinderknechte im Mittelalter
einnahmen, ist der Umstand, daß in der lübecker "Kleider-, Hochzeit-, Kindtauf-
und Begräbniß-Ordnung vom heil. Thomas-Tage 1492" den Schinderknechten
die erclusive Befugniß zugesichert wird, "die Gräber auf den Kirchhöfen und
in den Klöstern zu machen und mit Steinen zuzudämmen", weshalb sie denn
auch Kulengräber (Kule, Kuhle, Grube, Grab) genannt wurden. Erst spä-
ter scheinen die Schobande ehrlos geworden zu sein. Denn erst 1534 bat die
Bürgerschaft und 1578 die Geistlichkeit bei dem Senat, den Schobanden diese
Begräbnißbefugniß zu nehmen, wogegen die letztern am 17. Januar 1579
und 9. Februar 1580 demüthige Bitten um Schutz im Besitz einlegten. Doch
noch 1586 eiferte der verdiente Superintendent Pouchenius von der Kanzel
herab: "Wenn sich einer die Zeit seines Lebens wohl gehalten hat, so muß ihm
noch von dem Schoband Dienst geleistet werden; der muß ihn verscharren."
Dagegen aber findet sich, daß der Magistrat zu Worms schon 1517 beim Papst
einen Jndult für den Henker auswirkte, daß derselbe einmal des Jahres zum
Abendmahl zugelassen wurde. Vgl. Pistorius, "Amoenitates jurid.", VIII,
2268.

welche bei der ſtatuirten Verbannung und Jſolirung den Scharf-
richtern volle Gelegenheit bot, ohne Aufſicht und ungeſtraft mit
dem Gaunerthum ſich zu verbünden und mit deſſen Künſten auf
das verderblichſte in das Volk hineinzuwirken. Jm Dreißigjähri-
gen Kriege ſollte die durch die Scharfrichter vielfach vermittelte
Verbindung des Gaunerthums mit dem räuberiſchen Soldaten-
thum einen entſcheidenden Sieg feiern mittels eines ſchmählichen
Betrugs, wie wol ſchwerlich jemals ein Betrug ſo ungeheuere
weitgreifende Folgen gehabt hat, durch die ſogenannte Paſſauer
Kunſt. Als nämlich Kaiſer Matthias 1611 in der Gegend von
Paſſau ein Heer ſammelte, um ſeinem Bruder Rudolf II. Böhmen
abzugewinnen, fiel der Henker zu Paſſau, Kaspar Neithardt von
Hersbruck, auf den Gedanken, Vortheil davon zu ziehen. Er

Cicero, Horaz und Plautus im ſchimpflichen Sinn für einen verworfenen Men-
ſchen gebraucht wird. Gleicher Abſtammung iſt Schuppel, Schübel, Schimpf-
wort für Perſonen, Grindſchüppel, Lügenſchüppel; die Schüppel,
leichtſinnige, liederliche Dirne (Schmeller, III, 377; Schmid, S. 481); Schubb-
jack,
ſchweiz. Schobiack, niederd. Schobbejack, Schufjack und Schob,
Grind, Schabe (Schwenck, S. 594), ſowie Schuft. Vgl. Schwenck; Heinſius,
IV, 374; Adelung, III, 1632 das angelſ. sceof, scypen; engl. shop; franz.
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für die Beurtheilung der Stellung, welche die Schinderknechte im Mittelalter
einnahmen, iſt der Umſtand, daß in der lübecker „Kleider-, Hochzeit-, Kindtauf-
und Begräbniß-Ordnung vom heil. Thomas-Tage 1492“ den Schinderknechten
die ercluſive Befugniß zugeſichert wird, „die Gräber auf den Kirchhöfen und
in den Klöſtern zu machen und mit Steinen zuzudämmen“, weshalb ſie denn
auch Kulengräber (Kule, Kuhle, Grube, Grab) genannt wurden. Erſt ſpä-
ter ſcheinen die Schobande ehrlos geworden zu ſein. Denn erſt 1534 bat die
Bürgerſchaft und 1578 die Geiſtlichkeit bei dem Senat, den Schobanden dieſe
Begräbnißbefugniß zu nehmen, wogegen die letztern am 17. Januar 1579
und 9. Februar 1580 demüthige Bitten um Schutz im Beſitz einlegten. Doch
noch 1586 eiferte der verdiente Superintendent Pouchenius von der Kanzel
herab: „Wenn ſich einer die Zeit ſeines Lebens wohl gehalten hat, ſo muß ihm
noch von dem Schoband Dienſt geleiſtet werden; der muß ihn verſcharren.“
Dagegen aber findet ſich, daß der Magiſtrat zu Worms ſchon 1517 beim Papſt
einen Jndult für den Henker auswirkte, daß derſelbe einmal des Jahres zum
Abendmahl zugelaſſen wurde. Vgl. Piſtorius, „Amoenitates jurid.“, VIII,
2268.
