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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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rühmten, mit echt deutschem Fleiß und Geist geschriebenen, schon
oft erwähnten Werks: "Die Zigeuner in Europa und Asien",
der Gaunerlinguistik die Bahn gebrochen, indem er den Wortvor-
rath der von ihm geistvoll aufgefaßten und definirten Gauner-
sprache analytisch behandelte, sie nach ihrer logischen Bedeutung
untersuchte und, durch seine glänzende Sprachkenntniß unterstützt,
mit verwandten, ähnlichen und entsprechenden Wortformen ande-
rer Sprachen verglich. Begeht er dabei mancherlei Jrrthümer, so
ist das der großen Beschränktheit der ihm zur Hand gegebenen
Quellen und seinem Mangel an eingehender Kenntniß des Juden-
deutsch zuzuschreiben. Man darf ihm auch den Vorwurf nicht er-
sparen, daß er dem Dialektischen, besonders aber dem merkwürdig
stark durchscheinenden niederdeutschen Dialekt, zu wenig Rechnung
getragen hat. Seine Untersuchungen sind überhaupt auch nur ver-
einzelte Aphorismen. Aber immer sind sie doch originell und geist-
voll, und jedenfalls gebührt Pott das Verdienst, zuerst und gründ-
lich auf den Bau der Gaunersprache aufmerksam gemacht und den
Weg zu ihrer etymologischen und kritischen Bearbeitung angebahnt
zu haben. Zu den auffälligen Jrrthümern Pott's gehört z. B.
S. 16 Serfschnorrer, Brandbettler, vom deutschen schnorren
und dem zig. serfo, die Linke, anstatt vom jüdischdeutschen saraph,
brennen; ferner ebendaselbst Stühre, Stirigen, Henne, von
Stärchen, kleiner Staar, anstatt von stiren, stüren, scharren,
wovon die wienerischen Knochensammler den Namen Banlstierer
haben. Ferner S. 23: Schoter, Schauter, Büttel, vom deut-
schen Schauder, weil die Schuldigen Schauder vor ihm bekommen,
anstatt vom jüdischdeutschen schot, Geißel; S. 31: Handwasser,
Schuster (zu eng nach dem waldheimer Lexikon), weil seine Hände
allerdings des Wassers bedürfen, anstatt aus der schon oben (S. 103)
erwähnten corrumpirten niederdeutschen Aussprache von Handwerker;
S. 32 ist Mitteleile, Mitternacht, und Mittiom, Mittag, kei-
neswegs hybrider oder ganz fremder Ausdruck, sondern Composi-
tion vom deutschen Mitte und dem hebräischen laila, Nacht, und
jom, Tag; ebenso wenig ist Lehmschuppen, Backhaus, hybri-
disch, da es aus dem hebräischen lechem, Brod, und dem deut-

Ave-Lallemant, Gaunerthum. IV. 18

rühmten, mit echt deutſchem Fleiß und Geiſt geſchriebenen, ſchon
oft erwähnten Werks: „Die Zigeuner in Europa und Aſien“,
der Gaunerlinguiſtik die Bahn gebrochen, indem er den Wortvor-
rath der von ihm geiſtvoll aufgefaßten und definirten Gauner-
ſprache analytiſch behandelte, ſie nach ihrer logiſchen Bedeutung
unterſuchte und, durch ſeine glänzende Sprachkenntniß unterſtützt,
mit verwandten, ähnlichen und entſprechenden Wortformen ande-
rer Sprachen verglich. Begeht er dabei mancherlei Jrrthümer, ſo
iſt das der großen Beſchränktheit der ihm zur Hand gegebenen
Quellen und ſeinem Mangel an eingehender Kenntniß des Juden-
deutſch zuzuſchreiben. Man darf ihm auch den Vorwurf nicht er-
ſparen, daß er dem Dialektiſchen, beſonders aber dem merkwürdig
ſtark durchſcheinenden niederdeutſchen Dialekt, zu wenig Rechnung
getragen hat. Seine Unterſuchungen ſind überhaupt auch nur ver-
einzelte Aphorismen. Aber immer ſind ſie doch originell und geiſt-
voll, und jedenfalls gebührt Pott das Verdienſt, zuerſt und gründ-
lich auf den Bau der Gaunerſprache aufmerkſam gemacht und den
Weg zu ihrer etymologiſchen und kritiſchen Bearbeitung angebahnt
zu haben. Zu den auffälligen Jrrthümern Pott’s gehört z. B.
S. 16 Serfſchnorrer, Brandbettler, vom deutſchen ſchnorren
und dem zig. serfo, die Linke, anſtatt vom jüdiſchdeutſchen saraph,
brennen; ferner ebendaſelbſt Stühre, Stirigen, Henne, von
Stärchen, kleiner Staar, anſtatt von ſtiren, ſtüren, ſcharren,
wovon die wieneriſchen Knochenſammler den Namen Banlſtierer
haben. Ferner S. 23: Schoter, Schauter, Büttel, vom deut-
ſchen Schauder, weil die Schuldigen Schauder vor ihm bekommen,
anſtatt vom jüdiſchdeutſchen schot, Geißel; S. 31: Handwaſſer,
Schuſter (zu eng nach dem waldheimer Lexikon), weil ſeine Hände
allerdings des Waſſers bedürfen, anſtatt aus der ſchon oben (S. 103)
erwähnten corrumpirten niederdeutſchen Ausſprache von Handwerker;
S. 32 iſt Mitteleile, Mitternacht, und Mittiom, Mittag, kei-
neswegs hybrider oder ganz fremder Ausdruck, ſondern Compoſi-
tion vom deutſchen Mitte und dem hebräiſchen laila, Nacht, und
jom, Tag; ebenſo wenig iſt Lehmſchuppen, Backhaus, hybri-
diſch, da es aus dem hebräiſchen lechem, Brod, und dem deut-

