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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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mir aber der Moment des Unterschiebens entgangen ist. Unterstützt wird diese
Ueberzeugung dadurch, dass man im Innern dieses Bläschens Etwas zu sehen
glaubt, von dem ich meinte, dass es der Sehhügel seyn könnte, der aber selbst
nach dem Auskriechen noch nicht da ist. Um die Zeit, wo aus zwei Hirnblasen
nur eine grössere zu werden scheint, ist das Hirn noch so ungemein dünnwandig
und zart, dass eine zuverlässige Zergliederung mir nicht ausführbar schien, und
so deutlich man auch die Decke der Hirnzelle unter dem Mikroskope sehen kann,
so ist doch die untere Region von zu vieler Masse umgeben, um sie deutlich un-
terscheiden zu können. Mögen durch meine Zweifel Andere aufmerksam gemacht
werden, um wo möglich an andern Fischen, in denen vielleicht dieselbe Meta-
morphose nicht so früh oder nicht so rasch erfolgt, sie zu beobachten *). Die Fi-
sche, deren Hirnbildung ich verfolgt habe, waren Güster (Cyprinus Blicca)
und Rothaugen (Cyprinus Erythrophthalmus). In den letztern ist das
Hirn in der ersten Zeit aber besonders zart und durchsichtig.

In den Knorpelfischen erfolgt die Hirnmetamorphose sehr viel langsamer und
auf andere Weise. Sie nähert sich viel mehr den Batrachiern. In einem Hay, der
nicht viel über einen Zoll lang und noch nicht drei Linien breit ist, also wahr-
scheinlich jünger als irgend einer von denen, die Rathke untersucht hat, sehe
ich für das Nachhirn und das Hinterhirn nur noch eine einfache Mulde, das Mit-
telhirn bildet eine einfache Blase, das Zwischenhirn eine lange, gekrümmte, doch
mehr als das Mittelhirn erhobene Zelle, das Vorderhirn ist von dieser stark abge-
setzt, viel breiter, von ansehnlicher Grösse, mit kurzen Vorragungen für die Riech-
**)

*) Zwar haben wir schon eine schöne Entwickelungsgeschichte eines Fisches (des Blennius vi-
viparus
) von Rathke. Allein theils hat Rathke die Embryonen nicht zu allen Zeiten ge-
habt, theils scheint er keinen Zweifel in Carus Ansicht gesetzt zu haben. Bei der Form, die
Rathke (Abh. zur Bild. u. Entwickelung B. II. Taf. V. Fig. 5.) abbildet, ist der entscheideude
Moment schon vorüber.
**) Man wird, wenn man diese kurze Darstellung mit der von Rathke (Neueste Schriften der na-
turf. Gesellschaft zu Danzig Bd. II. Heft 2.) vergleicht finden, dass meine Untersuchungen mit
denen von Rathke im Wesentlichen übereinstimmen, dass ich aber die Theile anders benen-
nen zu müssen glaube. Meine Gründe scheinen mir einleuchtend. Wenn man Rathke's Ab-
bildungen Taf. I. Fig. 3. und 8. ansieht, so findet man den Schluss der obern Ränder der Mark-
platten. Dieser bildet bei allen Embryonen früherer Zeit nicht den hintern, sondern den vor-
dern Rand des Hinterhirnes, diess kann also nicht das kleine Hirn seyn, sondern muss das Mit-
telhirn (Vierhügel) genannt werden. Das Hirn von Petromyzon marinus, so wie jedes Ba-
trachiers, kann hierüber gar nicht zweifelhaft lassen. Auch bitte ich Fig. 5. derselben Tafel an-
zuschen, wo sehr richtig die geringe Abgrenzung zwischen dem zweiten und dritten Hirnbläschen
dargestellt ist. Nun giebt es aber, so viel ich weiss, keinen Embryo, wo das Hinterhirn nicht
auch in der Decke stark gegen das Zwischenhirn verschnürt wäre.

