Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit diesen und andern zahlreichen Beispielen endigen die
lacerae tabulae, welche jedenfalls ein merkwürdiges Zeugniß für
das Streben und für den Zug der semitischen Sprache und Schrift
vom Orient nach dem Occident und für die Befähigung der syri-
schen Charaktere zum graphischen Ausdruck auch occidentalischer
Sprachen sind. Jede weitere Erläuterung der Abbreviaturen fehlt
aber, namentlich auch die Untersuchung, ob sie Abbreviaturen der
Sprache sind, welche die varia fex hominum oder welche die legati
aulici, qui Gothi erant,
sprachen, oder -- der beigefügten latei-
nischen Uebersetzung entsprechend -- lateinische oder lombardische
Abbreviaturen. Doch scheint letzteres der Fall zu sein. Denn trotz
der oft vorkommenden ungleichen und vernachlässigten Zeichnung
eines und desselben Charakters an verschiedenen Stellen, wie z. B.
die dreifache Bezeichnung für Domitianus S. 28 untereinander
abweichend ist, lassen sich die den Anfangsbuchstaben der lateini-
schen Wörter entsprechenden syrischen Buchstaben nicht verkennen,
wie denn in allen drei Abbreviaturen des Domitianus das syrische
Dolath, wenn es auch schon ganz dem currentschriftlichen Daleth,
[fremdsprachliches Material], gleichkommt, auf den ersten Blick erkannt wird.

Gewiß würde es der Mühe lohnen, wenn das sehr interessante
Werk des Vulcanius einer gründlichern und bessern Untersuchung
unterzogen würde, als sie hier möglich ist. Schon für die Geschichte
der Stenographie ist Vulcanius eine wichtige Erscheinung. Viele
Charaktere seiner lacerae tabulae sind den von Stolze aufgezeich-
neten Charakteren der römischen Stenographie bis zur Gleichheit
ähnlich, und eine Vergleichung dieser verschiedenen Charaktere wird
einen starken Syriasmus der römischen Stenographie darlegen.
Dennoch hat nicht einmal Gabelsberger in seiner trefflichen Ge-
schichte der Stenographie, a. a. O., S. 22--98, und kein stenogra-
phischer Schriftsteller vor und nach ihm des wackern Vulcanius ge-
dacht. Das überaus seltene und erst neuerlich von Pott, "Zigeu-
ner", I, 3, jedoch auch nur in Beziehung auf die bei Vulcanius
befindlichen Zigeuner- und Gaunervocabeln in Erinnerung ge-
brachte Buch befindet sich auf der königlichen Universitätsbibliothek
zu Halle und regt den lebhaften Wunsch an, daß ein berufener

Mit dieſen und andern zahlreichen Beiſpielen endigen die
lacerae tabulae, welche jedenfalls ein merkwürdiges Zeugniß für
das Streben und für den Zug der ſemitiſchen Sprache und Schrift
vom Orient nach dem Occident und für die Befähigung der ſyri-
ſchen Charaktere zum graphiſchen Ausdruck auch occidentaliſcher
Sprachen ſind. Jede weitere Erläuterung der Abbreviaturen fehlt
aber, namentlich auch die Unterſuchung, ob ſie Abbreviaturen der
Sprache ſind, welche die varia fex hominum oder welche die legati
aulici, qui Gothi erant,
ſprachen, oder — der beigefügten latei-
niſchen Ueberſetzung entſprechend — lateiniſche oder lombardiſche
Abbreviaturen. Doch ſcheint letzteres der Fall zu ſein. Denn trotz
der oft vorkommenden ungleichen und vernachläſſigten Zeichnung
eines und deſſelben Charakters an verſchiedenen Stellen, wie z. B.
die dreifache Bezeichnung für Domitianus S. 28 untereinander
abweichend iſt, laſſen ſich die den Anfangsbuchſtaben der lateini-
ſchen Wörter entſprechenden ſyriſchen Buchſtaben nicht verkennen,
wie denn in allen drei Abbreviaturen des Domitianus das ſyriſche
Dolath, wenn es auch ſchon ganz dem currentſchriftlichen Daleth,
[fremdsprachliches Material], gleichkommt, auf den erſten Blick erkannt wird.

