die Gaunersprache die merkwürdigsten Zeugnisse, auf welche später- hin immer wieder zurückgekommen werden muß.
Neunundsechzigstes Kapitel. b. Die lombardischen Noten des Bonaventura Vulcanius.
Die besonders seit dem Exil gewonnene genaue Bekanntschaft der Juden mit der syrischen Sprache, die ungemeine graphische Handlichkeit der syrischen Schriftcharaktere, namentlich im Vergleich mit der schwierigen hebräischen Quadratschrift, und die daher stam- mende Neigung und Gewohnheit der Juden, hebräische Schriften mit syrischen Buchstaben zu schreiben, machen es erklärlich, daß mit den Juden die syrische Schrift auch nach Deutschland kam und später von diesen zum schriftlichen Ausdruck der sich nach und nach heranbildenden jüdischdeutschen Sprache benutzt wurde. Wann und wie dieser eigenthümliche Schriftproceß auf deutschem Boden sei- nen Anfang genommen hat, ist schwerlich auch nur einigermaßen genau aus schriftlichen Documenten nachzuweisen. Doch gibt es mindestens für den Eingang der syrischen Lettern in den Occident überhaupt ein Zeugniß, das, so unvollständig und dunkel es auch auf den ersten Anblick erscheint, doch sehr eigenthümlich ist und jedenfalls Aufmerksamkeit verdient. Es sind die lombardischen Noten bei Bonaventura Vulcanius aus Brügge, einem sehr achtbaren Philologen, welcher 1614 im 56. Lebensjahre als Professor der grie- chischen Sprache zu Leyden starb. Er hatte 1597 eine mit Noten be- gleitete kritische Ausgabe der Schrift des Bischofs Jornandes von Ravenna über die Gothen 1) veranstaltet und gab dazu aus der-
1) "Jornandes, Episcopus Raven., De Getarum origine et rebus gestis. Isidori Chronicon Gothorum, Vandalorum, Suevorum et Wisi- gothorum. Procopii Fragmentum de priscis sedibus et migrationibus Gothorum, graece et latine. Accessit et Jornandes de regnorum et tem- porum successione. Omnia ex recognitione et cum notis Bonav. Vulcanii Brugensis. Lugd. Bat. Ex officina Plantiniana. Apud Franciscum Ra- phelengium. 1597."
die Gaunerſprache die merkwürdigſten Zeugniſſe, auf welche ſpäter- hin immer wieder zurückgekommen werden muß.
Neunundſechzigſtes Kapitel. β. Die lombardiſchen Noten des Bonaventura Vulcanius.
Die beſonders ſeit dem Exil gewonnene genaue Bekanntſchaft der Juden mit der ſyriſchen Sprache, die ungemeine graphiſche Handlichkeit der ſyriſchen Schriftcharaktere, namentlich im Vergleich mit der ſchwierigen hebräiſchen Quadratſchrift, und die daher ſtam- mende Neigung und Gewohnheit der Juden, hebräiſche Schriften mit ſyriſchen Buchſtaben zu ſchreiben, machen es erklärlich, daß mit den Juden die ſyriſche Schrift auch nach Deutſchland kam und ſpäter von dieſen zum ſchriftlichen Ausdruck der ſich nach und nach heranbildenden jüdiſchdeutſchen Sprache benutzt wurde. Wann und wie dieſer eigenthümliche Schriftproceß auf deutſchem Boden ſei- nen Anfang genommen hat, iſt ſchwerlich auch nur einigermaßen genau aus ſchriftlichen Documenten nachzuweiſen. Doch gibt es mindeſtens für den Eingang der ſyriſchen Lettern in den Occident überhaupt ein Zeugniß, das, ſo unvollſtändig und dunkel es auch auf den erſten Anblick erſcheint, doch ſehr eigenthümlich iſt und jedenfalls Aufmerkſamkeit verdient. Es ſind die lombardiſchen Noten bei Bonaventura Vulcanius aus Brügge, einem ſehr achtbaren Philologen, welcher 1614 im 56. Lebensjahre als Profeſſor der grie- chiſchen Sprache zu Leyden ſtarb. Er hatte 1597 eine mit Noten be- gleitete kritiſche Ausgabe der Schrift des Biſchofs Jornandes von Ravenna über die Gothen 1) veranſtaltet und gab dazu aus der-
1) „Jornandes, Episcopus Raven., De Getarum origine et rebus gestis. Isidori Chronicon Gothorum, Vandalorum, Suevorum et Wisi- gothorum. Procopii Fragmentum de priscis sedibus et migrationibus Gothorum, graece et latine. Accessit et Jornandes de regnorum et tem- porum successione. Omnia ex recognitione et cum notis Bonav. Vulcanii Brugensis. Lugd. Bat. Ex officina Plantiniana. Apud Franciscum Ra- phelengium. 1597.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0374"n="340"/>
die Gaunerſprache die merkwürdigſten Zeugniſſe, auf welche ſpäter-<lb/>
