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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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im Gegensatz zu dem bunten Farbenton der Wiese und des Waldes
erscheint. 1)



Neuntes Kapitel.
2) Gil.

Gewinnt somit schon das Rot des baseler Rathsmandats eine
nicht zu verkennende bestimmte Bedeutung, so wird diese durch
eine andere entsprechende Bezeichnung des Mandats noch mehr
befestigt. Das Rathsmandat wurde, wie schon erwähnt, unmittel-
bar nach dem baseler Bündniß (1391) gegen die Gesellschaft, "den
man spricht Rot und Schwartz", erlassen und erhielt im Ein-
gange die Ueberschrift: Diß ist die Betrügnisse damitte die Gilen
und Lamen 2) u. s. w.

Die Bedeutung der Lamen ist nicht zu verkennen. Es sind
die simulanten Krüppel, welche durch Schaustellung eines körper-
lichen Gebrechens, wie z. B. durch Aufschnallen eines Beins auf
Krücken u. s. w., tiefern Eindruck auf das Mitleid zu machen
suchten, um es desto besser auszubeuten. J. Knebel vertauscht
das Lamen eigenmächtig mit Blinden, hat aber, gleich Brück-
ner, die Gilen beibehalten, aus welchen Heumann ("Exercita-
tiones
", S. 174) die so vermessene wie wunderliche Transposition
Lieger gemacht hat 3), welche doch wol eher dem trockenen

1) Zum Ueberfluß sei hier nur flüchtig darauf hingewiesen, daß in V. 6
und 25 des Liber Vagatorum von Pamphilus Gengenbach: "durch ihre sprach
die man nempt Rot", das Rot nur eine dem nachfolgenden Reim "spodt" zu
Gefallen geschehene Verstümmelung von "Rotwelsch" ist. Das niederdeutsche
rötern, räteln, rasseln, klappern, metaph. viel, rasch und unverständlich
reden, steht mit rot in keiner Verbindung, sondern ist von Rad (rota) abzu-
leiten; davon Rätel, Röter und Rätelding, die Nachtwächterknarre; Rä-
terer,
Plappermaul, Schwätzer. Richey, Hamb. Idiot., S. 207.
2) Vgl. Th. I, S. 125.
3) Jm Althochdeutschen ist liegen liogan, lügen. Dagegen ist ligen,
ahd. likkan, jacere. S. Wackernagel u. d. W. Die Schreibung ligen würde
allerdings hierher passen, da ligen auch noch heute, besonders im nördlichen

im Gegenſatz zu dem bunten Farbenton der Wieſe und des Waldes
erſcheint. 1)



Neuntes Kapitel.
2) Gil.

Gewinnt ſomit ſchon das Rot des baſeler Rathsmandats eine
nicht zu verkennende beſtimmte Bedeutung, ſo wird dieſe durch
eine andere entſprechende Bezeichnung des Mandats noch mehr
befeſtigt. Das Rathsmandat wurde, wie ſchon erwähnt, unmittel-
bar nach dem baſeler Bündniß (1391) gegen die Geſellſchaft, „den
man ſpricht Rot und Schwartz“, erlaſſen und erhielt im Ein-
gange die Ueberſchrift: Diß iſt die Betrügniſſe damitte die Gilen
und Lamen 2) u. ſ. w.

Die Bedeutung der Lamen iſt nicht zu verkennen. Es ſind
die ſimulanten Krüppel, welche durch Schauſtellung eines körper-
lichen Gebrechens, wie z. B. durch Aufſchnallen eines Beins auf
Krücken u. ſ. w., tiefern Eindruck auf das Mitleid zu machen
ſuchten, um es deſto beſſer auszubeuten. J. Knebel vertauſcht
das Lamen eigenmächtig mit Blinden, hat aber, gleich Brück-
ner, die Gilen beibehalten, aus welchen Heumann („Exercita-
tiones
“, S. 174) die ſo vermeſſene wie wunderliche Transpoſition
Lieger gemacht hat 3), welche doch wol eher dem trockenen