Gewiß würde es der Mühe lohnen, wenn das ſehr intereſſante
Werk des Vulcanius einer gründlichern und beſſern Unterſuchung
unterzogen würde, als ſie hier möglich iſt. Schon für die Geſchichte
der Stenographie iſt Vulcanius eine wichtige Erſcheinung. Viele
Charaktere ſeiner lacerae tabulae ſind den von Stolze aufgezeich-
neten Charakteren der römiſchen Stenographie bis zur Gleichheit
ähnlich, und eine Vergleichung dieſer verſchiedenen Charaktere wird
einen ſtarken Syriasmus der römiſchen Stenographie darlegen.
Dennoch hat nicht einmal Gabelsberger in ſeiner trefflichen Ge-
ſchichte der Stenographie, a. a. O., S. 22—98, und kein ſtenogra-
phiſcher Schriftſteller vor und nach ihm des wackern Vulcanius ge-
dacht. Das überaus ſeltene und erſt neuerlich von Pott, „Zigeu-
ner“, I, 3, jedoch auch nur in Beziehung auf die bei Vulcanius
befindlichen Zigeuner- und Gaunervocabeln in Erinnerung ge-
brachte Buch befindet ſich auf der königlichen Univerſitätsbibliothek
zu Halle und regt den lebhaften Wunſch an, daß ein berufener