mir aber der Moment des Unterschiebens entgangen ist. Unterstützt wird diese
Ueberzeugung dadurch, daſs man im Innern dieses Bläschens Etwas zu sehen
glaubt, von dem ich meinte, daſs es der Sehhügel seyn könnte, der aber selbst
nach dem Auskriechen noch nicht da ist. Um die Zeit, wo aus zwei Hirnblasen
nur eine gröſsere zu werden scheint, ist das Hirn noch so ungemein dünnwandig
und zart, daſs eine zuverlässige Zergliederung mir nicht ausführbar schien, und
so deutlich man auch die Decke der Hirnzelle unter dem Mikroskope sehen kann,
so ist doch die untere Region von zu vieler Masse umgeben, um sie deutlich un-
terscheiden zu können. Mögen durch meine Zweifel Andere aufmerksam gemacht
werden, um wo möglich an andern Fischen, in denen vielleicht dieselbe Meta-
morphose nicht so früh oder nicht so rasch erfolgt, sie zu beobachten *). Die Fi-
sche, deren Hirnbildung ich verfolgt habe, waren Güster (Cyprinus Blicca)
und Rothaugen (Cyprinus Erythrophthalmus). In den letztern ist das
Hirn in der ersten Zeit aber besonders zart und durchsichtig.

In den Knorpelfischen erfolgt die Hirnmetamorphose sehr viel langsamer und
auf andere Weise. Sie nähert sich viel mehr den Batrachiern. In einem Hay, der
nicht viel über einen Zoll lang und noch nicht drei Linien breit ist, also wahr-
scheinlich jünger als irgend einer von denen, die Rathke untersucht hat, sehe
ich für das Nachhirn und das Hinterhirn nur noch eine einfache Mulde, das Mit-
telhirn bildet eine einfache Blase, das Zwischenhirn eine lange, gekrümmte, doch
mehr als das Mittelhirn erhobene Zelle, das Vorderhirn ist von dieser stark abge-
setzt, viel breiter, von ansehnlicher Gröſse, mit kurzen Vorragungen für die Riech-
**)