Avé-Lallemant, Gaunerthum. IV. 18
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[273/0285] rühmten, mit echt deutſchem Fleiß und Geiſt geſchriebenen, ſchon oft erwähnten Werks: „Die Zigeuner in Europa und Aſien“, der Gaunerlinguiſtik die Bahn gebrochen, indem er den Wortvor- rath der von ihm geiſtvoll aufgefaßten und definirten Gauner- ſprache analytiſch behandelte, ſie nach ihrer logiſchen Bedeutung unterſuchte und, durch ſeine glänzende Sprachkenntniß unterſtützt, mit verwandten, ähnlichen und entſprechenden Wortformen ande- rer Sprachen verglich. Begeht er dabei mancherlei Jrrthümer, ſo iſt das der großen Beſchränktheit der ihm zur Hand gegebenen Quellen und ſeinem Mangel an eingehender Kenntniß des Juden- deutſch zuzuſchreiben. Man darf ihm auch den Vorwurf nicht er- ſparen, daß er dem Dialektiſchen, beſonders aber dem merkwürdig ſtark durchſcheinenden niederdeutſchen Dialekt, zu wenig Rechnung getragen hat. Seine Unterſuchungen ſind überhaupt auch nur ver- einzelte Aphorismen. Aber immer ſind ſie doch originell und geiſt- voll, und jedenfalls gebührt Pott das Verdienſt, zuerſt und gründ- lich auf den Bau der Gaunerſprache aufmerkſam gemacht und den Weg zu ihrer etymologiſchen und kritiſchen Bearbeitung angebahnt zu haben. Zu den auffälligen Jrrthümern Pott’s gehört z. B. S. 16 Serfſchnorrer, Brandbettler, vom deutſchen ſchnorren und dem zig. serfo, die Linke, anſtatt vom jüdiſchdeutſchen saraph, brennen; ferner ebendaſelbſt Stühre, Stirigen, Henne, von Stärchen, kleiner Staar, anſtatt von ſtiren, ſtüren, ſcharren, wovon die wieneriſchen Knochenſammler den Namen Banlſtierer haben. Ferner S. 23: Schoter, Schauter, Büttel, vom deut- ſchen Schauder, weil die Schuldigen Schauder vor ihm bekommen, anſtatt vom jüdiſchdeutſchen schot, Geißel; S. 31: Handwaſſer, Schuſter (zu eng nach dem waldheimer Lexikon), weil ſeine Hände allerdings des Waſſers bedürfen, anſtatt aus der ſchon oben (S. 103) erwähnten corrumpirten niederdeutſchen Ausſprache von Handwerker; S. 32 iſt Mitteleile, Mitternacht, und Mittiom, Mittag, kei- neswegs hybrider oder ganz fremder Ausdruck, ſondern Compoſi- tion vom deutſchen Mitte und dem hebräiſchen laila, Nacht, und jom, Tag; ebenſo wenig iſt Lehmſchuppen, Backhaus, hybri- diſch, da es aus dem hebräiſchen lechem, Brod, und dem deut- Avé-Lallemant, Gaunerthum. IV. 18

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/285>, abgerufen am 29.04.2024.