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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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keit auf einem anderen Wege als auf dem der Freiheit er-
langen können. Die Gleichheit ohne die Freiheit ist eine
heillose Fiktion, geschaffen von Betrügern, um Dummköpfe
zu täuschen. Die Gleichheit ohne die Freiheit bedeutet den
Staatsdespotismus. Unser aller grosser Lehrer Proudhon
sagte in seinem schönen Buche von der "Gerechtigkeit in
der Revolution und in der Kirche", die unglückseligste
Kombination, die kommen könne, sei die, dass der Sozia-
lismus sich mit dem Absolutismus verbände; die Bestrebun-
gen des Volkes nach ökonomischer Emanzipation und ma-
teriellem Wohlstand mit der Diktatur und der Konzentration
aller politischen und sozialen Gewalten im Staat. Mag uns
die Zukunft schützen vor der Gunst des Despotismus; aber
bewahre sie uns vor den unseligen Konsequenzen und Ver-
dummungen des doktrinären oder Staatssozialismus. Seien
wir Sozialisten, aber werden wir nie Herdenvölker ....
Suchen wir die Gerechtigkeit, jede politische, ökonomische
und soziale Gerechtigkeit auf keinem andern Wege als auf
dem der Freiheit. Es kann nichts Lebendiges und Mensch-
liches gedeihen ausserhalb der Freiheit, und ein Sozialismus,
der sie aus seiner Mitte verstiesse oder sie nicht als ein-
ziges schöpferisches Prinzip und als Basis annähme, würde
uns geradenwegs in die Sklaverei und die Bestialität
führen" 59).

Wie stand Marx zur politischen Freiheit? Wie stand
die Sache der Juden im "christlich-germanischen" Staat?
Hören wir Mehring, einen der berufensten Kenner: "Der
christlich-germanische Staat misshandelte, unterdrückte, ver-
folgte die Juden, während er sie zugleich duldete, begün-
stigte, ja liebkoste. Im 18. Jahrhundert hatte der alte Fritz
(Friedrich II.) die Juden vollständig rechtlos gemacht, ihnen
aber zugleich einen weitreichenden Schutz gewährt, haupt-
sächlich deshalb, um ,Handel, Commerce, Manufakturen,
Fabriquen' zu fördern. Der philosophische König gab den
Geldjuden, die ihm bei seinen Münzfälschungen und sonsti-

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keit auf einem anderen Wege als auf dem der Freiheit er-
langen können. Die Gleichheit ohne die Freiheit ist eine
heillose Fiktion, geschaffen von Betrügern, um Dummköpfe
zu täuschen. Die Gleichheit ohne die Freiheit bedeutet den
Staatsdespotismus. Unser aller grosser Lehrer Proudhon
sagte in seinem schönen Buche von der „Gerechtigkeit in
der Revolution und in der Kirche“, die unglückseligste
Kombination, die kommen könne, sei die, dass der Sozia-
lismus sich mit dem Absolutismus verbände; die Bestrebun-
gen des Volkes nach ökonomischer Emanzipation und ma-
teriellem Wohlstand mit der Diktatur und der Konzentration
aller politischen und sozialen Gewalten im Staat. Mag uns
die Zukunft schützen vor der Gunst des Despotismus; aber
bewahre sie uns vor den unseligen Konsequenzen und Ver-
dummungen des doktrinären oder Staatssozialismus. Seien
wir Sozialisten, aber werden wir nie Herdenvölker ....
Suchen wir die Gerechtigkeit, jede politische, ökonomische
und soziale Gerechtigkeit auf keinem andern Wege als auf
dem der Freiheit. Es kann nichts Lebendiges und Mensch-
liches gedeihen ausserhalb der Freiheit, und ein Sozialismus,
der sie aus seiner Mitte verstiesse oder sie nicht als ein-
ziges schöpferisches Prinzip und als Basis annähme, würde
uns geradenwegs in die Sklaverei und die Bestialität
führen“ 59).

Wie stand Marx zur politischen Freiheit? Wie stand
die Sache der Juden im „christlich-germanischen“ Staat?
Hören wir Mehring, einen der berufensten Kenner: „Der
christlich-germanische Staat misshandelte, unterdrückte, ver-
folgte die Juden, während er sie zugleich duldete, begün-
stigte, ja liebkoste. Im 18. Jahrhundert hatte der alte Fritz
(Friedrich II.) die Juden vollständig rechtlos gemacht, ihnen
aber zugleich einen weitreichenden Schutz gewährt, haupt-
sächlich deshalb, um ‚Handel, Commerce, Manufakturen,
Fabriquen‘ zu fördern. Der philosophische König gab den
Geldjuden, die ihm bei seinen Münzfälschungen und sonsti-

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[193/0201] keit auf einem anderen Wege als auf dem der Freiheit er- langen können. Die Gleichheit ohne die Freiheit ist eine heillose Fiktion, geschaffen von Betrügern, um Dummköpfe zu täuschen. Die Gleichheit ohne die Freiheit bedeutet den Staatsdespotismus. Unser aller grosser Lehrer Proudhon sagte in seinem schönen Buche von der „Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche“, die unglückseligste Kombination, die kommen könne, sei die, dass der Sozia- lismus sich mit dem Absolutismus verbände; die Bestrebun- gen des Volkes nach ökonomischer Emanzipation und ma- teriellem Wohlstand mit der Diktatur und der Konzentration aller politischen und sozialen Gewalten im Staat. Mag uns die Zukunft schützen vor der Gunst des Despotismus; aber bewahre sie uns vor den unseligen Konsequenzen und Ver- dummungen des doktrinären oder Staatssozialismus. Seien wir Sozialisten, aber werden wir nie Herdenvölker .... Suchen wir die Gerechtigkeit, jede politische, ökonomische und soziale Gerechtigkeit auf keinem andern Wege als auf dem der Freiheit. Es kann nichts Lebendiges und Mensch- liches gedeihen ausserhalb der Freiheit, und ein Sozialismus, der sie aus seiner Mitte verstiesse oder sie nicht als ein- ziges schöpferisches Prinzip und als Basis annähme, würde uns geradenwegs in die Sklaverei und die Bestialität führen“ ⁵⁹⁾ . Wie stand Marx zur politischen Freiheit? Wie stand die Sache der Juden im „christlich-germanischen“ Staat? Hören wir Mehring, einen der berufensten Kenner: „Der christlich-germanische Staat misshandelte, unterdrückte, ver- folgte die Juden, während er sie zugleich duldete, begün- stigte, ja liebkoste. Im 18. Jahrhundert hatte der alte Fritz (Friedrich II.) die Juden vollständig rechtlos gemacht, ihnen aber zugleich einen weitreichenden Schutz gewährt, haupt- sächlich deshalb, um ‚Handel, Commerce, Manufakturen, Fabriquen‘ zu fördern. Der philosophische König gab den Geldjuden, die ihm bei seinen Münzfälschungen und sonsti- 13

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/201>, abgerufen am 29.04.2024.