Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

durchlaufen ließ. Wie nun Christensen mit ehrlicher Treue S. 33
erzählt, ging er mit seinen Gaunern das soeben in frischer Neu-
heit und Berühmtheit aufgetauchte Pfister'sche Wörterbuch durch
und -- seine Gauner "erklärten einstimmig, daß diese Sprache
wol einige Wörter enthalte, die mit denen der Jenischen gleich-
lautend, die mehrsten Wörter aber ihnen völlig unbekannt seien".
Dieser Versicherung Christensen's darf man vollen Glauben schen-
ken. Er selbst war gänzlich unerfahren in der Gaunersprache,
namentlich in ihrer dialektischen Dehnbarkeit und Mannichfaltigkeit,
und konnte die flüchtige magere Redaction und die dialektischen
Entstellungen in Pfister's Vocabeln seinen Gaunern nicht durch
helfenden Nachweis aufklären. Seine Gauner hatten, wie aus
ihrem Vocabelvorrath hervorgeht, besonders in Norddeutschland
von Holland herüber ihr Wesen getrieben und in ihrem Vocabel-
vorrath ganz die dialektische Abfärbung ihres Tummelplatzes an-
genommen. Pfister's Vocabeln, mit zum Theil unverständlicher,
einseitiger und sogar nicht selten falscher Jnterpretation, hatten
vorherrschend schwäbische und schweizerische Abfärbung, welche im
Vocabular namentlich durch die Benutzung der Vocabeln des con-
stanzer Hans noch verstärkt wurde. Wenn z. B. Pfister's Gauner
das "Baldobern" mit verrathen, entdecken, übersetzten (anstatt
treffender mit auskundschaften), so konnten schon Christensen's
Gauner dies bekannteste aller Gaunerwörter in der gegebenen Be-
deutung "verrathen, entdecken" leicht als falsch verwerfen, da sie
selbst für diesen Begriff das treffende "verschlichnen" (verslichnen)
oder "verrettern" hatten. Ebenso hatten Pfister's Gauner das ganz
böhmische "Balifker-Gordel" (poljwka, Suppe, kotel, Kessel)
als Kochkessel gegeben, wofür Christensen's Gauner das nieder-
deutsch gemischte "Finkel-Kordel" hatten. Aus Pfister's Per-
massenmatter
(Balmassematten) konnten Christensen's Gauner
ihren Bollmasamolten nicht herausfinden u. s. w.

Diese philologische Hartnäckigkeit seiner Gauner machte den
soeben erst mit Mühe zum Gaunersprach-Empiriker an ihnen ge-
wordenen wackern Christensen stutzig. Er sagt darüber S. 34:
"Die genaue Kenntniß, welche dem Herrn Stadtdirector Pfister

durchlaufen ließ. Wie nun Chriſtenſen mit ehrlicher Treue S. 33
erzählt, ging er mit ſeinen Gaunern das ſoeben in friſcher Neu-
heit und Berühmtheit aufgetauchte Pfiſter’ſche Wörterbuch durch
und — ſeine Gauner „erklärten einſtimmig, daß dieſe Sprache
wol einige Wörter enthalte, die mit denen der Jeniſchen gleich-
lautend, die mehrſten Wörter aber ihnen völlig unbekannt ſeien“.
Dieſer Verſicherung Chriſtenſen’s darf man vollen Glauben ſchen-
ken. Er ſelbſt war gänzlich unerfahren in der Gaunerſprache,
namentlich in ihrer dialektiſchen Dehnbarkeit und Mannichfaltigkeit,
und konnte die flüchtige magere Redaction und die dialektiſchen
Entſtellungen in Pfiſter’s Vocabeln ſeinen Gaunern nicht durch
helfenden Nachweis aufklären. Seine Gauner hatten, wie aus
ihrem Vocabelvorrath hervorgeht, beſonders in Norddeutſchland
von Holland herüber ihr Weſen getrieben und in ihrem Vocabel-
vorrath ganz die dialektiſche Abfärbung ihres Tummelplatzes an-
genommen. Pfiſter’s Vocabeln, mit zum Theil unverſtändlicher,
einſeitiger und ſogar nicht ſelten falſcher Jnterpretation, hatten
vorherrſchend ſchwäbiſche und ſchweizeriſche Abfärbung, welche im
Vocabular namentlich durch die Benutzung der Vocabeln des con-
ſtanzer Hans noch verſtärkt wurde. Wenn z. B. Pfiſter’s Gauner
das „Baldobern“ mit verrathen, entdecken, überſetzten (anſtatt
treffender mit auskundſchaften), ſo konnten ſchon Chriſtenſen’s
Gauner dies bekannteſte aller Gaunerwörter in der gegebenen Be-
deutung „verrathen, entdecken“ leicht als falſch verwerfen, da ſie
ſelbſt für dieſen Begriff das treffende „verſchlichnen“ (verſlichnen)
oder „verrettern“ hatten. Ebenſo hatten Pfiſter’s Gauner das ganz
böhmiſche „Balifker-Gordel“ (poljwka, Suppe, kotel, Keſſel)
als Kochkeſſel gegeben, wofür Chriſtenſen’s Gauner das nieder-
deutſch gemiſchte „Finkel-Kordel“ hatten. Aus Pfiſter’s Per-
maſſenmatter
(Balmaſſematten) konnten Chriſtenſen’s Gauner
ihren Bollmaſamolten nicht herausfinden u. ſ. w.

