Bezeichnet man in schlagender Weise die Sprache überhaupt als die leiblich gewordene Erscheinung der Gedanken 1), so ist damit auch ausgesprochen, daß die Sprache eine organische Verrichtung des Menschen und daß, wie Wilhelm von Humboldt trefflich sagt, ihre Hervorbringung ein inneres Bedürfniß der Mensch- heit, nicht blos ein äußerliches, zur Unterhaltung gemeinschaftlichen Verkehrs, sondern ein in ihrer Natur liegendes, zur Entwickelung ihrer geistigen Kräfte und zur Gewinnung einer Weltanschauung unentbehrliches ist. Jndem die Erscheinungen der Sinnenwelt von den äußern Sinnen der Menschen aufgenommen werden, wird die Sinnenwelt zu Begriffen und Gedanken vergeistigt, und dies Vergeistigte wird wieder in der Verleiblichung in Wort und
1) Treffend und schön umschreibt in diesem Sinne der Targum die Worte im 1. Buch Mos., Kap. 2, V. 7: [fremdsprachliches Material] (und also ward der Mensch eine lebendige Seele), mit den Worten: [fremdsprachliches Material] (und es ward [die Seele] im Menschen zum redenden Geiste).
Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 1
Vierter Abſchnitt. Die Gaunerſprache.
I.Allgemeiner Theil.
Erſtes Kapitel. A.Die Sprache.
Bezeichnet man in ſchlagender Weiſe die Sprache überhaupt als die leiblich gewordene Erſcheinung der Gedanken 1), ſo iſt damit auch ausgeſprochen, daß die Sprache eine organiſche Verrichtung des Menſchen und daß, wie Wilhelm von Humboldt trefflich ſagt, ihre Hervorbringung ein inneres Bedürfniß der Menſch- heit, nicht blos ein äußerliches, zur Unterhaltung gemeinſchaftlichen Verkehrs, ſondern ein in ihrer Natur liegendes, zur Entwickelung ihrer geiſtigen Kräfte und zur Gewinnung einer Weltanſchauung unentbehrliches iſt. Jndem die Erſcheinungen der Sinnenwelt von den äußern Sinnen der Menſchen aufgenommen werden, wird die Sinnenwelt zu Begriffen und Gedanken vergeiſtigt, und dies Vergeiſtigte wird wieder in der Verleiblichung in Wort und
1) Treffend und ſchön umſchreibt in dieſem Sinne der Targum die Worte im 1. Buch Moſ., Kap. 2, V. 7: [fremdsprachliches Material] (und alſo ward der Menſch eine lebendige Seele), mit den Worten: [fremdsprachliches Material] (und es ward [die Seele] im Menſchen zum redenden Geiſte).
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 1
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Vierter Abſchnitt.
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Bezeichnet man in ſchlagender Weiſe die Sprache überhaupt als
die leiblich gewordene Erſcheinung der Gedanken 1), ſo iſt damit
auch ausgeſprochen, daß die Sprache eine organiſche Verrichtung
des Menſchen und daß, wie Wilhelm von Humboldt trefflich
ſagt, ihre Hervorbringung ein inneres Bedürfniß der Menſch-
heit, nicht blos ein äußerliches, zur Unterhaltung gemeinſchaftlichen
Verkehrs, ſondern ein in ihrer Natur liegendes, zur Entwickelung
ihrer geiſtigen Kräfte und zur Gewinnung einer Weltanſchauung
unentbehrliches iſt. Jndem die Erſcheinungen der Sinnenwelt von
den äußern Sinnen der Menſchen aufgenommen werden, wird
die Sinnenwelt zu Begriffen und Gedanken vergeiſtigt, und dies
Vergeiſtigte wird wieder in der Verleiblichung in Wort und
1) Treffend und ſchön umſchreibt in dieſem Sinne der Targum die Worte
im 1. Buch Moſ., Kap. 2, V. 7:
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(und alſo ward der Menſch eine lebendige Seele), mit den Worten:
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(und es ward [die Seele] im Menſchen zum redenden Geiſte).
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 1
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/35>, abgerufen am 27.04.2024.
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