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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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Die letzte, aber jährlich wiederkehrende Entwickelung im Geschlechts-Ap-
parate besteht endlich darin, dass im Eierstocke die Dotterkugeln und im Hoden
der befruchtende Stoff sich ausbilden und zeugungsfähig werden.

Ueberblicken wir noch zum Schlusse die ganze Lebensgeschichte des Vogels,oo. Rück-
blick auf die
Entwicke-
lungs-Ge-
schichte der
Vögel.

so finden wir, dass diese in zwei ganz verschiedene Seiten zerfällt, in die Entwi-
ckelung des Individuums für sich, und in die Entwickelung für das Geschlecht.
Die letztere wird zwar schon früh eingeleitet, allein sie schreitet erst dann rasch
fort, wenn die Entwickelung des Individuums fast vollendet ist, oder kaum merk-
lich fortschreitet, erneut sich aber jährlich. Mit dem Aufhören des geschlechtli-
chen Lebens ist auch das Individuum verblüht.

Da die Geburt aus den Eihüllen sehr viel später erfolgt, als der Austritt des
Eies aus dem mütterlichen Körper, so müssen für die Entwickelung des Indivi-
duums alle Lebensfunctionen wenigstens zwei der Zeit nach sehr ungleiche Perio-
den zeigen, indem sie zuerst nur durch den Inhalt des Eies, also durch Das, was
der mütterliche Körper gegeben hat, bedingt werden, und erst nach der Enthül-
lung die Wechselwirkung mit der Aussenwelt eintritt.

In Bezug auf das sensorielle Leben können wir diese beiden Perioden als
Schlafen und Wachen bezeichnen, da während des Lebens im Eie nur die nieder-
ste Form, die wir Gemeingefühl nennen, sich offenbart. Dieses Gemeingefühl
erzeugt zwar auch Bewegungen, aber nur bewusstlose, und scheint mit dem später
in täglicher Periodicität wiederkehrenden Schlafzustande übereinzustimmen.

In der Verdauung lassen sich drei Perioden unterscheiden, indem zuerst
nur Dottersubstanz, dann Fruchtwasser aufgenommen wird, und zuletzt erst Nah-
rung aus der Aussenwelt.

Athmung und Blutbewegung haben wir schon in vier Perioden dargestellt,
die man mit den Ausdrücken: Blutbildung, einfacher Kreislauf, unvollkommen
doppelter und vollkommen doppelter Kreislauf, bezeichnen kann.

Alle solche Perioden sind aber nicht absolut geschieden, sondern in einander
übergehend, und in der einen werden immer die Vorbereitungen für die folgende
kenntlich.

ein Kanal liegt, der, verschieden vom falschen Harnleiter, zum Saamenleiter wird. Zuvörderst
sieht man in früherer Zeit, wo die Geschlechter noch nicht verschieden sind, in allen Individuen
neben den Primordial-Nieren einen Kanal. Ich habe früher vorzüglich durch Queerschnitte von
seinem Daseyu mich überzeugt und darin die angegebene Entstehungsweise zu erkennen geglaubt.
Nun scheint mir aber dieser Kanal derselbe, der später, wenn die Primordial-Niere sich ver-
grössert hat, ihr aufliegt und der falsche Harnleiter mehr tief zu liegen. Da ich endlich einmal
diesen Band in die Druckerei schicken muss, so habe ich mir für das nächste Jahr eine genauere
Untersuchung vorbehalten, da ich, was dieses Jahr mir zeigte, nicht einmal unter sich in Har-
monie bringen kann.
II. U

Die letzte, aber jährlich wiederkehrende Entwickelung im Geschlechts-Ap-
parate besteht endlich darin, daſs im Eierstocke die Dotterkugeln und im Hoden
der befruchtende Stoff sich ausbilden und zeugungsfähig werden.

Ueberblicken wir noch zum Schlusse die ganze Lebensgeschichte des Vogels,oo. Rück-
blick auf die
Entwicke-
lungs-Ge-
schichte der
Vögel.

so finden wir, daſs diese in zwei ganz verschiedene Seiten zerfällt, in die Entwi-
ckelung des Individuums für sich, und in die Entwickelung für das Geschlecht.
Die letztere wird zwar schon früh eingeleitet, allein sie schreitet erst dann rasch
fort, wenn die Entwickelung des Individuums fast vollendet ist, oder kaum merk-
lich fortschreitet, erneut sich aber jährlich. Mit dem Aufhören des geschlechtli-
chen Lebens ist auch das Individuum verblüht.

Da die Geburt aus den Eihüllen sehr viel später erfolgt, als der Austritt des
Eies aus dem mütterlichen Körper, so müssen für die Entwickelung des Indivi-
duums alle Lebensfunctionen wenigstens zwei der Zeit nach sehr ungleiche Perio-
den zeigen, indem sie zuerst nur durch den Inhalt des Eies, also durch Das, was
der mütterliche Körper gegeben hat, bedingt werden, und erst nach der Enthül-
lung die Wechselwirkung mit der Auſsenwelt eintritt.

In Bezug auf das sensorielle Leben können wir diese beiden Perioden als
Schlafen und Wachen bezeichnen, da während des Lebens im Eie nur die nieder-
ste Form, die wir Gemeingefühl nennen, sich offenbart. Dieses Gemeingefühl
erzeugt zwar auch Bewegungen, aber nur bewuſstlose, und scheint mit dem später
in täglicher Periodicität wiederkehrenden Schlafzustande übereinzustimmen.