*) Zwar haben wir schon eine schöne Entwickelungsgeschichte eines Fisches (des Blennius vi-
viparus
) von Rathke. Allein theils hat Rathke die Embryonen nicht zu allen Zeiten ge-
habt, theils scheint er keinen Zweifel in Carus Ansicht gesetzt zu haben. Bei der Form, die
Rathke (Abh. zur Bild. u. Entwickelung B. II. Taf. V. Fig. 5.) abbildet, ist der entscheideude
Moment schon vorüber.
**) Man wird, wenn man diese kurze Darstellung mit der von Rathke (Neueste Schriften der na-
turf. Gesellschaft zu Danzig Bd. II. Heft 2.) vergleicht finden, daſs meine Untersuchungen mit
denen von Rathke im Wesentlichen übereinstimmen, daſs ich aber die Theile anders benen-
nen zu müssen glaube. Meine Gründe scheinen mir einleuchtend. Wenn man Rathke’s Ab-
bildungen Taf. I. Fig. 3. und 8. ansieht, so findet man den Schluſs der obern Ränder der Mark-
platten. Dieser bildet bei allen Embryonen früherer Zeit nicht den hintern, sondern den vor-
dern Rand des Hinterhirnes, dieſs kann also nicht das kleine Hirn seyn, sondern muſs das Mit-
telhirn (Vierhügel) genannt werden. Das Hirn von Petromyzon marinus, so wie jedes Ba-
trachiers, kann hierüber gar nicht zweifelhaft lassen. Auch bitte ich Fig. 5. derselben Tafel an-
zuschen, wo sehr richtig die geringe Abgrenzung zwischen dem zweiten und dritten Hirnbläschen
dargestellt ist. Nun giebt es aber, so viel ich weiſs, keinen Embryo, wo das Hinterhirn nicht
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[310/0320] mir aber der Moment des Unterschiebens entgangen ist. Unterstützt wird diese Ueberzeugung dadurch, daſs man im Innern dieses Bläschens Etwas zu sehen glaubt, von dem ich meinte, daſs es der Sehhügel seyn könnte, der aber selbst nach dem Auskriechen noch nicht da ist. Um die Zeit, wo aus zwei Hirnblasen nur eine gröſsere zu werden scheint, ist das Hirn noch so ungemein dünnwandig und zart, daſs eine zuverlässige Zergliederung mir nicht ausführbar schien, und so deutlich man auch die Decke der Hirnzelle unter dem Mikroskope sehen kann, so ist doch die untere Region von zu vieler Masse umgeben, um sie deutlich un- terscheiden zu können. Mögen durch meine Zweifel Andere aufmerksam gemacht werden, um wo möglich an andern Fischen, in denen vielleicht dieselbe Meta- morphose nicht so früh oder nicht so rasch erfolgt, sie zu beobachten *). Die Fi- sche, deren Hirnbildung ich verfolgt habe, waren Güster (Cyprinus Blicca) und Rothaugen (Cyprinus Erythrophthalmus). In den letztern ist das Hirn in der ersten Zeit aber besonders zart und durchsichtig. In den Knorpelfischen erfolgt die Hirnmetamorphose sehr viel langsamer und auf andere Weise. Sie nähert sich viel mehr den Batrachiern. In einem Hay, der nicht viel über einen Zoll lang und noch nicht drei Linien breit ist, also wahr- scheinlich jünger als irgend einer von denen, die Rathke untersucht hat, sehe ich für das Nachhirn und das Hinterhirn nur noch eine einfache Mulde, das Mit- telhirn bildet eine einfache Blase, das Zwischenhirn eine lange, gekrümmte, doch mehr als das Mittelhirn erhobene Zelle, das Vorderhirn ist von dieser stark abge- setzt, viel breiter, von ansehnlicher Gröſse, mit kurzen Vorragungen für die Riech- **) *) Zwar haben wir schon eine schöne Entwickelungsgeschichte eines Fisches (des Blennius vi- viparus) von Rathke. Allein theils hat Rathke die Embryonen nicht zu allen Zeiten ge- habt, theils scheint er keinen Zweifel in Carus Ansicht gesetzt zu haben. Bei der Form, die Rathke (Abh. zur Bild. u. Entwickelung B. II. Taf. V. Fig. 5.) abbildet, ist der entscheideude Moment schon vorüber. **) Man wird, wenn man diese kurze Darstellung mit der von Rathke (Neueste Schriften der na- turf. Gesellschaft zu Danzig Bd. II. Heft 2.) vergleicht finden, daſs meine Untersuchungen mit denen von Rathke im Wesentlichen übereinstimmen, daſs ich aber die Theile anders benen- nen zu müssen glaube. Meine Gründe scheinen mir einleuchtend. Wenn man Rathke’s Ab- bildungen Taf. I. Fig. 3. und 8. ansieht, so findet man den Schluſs der obern Ränder der Mark- platten. Dieser bildet bei allen Embryonen früherer Zeit nicht den hintern, sondern den vor- dern Rand des Hinterhirnes, dieſs kann also nicht das kleine Hirn seyn, sondern muſs das Mit- telhirn (Vierhügel) genannt werden. Das Hirn von Petromyzon marinus, so wie jedes Ba- trachiers, kann hierüber gar nicht zweifelhaft lassen. Auch bitte ich Fig. 5. derselben Tafel an- zuschen, wo sehr richtig die geringe Abgrenzung zwischen dem zweiten und dritten Hirnbläschen dargestellt ist. Nun giebt es aber, so viel ich weiſs, keinen Embryo, wo das Hinterhirn nicht auch in der Decke stark gegen das Zwischenhirn verschnürt wäre.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/320>, abgerufen am 16.05.2024.