Dieſe philologiſche Hartnäckigkeit ſeiner Gauner machte den
ſoeben erſt mit Mühe zum Gaunerſprach-Empiriker an ihnen ge-
wordenen wackern Chriſtenſen ſtutzig. Er ſagt darüber S. 34:
„Die genaue Kenntniß, welche dem Herrn Stadtdirector Pfiſter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0209" n="197"/>
durchlaufen ließ. Wie nun Chri&#x017F;ten&#x017F;en mit ehrlicher Treue S. 33<lb/>
erzählt, ging er mit &#x017F;einen Gaunern das &#x017F;oeben in fri&#x017F;cher Neu-<lb/>
heit und Berühmtheit aufgetauchte Pfi&#x017F;ter&#x2019;&#x017F;che Wörterbuch durch<lb/>
und &#x2014; &#x017F;eine Gauner &#x201E;erklärten ein&#x017F;timmig, daß die&#x017F;e Sprache<lb/>
wol einige Wörter enthalte, die mit denen der Jeni&#x017F;chen gleich-<lb/>
lautend, die mehr&#x017F;ten Wörter aber ihnen völlig unbekannt &#x017F;eien&#x201C;.<lb/>
Die&#x017F;er Ver&#x017F;icherung Chri&#x017F;ten&#x017F;en&#x2019;s darf man vollen Glauben &#x017F;chen-<lb/>
ken. Er &#x017F;elb&#x017F;t war gänzlich unerfahren in der Gauner&#x017F;prache,<lb/>
namentlich in ihrer dialekti&#x017F;chen Dehnbarkeit und Mannichfaltigkeit,<lb/>
und konnte die flüchtige magere Redaction und die dialekti&#x017F;chen<lb/>
Ent&#x017F;tellungen in Pfi&#x017F;ter&#x2019;s Vocabeln &#x017F;einen Gaunern nicht durch<lb/>
helfenden Nachweis aufklären. Seine Gauner hatten, wie aus<lb/>
ihrem Vocabelvorrath hervorgeht, be&#x017F;onders in Norddeut&#x017F;chland<lb/>
von Holland herüber ihr We&#x017F;en getrieben und in ihrem Vocabel-<lb/>
vorrath ganz die dialekti&#x017F;che Abfärbung ihres Tummelplatzes an-<lb/>
genommen. Pfi&#x017F;ter&#x2019;s Vocabeln, mit zum Theil unver&#x017F;tändlicher,<lb/>
ein&#x017F;eitiger und &#x017F;ogar nicht &#x017F;elten fal&#x017F;cher Jnterpretation, hatten<lb/>
vorherr&#x017F;chend &#x017F;chwäbi&#x017F;che und &#x017F;chweizeri&#x017F;che Abfärbung, welche im<lb/>
Vocabular namentlich durch die Benutzung der Vocabeln des con-<lb/>
&#x017F;tanzer Hans noch ver&#x017F;tärkt wurde. Wenn z. B. Pfi&#x017F;ter&#x2019;s Gauner<lb/>
das &#x201E;Baldobern&#x201C; mit <hi rendition="#g">verrathen, entdecken,</hi> über&#x017F;etzten (an&#x017F;tatt<lb/>
treffender mit auskund&#x017F;chaften), &#x017F;o konnten &#x017F;chon Chri&#x017F;ten&#x017F;en&#x2019;s<lb/>
Gauner dies bekannte&#x017F;te aller Gaunerwörter in der gegebenen Be-<lb/>
deutung &#x201E;verrathen, entdecken&#x201C; leicht als fal&#x017F;ch verwerfen, da &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t für die&#x017F;en Begriff das treffende &#x201E;ver&#x017F;chlichnen&#x201C; (ver&#x017F;lichnen)<lb/>
oder &#x201E;verrettern&#x201C; hatten. Eben&#x017F;o hatten Pfi&#x017F;ter&#x2019;s Gauner das ganz<lb/>
böhmi&#x017F;che &#x201E;Balifker-Gordel&#x201C; (<hi rendition="#g">poljwka,</hi> Suppe, <hi rendition="#g">kotel,</hi> Ke&#x017F;&#x017F;el)<lb/>
als Kochke&#x017F;&#x017F;el gegeben, wofür Chri&#x017F;ten&#x017F;en&#x2019;s Gauner das nieder-<lb/>
