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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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uns bildlich vorstellten, und es fehlt nichts als das Werkzeug für die Abschnürung,
die Hand oder der Bindfaden. Die Natur vollführt diese Operation ohne ein sol-
ches äusseres Hülfsmittel nach einer innern Veränderung, die durch das Wort
Abschnürung vollkommen bezeichnet wird. Wirklich hat, wie in jener bild-
lichen Darstellung, der Embryo eine Höhlung, die von der innern, ursprünglich
untern Fläche des Keimes gebildet wird und durch einen engen Kanal in den
Dottersack übergeht.

l. Spaltung
des Keimes
in Blätter.
Taf. I. II.
Taf. IV. F. 6.

Durch den Umstand allein, dass mehrere Metamorphosen gleichzeitig bei
der Gestaltung des Embryo vor sich gehen, wird ihre Auffassung etwas schwie-
riger, wenn auch die Metamorphosen an sich ganz verständlich sind. So muss
ich Sie nun bitten, so bald Ihnen die Vorstellung von dieser ganz einfachen Ab-
schnürung geläufig ist, sich eine gleichzeitige Spaltung des gesammten Keimes in
mehrere Schichten zu denken. Er trennt sich in zwei Hauptblätter, eine ober-
flächlichere und eine tiefere, beide scheiden sich wieder in zwei Schichten, wel-
che sich aber nicht völlig von einander trennen. Aus dem oberflächlichern Blatte
bilden sich die animalischen Theile des Embryo, aus dem tiefern die vegetativen
oder plastischen. Hiernach wollen wir beide Hauptblätter das animalische und
das vegetative benennen *). Von der Ausbildung des Embryo an sich sprechen

*) Das animalische Blatt ist das seröse Blatt Pander's, das vegetative Blatt besteht aus Pan-
der
's Gefässblatt und Schleimblatt.
Die verschiedenen Schichten, welche sich im Keime bilden, sind zuerst in den Würzburger
Untersuchungen gehörig ins Auge gefasst worden, und nur unter den dort gewählten Namen
waren sie den Physiologen bekannt geworden. Aus diesem Grunde schon bemühte ich mich
bei Erzählung der Entwickelungsgeschichte des Hühnchens, wie sie im ersten Theile sich fin-
det, die Würzburger Namen beizubehalten, zum Theil aber, wie man leicht erkennen wird,
mit Widerstreben des Stoffes. Die Benennungen Schleimblatt und Gefässblatt scheinen mir
sehr glücklich gewählt, weil sie die Bedeutung dieser Schichten vollständig aussprechen.
Dagegen war mir die Benennung des serösen Blattes unbequem, erstens weil dieses Blatt nur
in seinem peripherischen Theile ein blosser Ueberzug bleibt, im Embryo dagegen die wichtig-
sten Theile bildet, in diesem und später zum Theil sogar im Amnion in zwei Schichten sich
scheidet, und zweitens weil er offenbar für sich den Gegensatz zu den beiden andern Schich-
ten bildet, da aus ihm der ganze animalische Leib des Embryo wird. Deshalb konnte ich
nicht umhin, als ich von der Bildung der Banchhöhle sprach, zu sagen, dass der Keim sich
hier in zwei Lagen, eine animalische und eine plastische, trennt (Erster Theil S. 42), und
im 4ten Scholion, wo ich nachweise, wie die Primitivorgane der Wirbelthiere im Keime
durch die primäre Sonderung sich bilden, war es ganz unvermeidlich, dieses obere Haupt-
blatt als den Gegensatz der beiden andern zu behandeln. So mag es denn hier gleich von
vorn hinein als das bezeichnet werden, was es ist, als das animalische Blatt. Wir wer-
den uns durch diese Benennung eine Menge Umschreibungen und Demonstrationen ersparen,
wenn wir zur Vergleichung der Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere unter sich und
mit den niedern Thieren übergehen. Unser vegetatives Blatt also enthält eine Schleimhaut-
schicht
und eine Gefässschicht, das animalische Blatt ist aber übereinstimmend mit Pan-

uns bildlich vorstellten, und es fehlt nichts als das Werkzeug für die Abschnürung,
die Hand oder der Bindfaden. Die Natur vollführt diese Operation ohne ein sol-
ches äuſseres Hülfsmittel nach einer innern Veränderung, die durch das Wort
Abschnürung vollkommen bezeichnet wird. Wirklich hat, wie in jener bild-
lichen Darstellung, der Embryo eine Höhlung, die von der innern, ursprünglich
untern Fläche des Keimes gebildet wird und durch einen engen Kanal in den
Dottersack übergeht.

