wenden sich Marx und Engels nicht nach Berlin, sondern bleiben, literarisch beschäftigt, in dem weniger gefährlichen Köln, dekretieren gegen die "Revolutionsspielerei" Herweghs in Baden und spinnen Intrigen gegen den "Panslavismus" desselben Bakunin, der als erster Europäer in Prag die Auflösung Preussens, Oesterreichs und der Türkei verlangt 66).
Jener Passus im "Kommunistischen Manifest" scheint eine Konzession Marxens an energische demokratische Strö- mungen innerhalb der Emigrantenbewegung gewesen zu sein. Denn 1843, bei der Lektüre von Weitlings "Garan- tien" nimmt er bereits jene Scheidung vor, die Bakunin in seinem oben zitierten Briefe an Chassin als Ausflucht vor der politischen Intervention bekämpft: "dass Deutschland einen ebenso klassischen Beruf zur sozialen Revolution habe, wie es zur politischen unfähig sei"; und 1847 in der Pole- mik mit Proudhon leugnete er die selbständige Macht der Souveräne, die doch gerade damals in Preussen infolge einer zielbewussten Hauspolitik und eines Bündnisses mit den schlimmsten romantischen Mächten der Reaktion schrullen- hafter und selbstbewusster dekretierte als irgendwo sonst 67).
Unter dem nachhaltigen Eindruck der Ereignisse von 1849 rückt Marx noch entschiedener von der "politischen Intervention" ab. Warum wohl? Sanktioniert denn die Aussichtslosigkeit einer Sache den Verzicht auf die notwen- dige Stellungnahme? Wenn es auch richtig ist, dass, um mit Marx zu reden, eine politische Revolution ohne die soziale "die Pfeiler des Hauses stehen lässt", so ist es doch ebenso richtig, dass eine soziale Revolution ohne die poli- tische -- wenigstens solange sich die Dinge in der Theorie aufhalten --, die Rechnung ohne den Wirt macht. Beide aber sind wertlos, ja unmöglich ohne die moralische Revolution, und von der wollte Marx freilich nichts hören.
"Das Resultat der Bewegungen von 1848/49", schreibt Brupbacher, "war, dass Marx nach dieser Zeit im schroffen Gegensatz zu Bakunin durchaus nicht mehr an die Mög-
wenden sich Marx und Engels nicht nach Berlin, sondern bleiben, literarisch beschäftigt, in dem weniger gefährlichen Köln, dekretieren gegen die „Revolutionsspielerei“ Herweghs in Baden und spinnen Intrigen gegen den „Panslavismus“ desselben Bakunin, der als erster Europäer in Prag die Auflösung Preussens, Oesterreichs und der Türkei verlangt 66).
Jener Passus im „Kommunistischen Manifest“ scheint eine Konzession Marxens an energische demokratische Strö- mungen innerhalb der Emigrantenbewegung gewesen zu sein. Denn 1843, bei der Lektüre von Weitlings „Garan- tien“ nimmt er bereits jene Scheidung vor, die Bakunin in seinem oben zitierten Briefe an Chassin als Ausflucht vor der politischen Intervention bekämpft: „dass Deutschland einen ebenso klassischen Beruf zur sozialen Revolution habe, wie es zur politischen unfähig sei“; und 1847 in der Pole- mik mit Proudhon leugnete er die selbständige Macht der Souveräne, die doch gerade damals in Preussen infolge einer zielbewussten Hauspolitik und eines Bündnisses mit den schlimmsten romantischen Mächten der Reaktion schrullen- hafter und selbstbewusster dekretierte als irgendwo sonst 67).
Unter dem nachhaltigen Eindruck der Ereignisse von 1849 rückt Marx noch entschiedener von der „politischen Intervention“ ab. Warum wohl? Sanktioniert denn die Aussichtslosigkeit einer Sache den Verzicht auf die notwen- dige Stellungnahme? Wenn es auch richtig ist, dass, um mit Marx zu reden, eine politische Revolution ohne die soziale „die Pfeiler des Hauses stehen lässt“, so ist es doch ebenso richtig, dass eine soziale Revolution ohne die poli- tische — wenigstens solange sich die Dinge in der Theorie aufhalten —, die Rechnung ohne den Wirt macht. Beide aber sind wertlos, ja unmöglich ohne die moralische Revolution, und von der wollte Marx freilich nichts hören.
„Das Resultat der Bewegungen von 1848/49“, schreibt Brupbacher, „war, dass Marx nach dieser Zeit im schroffen Gegensatz zu Bakunin durchaus nicht mehr an die Mög-
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desselben Bakunin, der als erster Europäer in Prag die
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Jener Passus im „Kommunistischen Manifest“ scheint
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sein. Denn 1843, bei der Lektüre von Weitlings „Garan-
tien“ nimmt er bereits jene Scheidung vor, die Bakunin in
seinem oben zitierten Briefe an Chassin als Ausflucht vor
der politischen Intervention bekämpft: „dass Deutschland
einen ebenso klassischen Beruf zur sozialen Revolution habe,
wie es zur politischen unfähig sei“; und 1847 in der Pole-
mik mit Proudhon leugnete er die selbständige Macht der
Souveräne, die doch gerade damals in Preussen infolge
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schlimmsten romantischen Mächten der Reaktion schrullen-
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Intervention“ ab. Warum wohl? Sanktioniert denn die
Aussichtslosigkeit einer Sache den Verzicht auf die notwen-
dige Stellungnahme? Wenn es auch richtig ist, dass, um
mit Marx zu reden, eine politische Revolution ohne die
soziale „die Pfeiler des Hauses stehen lässt“, so ist es doch
ebenso richtig, dass eine soziale Revolution ohne die poli-
tische — wenigstens solange sich die Dinge in der Theorie
aufhalten —, die Rechnung ohne den Wirt macht. Beide aber
sind wertlos, ja unmöglich ohne die moralische Revolution,
und von der wollte Marx freilich nichts hören.
„Das Resultat der Bewegungen von 1848/49“, schreibt
Brupbacher, „war, dass Marx nach dieser Zeit im schroffen
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/205>, abgerufen am 29.04.2024.
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