hin immer wieder zurückgekommen werden muß.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#fr">Neunundſechzigſtes Kapitel.</hi><lb/>β. <hirendition="#b">Die lombardiſchen Noten des Bonaventura Vulcanius.</hi></head><lb/><p>Die beſonders ſeit dem Exil gewonnene genaue Bekanntſchaft<lb/>
der Juden mit der ſyriſchen Sprache, die ungemeine graphiſche<lb/>
Handlichkeit der ſyriſchen Schriftcharaktere, namentlich im Vergleich<lb/>
mit der ſchwierigen hebräiſchen Quadratſchrift, und die daher ſtam-<lb/>
mende Neigung und Gewohnheit der Juden, hebräiſche Schriften<lb/>
mit ſyriſchen Buchſtaben zu ſchreiben, machen es erklärlich, daß mit<lb/>
den Juden die ſyriſche Schrift auch nach Deutſchland kam und<lb/>ſpäter von dieſen zum ſchriftlichen Ausdruck der ſich nach und nach<lb/>
heranbildenden jüdiſchdeutſchen Sprache benutzt wurde. Wann und<lb/>
wie dieſer eigenthümliche Schriftproceß auf deutſchem Boden ſei-<lb/>
nen Anfang genommen hat, iſt ſchwerlich auch nur einigermaßen<lb/>
genau aus ſchriftlichen Documenten nachzuweiſen. Doch gibt es<lb/>
mindeſtens für den Eingang der ſyriſchen Lettern in den Occident<lb/>
überhaupt ein Zeugniß, das, ſo unvollſtändig und dunkel es auch<lb/>
auf den erſten Anblick erſcheint, doch ſehr eigenthümlich iſt und<lb/>
jedenfalls Aufmerkſamkeit verdient. Es ſind die lombardiſchen Noten<lb/>
bei Bonaventura Vulcanius aus Brügge, einem ſehr achtbaren<lb/>
Philologen, welcher 1614 im 56. Lebensjahre als Profeſſor der grie-<lb/>
chiſchen Sprache zu Leyden ſtarb. Er hatte 1597 eine mit Noten be-<lb/>
gleitete kritiſche Ausgabe der Schrift des Biſchofs Jornandes von<lb/>
Ravenna über die Gothen <noteplace="foot"n="1)">„<hirendition="#aq">Jornandes, Episcopus Raven., De Getarum origine et rebus<lb/>
gestis. Isidori Chronicon Gothorum, Vandalorum, Suevorum et Wisi-<lb/>
gothorum. Procopii Fragmentum de priscis sedibus et migrationibus<lb/>
Gothorum, graece et latine. Accessit et Jornandes de regnorum et tem-<lb/>
porum successione. Omnia ex recognitione et cum notis Bonav. Vulcanii<lb/>
Brugensis. Lugd. Bat. Ex officina Plantiniana. Apud Franciscum Ra-<lb/>
phelengium.</hi> 1597.“</note> veranſtaltet und gab dazu aus der-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[340/0374]
die Gaunerſprache die merkwürdigſten Zeugniſſe, auf welche ſpäter-
hin immer wieder zurückgekommen werden muß.
Neunundſechzigſtes Kapitel.
β. Die lombardiſchen Noten des Bonaventura Vulcanius.
Die beſonders ſeit dem Exil gewonnene genaue Bekanntſchaft
der Juden mit der ſyriſchen Sprache, die ungemeine graphiſche
Handlichkeit der ſyriſchen Schriftcharaktere, namentlich im Vergleich
mit der ſchwierigen hebräiſchen Quadratſchrift, und die daher ſtam-
mende Neigung und Gewohnheit der Juden, hebräiſche Schriften
mit ſyriſchen Buchſtaben zu ſchreiben, machen es erklärlich, daß mit
den Juden die ſyriſche Schrift auch nach Deutſchland kam und
ſpäter von dieſen zum ſchriftlichen Ausdruck der ſich nach und nach
heranbildenden jüdiſchdeutſchen Sprache benutzt wurde. Wann und
wie dieſer eigenthümliche Schriftproceß auf deutſchem Boden ſei-
nen Anfang genommen hat, iſt ſchwerlich auch nur einigermaßen
genau aus ſchriftlichen Documenten nachzuweiſen. Doch gibt es
mindeſtens für den Eingang der ſyriſchen Lettern in den Occident
überhaupt ein Zeugniß, das, ſo unvollſtändig und dunkel es auch
auf den erſten Anblick erſcheint, doch ſehr eigenthümlich iſt und
jedenfalls Aufmerkſamkeit verdient. Es ſind die lombardiſchen Noten
bei Bonaventura Vulcanius aus Brügge, einem ſehr achtbaren
Philologen, welcher 1614 im 56. Lebensjahre als Profeſſor der grie-
chiſchen Sprache zu Leyden ſtarb. Er hatte 1597 eine mit Noten be-
gleitete kritiſche Ausgabe der Schrift des Biſchofs Jornandes von
Ravenna über die Gothen 1) veranſtaltet und gab dazu aus der-
1) „Jornandes, Episcopus Raven., De Getarum origine et rebus
gestis. Isidori Chronicon Gothorum, Vandalorum, Suevorum et Wisi-
gothorum. Procopii Fragmentum de priscis sedibus et migrationibus
Gothorum, graece et latine. Accessit et Jornandes de regnorum et tem-
porum successione. Omnia ex recognitione et cum notis Bonav. Vulcanii
Brugensis. Lugd. Bat. Ex officina Plantiniana. Apud Franciscum Ra-
phelengium. 1597.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/374>, abgerufen am 15.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.