l. Spaltung
des Keimes
in Blätter.
Taf. I. II.
Taf. IV. F. 6.

Durch den Umstand allein, daſs mehrere Metamorphosen gleichzeitig bei
der Gestaltung des Embryo vor sich gehen, wird ihre Auffassung etwas schwie-
riger, wenn auch die Metamorphosen an sich ganz verständlich sind. So muſs
ich Sie nun bitten, so bald Ihnen die Vorstellung von dieser ganz einfachen Ab-
schnürung geläufig ist, sich eine gleichzeitige Spaltung des gesammten Keimes in
mehrere Schichten zu denken. Er trennt sich in zwei Hauptblätter, eine ober-
flächlichere und eine tiefere, beide scheiden sich wieder in zwei Schichten, wel-
che sich aber nicht völlig von einander trennen. Aus dem oberflächlichern Blatte
bilden sich die animalischen Theile des Embryo, aus dem tiefern die vegetativen
oder plastischen. Hiernach wollen wir beide Hauptblätter das animalische und
das vegetative benennen *). Von der Ausbildung des Embryo an sich sprechen

*) Das animalische Blatt ist das seröse Blatt Pander’s, das vegetative Blatt besteht aus Pan-
der
’s Gefäſsblatt und Schleimblatt.
Die verschiedenen Schichten, welche sich im Keime bilden, sind zuerst in den Würzburger
Untersuchungen gehörig ins Auge gefaſst worden, und nur unter den dort gewählten Namen
waren sie den Physiologen bekannt geworden. Aus diesem Grunde schon bemühte ich mich
bei Erzählung der Entwickelungsgeschichte des Hühnchens, wie sie im ersten Theile sich fin-
det, die Würzburger Namen beizubehalten, zum Theil aber, wie man leicht erkennen wird,
mit Widerstreben des Stoffes. Die Benennungen Schleimblatt und Gefäſsblatt scheinen mir
sehr glücklich gewählt, weil sie die Bedeutung dieser Schichten vollständig aussprechen.
Dagegen war mir die Benennung des serösen Blattes unbequem, erstens weil dieses Blatt nur
in seinem peripherischen Theile ein bloſser Ueberzug bleibt, im Embryo dagegen die wichtig-
sten Theile bildet, in diesem und später zum Theil sogar im Amnion in zwei Schichten sich
scheidet, und zweitens weil er offenbar für sich den Gegensatz zu den beiden andern Schich-
ten bildet, da aus ihm der ganze animalische Leib des Embryo wird. Deshalb konnte ich
nicht umhin, als ich von der Bildung der Banchhöhle sprach, zu sagen, daſs der Keim sich
hier in zwei Lagen, eine animalische und eine plastische, trennt (Erster Theil S. 42), und
im 4ten Scholion, wo ich nachweise, wie die Primitivorgane der Wirbelthiere im Keime
durch die primäre Sonderung sich bilden, war es ganz unvermeidlich, dieses obere Haupt-
blatt als den Gegensatz der beiden andern zu behandeln. So mag es denn hier gleich von
vorn hinein als das bezeichnet werden, was es ist, als das animalische Blatt. Wir wer-
den uns durch diese Benennung eine Menge Umschreibungen und Demonstrationen ersparen,
wenn wir zur Vergleichung der Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere unter sich und
mit den niedern Thieren übergehen. Unser vegetatives Blatt also enthält eine Schleimhaut-
schicht
und eine Gefäſsschicht, das animalische Blatt ist aber übereinstimmend mit Pan-