deut&#x017F;ch gemi&#x017F;chte &#x201E;Finkel-Kordel&#x201C; hatten. Aus Pfi&#x017F;ter&#x2019;s <hi rendition="#g">Per-<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;enmatter</hi> (Balma&#x017F;&#x017F;ematten) konnten Chri&#x017F;ten&#x017F;en&#x2019;s Gauner<lb/>
ihren <hi rendition="#g">Bollma&#x017F;amolten</hi> nicht herausfinden u. &#x017F;. w.</p><lb/>
                <p>Die&#x017F;e philologi&#x017F;che Hartnäckigkeit &#x017F;einer Gauner machte den<lb/>
&#x017F;oeben er&#x017F;t mit Mühe zum Gauner&#x017F;prach-Empiriker an ihnen ge-<lb/>
wordenen wackern Chri&#x017F;ten&#x017F;en &#x017F;tutzig. Er &#x017F;agt darüber S. 34:<lb/>
&#x201E;Die genaue Kenntniß, welche dem Herrn Stadtdirector Pfi&#x017F;ter<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0209] durchlaufen ließ. Wie nun Chriſtenſen mit ehrlicher Treue S. 33 erzählt, ging er mit ſeinen Gaunern das ſoeben in friſcher Neu- heit und Berühmtheit aufgetauchte Pfiſter’ſche Wörterbuch durch und — ſeine Gauner „erklärten einſtimmig, daß dieſe Sprache wol einige Wörter enthalte, die mit denen der Jeniſchen gleich- lautend, die mehrſten Wörter aber ihnen völlig unbekannt ſeien“. Dieſer Verſicherung Chriſtenſen’s darf man vollen Glauben ſchen- ken. Er ſelbſt war gänzlich unerfahren in der Gaunerſprache, namentlich in ihrer dialektiſchen Dehnbarkeit und Mannichfaltigkeit, und konnte die flüchtige magere Redaction und die dialektiſchen Entſtellungen in Pfiſter’s Vocabeln ſeinen Gaunern nicht durch helfenden Nachweis aufklären. Seine Gauner hatten, wie aus ihrem Vocabelvorrath hervorgeht, beſonders in Norddeutſchland von Holland herüber ihr Weſen getrieben und in ihrem Vocabel- vorrath ganz die dialektiſche Abfärbung ihres Tummelplatzes an- genommen. Pfiſter’s Vocabeln, mit zum Theil unverſtändlicher, einſeitiger und ſogar nicht ſelten falſcher Jnterpretation, hatten vorherrſchend ſchwäbiſche und ſchweizeriſche Abfärbung, welche im Vocabular namentlich durch die Benutzung der Vocabeln des con- ſtanzer Hans noch verſtärkt wurde. Wenn z. B. Pfiſter’s Gauner das „Baldobern“ mit verrathen, entdecken, überſetzten (anſtatt treffender mit auskundſchaften), ſo konnten ſchon Chriſtenſen’s Gauner dies bekannteſte aller Gaunerwörter in der gegebenen Be- deutung „verrathen, entdecken“ leicht als falſch verwerfen, da ſie ſelbſt für dieſen Begriff das treffende „verſchlichnen“ (verſlichnen) oder „verrettern“ hatten. Ebenſo hatten Pfiſter’s Gauner das ganz böhmiſche „Balifker-Gordel“ (poljwka, Suppe, kotel, Keſſel) als Kochkeſſel gegeben, wofür Chriſtenſen’s Gauner das nieder- deutſch gemiſchte „Finkel-Kordel“ hatten. Aus Pfiſter’s Per- maſſenmatter (Balmaſſematten) konnten Chriſtenſen’s Gauner ihren Bollmaſamolten nicht herausfinden u. ſ. w. Dieſe philologiſche Hartnäckigkeit ſeiner Gauner machte den ſoeben erſt mit Mühe zum Gaunerſprach-Empiriker an ihnen ge- wordenen wackern Chriſtenſen ſtutzig. Er ſagt darüber S. 34: „Die genaue Kenntniß, welche dem Herrn Stadtdirector Pfiſter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/209
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/209>, abgerufen am 02.05.2024.