1) Zum Ueberfluß ſei hier nur flüchtig darauf hingewieſen, daß in V. 6
und 25 des Liber Vagatorum von Pamphilus Gengenbach: „durch ihre ſprach
die mā nempt Rot“, das Rot nur eine dem nachfolgenden Reim „ſpodt“ zu
Gefallen geſchehene Verſtümmelung von „Rotwelſch“ iſt. Das niederdeutſche
rötern, räteln, raſſeln, klappern, metaph. viel, raſch und unverſtändlich
reden, ſteht mit rot in keiner Verbindung, ſondern iſt von Rad (rota) abzu-
leiten; davon Rätel, Röter und Rätelding, die Nachtwächterknarre; Rä-
terer,
Plappermaul, Schwätzer. Richey, Hamb. Idiot., S. 207.
2) Vgl. Th. I, S. 125.
3) Jm Althochdeutſchen iſt liegen liogan, lügen. Dagegen iſt ligen,
ahd. likkan, jacere. S. Wackernagel u. d. W. Die Schreibung ligen würde
allerdings hierher paſſen, da ligen auch noch heute, beſonders im nördlichen
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[18/0052] im Gegenſatz zu dem bunten Farbenton der Wieſe und des Waldes erſcheint. 1) Neuntes Kapitel. 2) Gil. Gewinnt ſomit ſchon das Rot des baſeler Rathsmandats eine nicht zu verkennende beſtimmte Bedeutung, ſo wird dieſe durch eine andere entſprechende Bezeichnung des Mandats noch mehr befeſtigt. Das Rathsmandat wurde, wie ſchon erwähnt, unmittel- bar nach dem baſeler Bündniß (1391) gegen die Geſellſchaft, „den man ſpricht Rot und Schwartz“, erlaſſen und erhielt im Ein- gange die Ueberſchrift: Diß iſt die Betrügniſſe damitte die Gilen und Lamen 2) u. ſ. w. Die Bedeutung der Lamen iſt nicht zu verkennen. Es ſind die ſimulanten Krüppel, welche durch Schauſtellung eines körper- lichen Gebrechens, wie z. B. durch Aufſchnallen eines Beins auf Krücken u. ſ. w., tiefern Eindruck auf das Mitleid zu machen ſuchten, um es deſto beſſer auszubeuten. J. Knebel vertauſcht das Lamen eigenmächtig mit Blinden, hat aber, gleich Brück- ner, die Gilen beibehalten, aus welchen Heumann („Exercita- tiones“, S. 174) die ſo vermeſſene wie wunderliche Transpoſition Lieger gemacht hat 3), welche doch wol eher dem trockenen 1) Zum Ueberfluß ſei hier nur flüchtig darauf hingewieſen, daß in V. 6 und 25 des Liber Vagatorum von Pamphilus Gengenbach: „durch ihre ſprach die mā nempt Rot“, das Rot nur eine dem nachfolgenden Reim „ſpodt“ zu Gefallen geſchehene Verſtümmelung von „Rotwelſch“ iſt. Das niederdeutſche rötern, räteln, raſſeln, klappern, metaph. viel, raſch und unverſtändlich reden, ſteht mit rot in keiner Verbindung, ſondern iſt von Rad (rota) abzu- leiten; davon Rätel, Röter und Rätelding, die Nachtwächterknarre; Rä- terer, Plappermaul, Schwätzer. Richey, Hamb. Idiot., S. 207. 2) Vgl. Th. I, S. 125. 3) Jm Althochdeutſchen iſt liegen liogan, lügen. Dagegen iſt ligen, ahd. likkan, jacere. S. Wackernagel u. d. W. Die Schreibung ligen würde allerdings hierher paſſen, da ligen auch noch heute, beſonders im nördlichen

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/52>, abgerufen am 30.04.2024.