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0382" n="348"/>
            <p>Mit die&#x017F;en und andern zahlreichen Bei&#x017F;pielen endigen die<lb/><hi rendition="#aq">lacerae tabulae,</hi> welche jedenfalls ein merkwürdiges Zeugniß für<lb/>
das Streben und für den Zug der &#x017F;emiti&#x017F;chen Sprache und Schrift<lb/>
vom Orient nach dem Occident und für die Befähigung der &#x017F;yri-<lb/>
&#x017F;chen Charaktere zum graphi&#x017F;chen Ausdruck auch occidentali&#x017F;cher<lb/>
Sprachen &#x017F;ind. Jede weitere Erläuterung der Abbreviaturen fehlt<lb/>
aber, namentlich auch die Unter&#x017F;uchung, ob &#x017F;ie Abbreviaturen der<lb/>
Sprache &#x017F;ind, welche die <hi rendition="#aq">varia fex hominum</hi> oder welche die <hi rendition="#aq">legati<lb/>
aulici, qui Gothi erant,</hi> &#x017F;prachen, oder &#x2014; der beigefügten latei-<lb/>
ni&#x017F;chen Ueber&#x017F;etzung ent&#x017F;prechend &#x2014; lateini&#x017F;che oder lombardi&#x017F;che<lb/>
Abbreviaturen. Doch &#x017F;cheint letzteres der Fall zu &#x017F;ein. Denn trotz<lb/>
der oft vorkommenden ungleichen und vernachlä&#x017F;&#x017F;igten Zeichnung<lb/>
eines und de&#x017F;&#x017F;elben Charakters an ver&#x017F;chiedenen Stellen, wie z. B.<lb/>
die dreifache Bezeichnung für <hi rendition="#aq">Domitianus</hi> S. 28 untereinander<lb/>
abweichend i&#x017F;t, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die den Anfangsbuch&#x017F;taben der lateini-<lb/>
&#x017F;chen Wörter ent&#x017F;prechenden &#x017F;yri&#x017F;chen Buch&#x017F;taben nicht verkennen,<lb/>
wie denn in allen drei Abbreviaturen des <hi rendition="#aq">Domitianus</hi> das &#x017F;yri&#x017F;che<lb/><hi rendition="#aq">Dolath,</hi> wenn es auch &#x017F;chon ganz dem current&#x017F;chriftlichen <hi rendition="#aq">Daleth,</hi><lb/><gap reason="fm"/>, gleichkommt, auf den er&#x017F;ten Blick erkannt wird.</p><lb/>
            <p>Gewiß würde es der Mühe lohnen, wenn das &#x017F;ehr intere&#x017F;&#x017F;ante<lb/>
Werk des Vulcanius einer gründlichern und be&#x017F;&#x017F;ern Unter&#x017F;uchung<lb/>
unterzogen würde, als &#x017F;ie hier möglich i&#x017F;t. Schon für die Ge&#x017F;chichte<lb/>
der Stenographie i&#x017F;t Vulcanius eine wichtige Er&#x017F;cheinung. Viele<lb/>
Charaktere &#x017F;einer <hi rendition="#aq">lacerae tabulae</hi> &#x017F;ind den von Stolze aufgezeich-<lb/>
neten Charakteren der römi&#x017F;chen Stenographie bis zur Gleichheit<lb/>
ähnlich, und eine Vergleichung die&#x017F;er ver&#x017F;chiedenen Charaktere wird<lb/>
einen &#x017F;tarken Syriasmus der römi&#x017F;chen Stenographie darlegen.<lb/>
Dennoch hat nicht einmal Gabelsberger in &#x017F;einer trefflichen Ge-<lb/>
&#x017F;chichte der Stenographie, a. a. O., S. 22&#x2014;98, und kein &#x017F;tenogra-<lb/>
phi&#x017F;cher Schrift&#x017F;teller vor und nach ihm des wackern Vulcanius ge-<lb/>
dacht. Das überaus &#x017F;eltene und er&#x017F;t neuerlich von Pott, &#x201E;Zigeu-<lb/>
ner&#x201C;, <hi rendition="#aq">I</hi>, 3, jedoch auch nur in Beziehung auf die bei Vulcanius<lb/>
befindlichen Zigeuner- und Gaunervocabeln in Erinnerung ge-<lb/>
brachte Buch befindet &#x017F;ich auf der königlichen Univer&#x017F;itätsbibliothek<lb/>
zu Halle und regt den lebhaften Wun&#x017F;ch an, daß ein berufener<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0382] Mit dieſen und andern zahlreichen Beiſpielen endigen die lacerae tabulae, welche jedenfalls ein merkwürdiges Zeugniß für das Streben und für den Zug der ſemitiſchen Sprache und Schrift vom Orient nach dem Occident und für die Befähigung der ſyri- ſchen Charaktere zum graphiſchen Ausdruck auch occidentaliſcher Sprachen ſind. Jede weitere Erläuterung der Abbreviaturen fehlt aber, namentlich auch die Unterſuchung, ob ſie Abbreviaturen der Sprache ſind, welche die varia fex hominum oder welche die legati aulici, qui Gothi erant, ſprachen, oder — der beigefügten latei- niſchen Ueberſetzung entſprechend — lateiniſche oder lombardiſche Abbreviaturen. Doch ſcheint letzteres der Fall zu ſein. Denn trotz der oft vorkommenden ungleichen und vernachläſſigten Zeichnung eines und deſſelben Charakters an verſchiedenen Stellen, wie z. B. die dreifache Bezeichnung für Domitianus S. 28 untereinander abweichend iſt, laſſen ſich die den Anfangsbuchſtaben der lateini- ſchen Wörter entſprechenden ſyriſchen Buchſtaben nicht verkennen, wie denn in allen drei Abbreviaturen des Domitianus das ſyriſche Dolath, wenn es auch ſchon ganz dem currentſchriftlichen Daleth, _ , gleichkommt, auf den erſten Blick erkannt wird. Gewiß würde es der Mühe lohnen, wenn das ſehr intereſſante Werk des Vulcanius einer gründlichern und beſſern Unterſuchung unterzogen würde, als ſie hier möglich iſt. Schon für die Geſchichte der Stenographie iſt Vulcanius eine wichtige Erſcheinung. Viele Charaktere ſeiner lacerae tabulae ſind den von Stolze aufgezeich- neten Charakteren der römiſchen Stenographie bis zur Gleichheit ähnlich, und eine Vergleichung dieſer verſchiedenen Charaktere wird einen ſtarken Syriasmus der römiſchen Stenographie darlegen. Dennoch hat nicht einmal Gabelsberger in ſeiner trefflichen Ge- ſchichte der Stenographie, a. a. O., S. 22—98, und kein ſtenogra- phiſcher Schriftſteller vor und nach ihm des wackern Vulcanius ge- dacht. Das überaus ſeltene und erſt neuerlich von Pott, „Zigeu- ner“, I, 3, jedoch auch nur in Beziehung auf die bei Vulcanius befindlichen Zigeuner- und Gaunervocabeln in Erinnerung ge- brachte Buch befindet ſich auf der königlichen Univerſitätsbibliothek zu Halle und regt den lebhaften Wunſch an, daß ein berufener

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/382
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/382>, abgerufen am 15.05.2024.