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[46/0056] uns bildlich vorstellten, und es fehlt nichts als das Werkzeug für die Abschnürung, die Hand oder der Bindfaden. Die Natur vollführt diese Operation ohne ein sol- ches äuſseres Hülfsmittel nach einer innern Veränderung, die durch das Wort Abschnürung vollkommen bezeichnet wird. Wirklich hat, wie in jener bild- lichen Darstellung, der Embryo eine Höhlung, die von der innern, ursprünglich untern Fläche des Keimes gebildet wird und durch einen engen Kanal in den Dottersack übergeht. Durch den Umstand allein, daſs mehrere Metamorphosen gleichzeitig bei der Gestaltung des Embryo vor sich gehen, wird ihre Auffassung etwas schwie- riger, wenn auch die Metamorphosen an sich ganz verständlich sind. So muſs ich Sie nun bitten, so bald Ihnen die Vorstellung von dieser ganz einfachen Ab- schnürung geläufig ist, sich eine gleichzeitige Spaltung des gesammten Keimes in mehrere Schichten zu denken. Er trennt sich in zwei Hauptblätter, eine ober- flächlichere und eine tiefere, beide scheiden sich wieder in zwei Schichten, wel- che sich aber nicht völlig von einander trennen. Aus dem oberflächlichern Blatte bilden sich die animalischen Theile des Embryo, aus dem tiefern die vegetativen oder plastischen. Hiernach wollen wir beide Hauptblätter das animalische und das vegetative benennen *). Von der Ausbildung des Embryo an sich sprechen *) Das animalische Blatt ist das seröse Blatt Pander’s, das vegetative Blatt besteht aus Pan- der’s Gefäſsblatt und Schleimblatt. Die verschiedenen Schichten, welche sich im Keime bilden, sind zuerst in den Würzburger Untersuchungen gehörig ins Auge gefaſst worden, und nur unter den dort gewählten Namen waren sie den Physiologen bekannt geworden. Aus diesem Grunde schon bemühte ich mich bei Erzählung der Entwickelungsgeschichte des Hühnchens, wie sie im ersten Theile sich fin- det, die Würzburger Namen beizubehalten, zum Theil aber, wie man leicht erkennen wird, mit Widerstreben des Stoffes. Die Benennungen Schleimblatt und Gefäſsblatt scheinen mir sehr glücklich gewählt, weil sie die Bedeutung dieser Schichten vollständig aussprechen. Dagegen war mir die Benennung des serösen Blattes unbequem, erstens weil dieses Blatt nur in seinem peripherischen Theile ein bloſser Ueberzug bleibt, im Embryo dagegen die wichtig- sten Theile bildet, in diesem und später zum Theil sogar im Amnion in zwei Schichten sich scheidet, und zweitens weil er offenbar für sich den Gegensatz zu den beiden andern Schich- ten bildet, da aus ihm der ganze animalische Leib des Embryo wird. Deshalb konnte ich nicht umhin, als ich von der Bildung der Banchhöhle sprach, zu sagen, daſs der Keim sich hier in zwei Lagen, eine animalische und eine plastische, trennt (Erster Theil S. 42), und im 4ten Scholion, wo ich nachweise, wie die Primitivorgane der Wirbelthiere im Keime durch die primäre Sonderung sich bilden, war es ganz unvermeidlich, dieses obere Haupt- blatt als den Gegensatz der beiden andern zu behandeln. So mag es denn hier gleich von vorn hinein als das bezeichnet werden, was es ist, als das animalische Blatt. Wir wer- den uns durch diese Benennung eine Menge Umschreibungen und Demonstrationen ersparen, wenn wir zur Vergleichung der Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere unter sich und mit den niedern Thieren übergehen. Unser vegetatives Blatt also enthält eine Schleimhaut- schicht und eine Gefäſsschicht, das animalische Blatt ist aber übereinstimmend mit Pan-

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/56>, abgerufen am 29.04.2024.