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[153/0187] welche bei der ſtatuirten Verbannung und Jſolirung den Scharf- richtern volle Gelegenheit bot, ohne Aufſicht und ungeſtraft mit dem Gaunerthum ſich zu verbünden und mit deſſen Künſten auf das verderblichſte in das Volk hineinzuwirken. Jm Dreißigjähri- gen Kriege ſollte die durch die Scharfrichter vielfach vermittelte Verbindung des Gaunerthums mit dem räuberiſchen Soldaten- thum einen entſcheidenden Sieg feiern mittels eines ſchmählichen Betrugs, wie wol ſchwerlich jemals ein Betrug ſo ungeheuere weitgreifende Folgen gehabt hat, durch die ſogenannte Paſſauer Kunſt. Als nämlich Kaiſer Matthias 1611 in der Gegend von Paſſau ein Heer ſammelte, um ſeinem Bruder Rudolf II. Böhmen abzugewinnen, fiel der Henker zu Paſſau, Kaspar Neithardt von Hersbruck, auf den Gedanken, Vortheil davon zu ziehen. Er 1) 1) Cicero, Horaz und Plautus im ſchimpflichen Sinn für einen verworfenen Men- ſchen gebraucht wird. Gleicher Abſtammung iſt Schuppel, Schübel, Schimpf- wort für Perſonen, Grindſchüppel, Lügenſchüppel; die Schüppel, leichtſinnige, liederliche Dirne (Schmeller, III, 377; Schmid, S. 481); Schubb- jack, ſchweiz. Schobiack, niederd. Schobbejack, Schufjack und Schob, Grind, Schabe (Schwenck, S. 594), ſowie Schuft. Vgl. Schwenck; Heinſius, IV, 374; Adelung, III, 1632 das angelſ. sceof, scypen; engl. shop; franz. échope; poln. szopa. (Adelung zieht nicht mit Unrecht die Bedeutung bedecken, beſchützen vom veralteten ahd. hierher und führt das wendiſche schowam, gr. σκέπειν, dazu auf, wie das mittellat. eschopa, Haus, Schuppen.) Wichtig für die Beurtheilung der Stellung, welche die Schinderknechte im Mittelalter einnahmen, iſt der Umſtand, daß in der lübecker „Kleider-, Hochzeit-, Kindtauf- und Begräbniß-Ordnung vom heil. Thomas-Tage 1492“ den Schinderknechten die ercluſive Befugniß zugeſichert wird, „die Gräber auf den Kirchhöfen und in den Klöſtern zu machen und mit Steinen zuzudämmen“, weshalb ſie denn auch Kulengräber (Kule, Kuhle, Grube, Grab) genannt wurden. Erſt ſpä- ter ſcheinen die Schobande ehrlos geworden zu ſein. Denn erſt 1534 bat die Bürgerſchaft und 1578 die Geiſtlichkeit bei dem Senat, den Schobanden dieſe Begräbnißbefugniß zu nehmen, wogegen die letztern am 17. Januar 1579 und 9. Februar 1580 demüthige Bitten um Schutz im Beſitz einlegten. Doch noch 1586 eiferte der verdiente Superintendent Pouchenius von der Kanzel herab: „Wenn ſich einer die Zeit ſeines Lebens wohl gehalten hat, ſo muß ihm noch von dem Schoband Dienſt geleiſtet werden; der muß ihn verſcharren.“ Dagegen aber findet ſich, daß der Magiſtrat zu Worms ſchon 1517 beim Papſt einen Jndult für den Henker auswirkte, daß derſelbe einmal des Jahres zum Abendmahl zugelaſſen wurde. Vgl. Piſtorius, „Amoenitates jurid.“, VIII, 2268.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/187>, abgerufen am 28.04.2024.