In der Verdauung lassen sich drei Perioden unterscheiden, indem zuerst
nur Dottersubstanz, dann Fruchtwasser aufgenommen wird, und zuletzt erst Nah-
rung aus der Auſsenwelt.

Athmung und Blutbewegung haben wir schon in vier Perioden dargestellt,
die man mit den Ausdrücken: Blutbildung, einfacher Kreislauf, unvollkommen
doppelter und vollkommen doppelter Kreislauf, bezeichnen kann.

Alle solche Perioden sind aber nicht absolut geschieden, sondern in einander
übergehend, und in der einen werden immer die Vorbereitungen für die folgende
kenntlich.

ein Kanal liegt, der, verschieden vom falschen Harnleiter, zum Saamenleiter wird. Zuvörderst
sieht man in früherer Zeit, wo die Geschlechter noch nicht verschieden sind, in allen Individuen
neben den Primordial-Nieren einen Kanal. Ich habe früher vorzüglich durch Queerschnitte von
seinem Daseyu mich überzeugt und darin die angegebene Entstehungsweise zu erkennen geglaubt.
Nun scheint mir aber dieser Kanal derselbe, der später, wenn die Primordial-Niere sich ver-
gröſsert hat, ihr aufliegt und der falsche Harnleiter mehr tief zu liegen. Da ich endlich einmal
diesen Band in die Druckerei schicken muſs, so habe ich mir für das nächste Jahr eine genauere
Untersuchung vorbehalten, da ich, was dieses Jahr mir zeigte, nicht einmal unter sich in Har-
monie bringen kann.
II. U
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[153/0163] Die letzte, aber jährlich wiederkehrende Entwickelung im Geschlechts-Ap- parate besteht endlich darin, daſs im Eierstocke die Dotterkugeln und im Hoden der befruchtende Stoff sich ausbilden und zeugungsfähig werden. Ueberblicken wir noch zum Schlusse die ganze Lebensgeschichte des Vogels, so finden wir, daſs diese in zwei ganz verschiedene Seiten zerfällt, in die Entwi- ckelung des Individuums für sich, und in die Entwickelung für das Geschlecht. Die letztere wird zwar schon früh eingeleitet, allein sie schreitet erst dann rasch fort, wenn die Entwickelung des Individuums fast vollendet ist, oder kaum merk- lich fortschreitet, erneut sich aber jährlich. Mit dem Aufhören des geschlechtli- chen Lebens ist auch das Individuum verblüht. oo. Rück- blick auf die Entwicke- lungs-Ge- schichte der Vögel. Da die Geburt aus den Eihüllen sehr viel später erfolgt, als der Austritt des Eies aus dem mütterlichen Körper, so müssen für die Entwickelung des Indivi- duums alle Lebensfunctionen wenigstens zwei der Zeit nach sehr ungleiche Perio- den zeigen, indem sie zuerst nur durch den Inhalt des Eies, also durch Das, was der mütterliche Körper gegeben hat, bedingt werden, und erst nach der Enthül- lung die Wechselwirkung mit der Auſsenwelt eintritt. In Bezug auf das sensorielle Leben können wir diese beiden Perioden als Schlafen und Wachen bezeichnen, da während des Lebens im Eie nur die nieder- ste Form, die wir Gemeingefühl nennen, sich offenbart. Dieses Gemeingefühl erzeugt zwar auch Bewegungen, aber nur bewuſstlose, und scheint mit dem später in täglicher Periodicität wiederkehrenden Schlafzustande übereinzustimmen. In der Verdauung lassen sich drei Perioden unterscheiden, indem zuerst nur Dottersubstanz, dann Fruchtwasser aufgenommen wird, und zuletzt erst Nah- rung aus der Auſsenwelt. Athmung und Blutbewegung haben wir schon in vier Perioden dargestellt, die man mit den Ausdrücken: Blutbildung, einfacher Kreislauf, unvollkommen doppelter und vollkommen doppelter Kreislauf, bezeichnen kann. Alle solche Perioden sind aber nicht absolut geschieden, sondern in einander übergehend, und in der einen werden immer die Vorbereitungen für die folgende kenntlich. **) **) ein Kanal liegt, der, verschieden vom falschen Harnleiter, zum Saamenleiter wird. Zuvörderst sieht man in früherer Zeit, wo die Geschlechter noch nicht verschieden sind, in allen Individuen neben den Primordial-Nieren einen Kanal. Ich habe früher vorzüglich durch Queerschnitte von seinem Daseyu mich überzeugt und darin die angegebene Entstehungsweise zu erkennen geglaubt. Nun scheint mir aber dieser Kanal derselbe, der später, wenn die Primordial-Niere sich ver- gröſsert hat, ihr aufliegt und der falsche Harnleiter mehr tief zu liegen. Da ich endlich einmal diesen Band in die Druckerei schicken muſs, so habe ich mir für das nächste Jahr eine genauere Untersuchung vorbehalten, da ich, was dieses Jahr mir zeigte, nicht einmal unter sich in Har- monie bringen kann. II. U

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/163>, abgerufen am 29.04.2024.