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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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wie etwa Mazzini und Garibaldi, noch hat man für ihn und seine
Ideen je rebellisch zu den Waffen gegriffen. Mehring selbst
gesteht: "Von den Tausenden, die atemlos an Lassalles Lippen
gehangen hatten, schrieben sich höchstens Hunderte in die Liste
des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins ein, und von diesen
Hunderten erfüllten kaum Dutzende die Pflichten, die sie damit
übernahmen." (III, 141).
12) Bernstein, S. 19.
13) Ebendort, S. 179.
14) Als Lassalles Verdienst rühmen die deutschen Sozial-
demokraten, dass er das "Klassenbewusstsein" der Arbeiter ge-
schaffen habe. Das "Klassenbewusstsein" in Deutschland ist ein
euphemistischer Ausdruck für die preussische Militarisierung und
Disziplinierung, deren politisches Instrument Lassalle war. Man
hat 1866, 1871 und 1914 gesehen, was es mit dem Klassenbe-
wusstsein auf sich hatte. Man sieht heute (November 1918) bei
der sogenannten Revolution, wie die Sozialdemokratie bis in die
Reihen ihrer Unabhängigen hinein sich als Gendarmerie- und
Sicherheitsinstitut bis zur reaktionären Einberufung der Konsti-
tuante gebrauchen lässt. Schon 1847 sahen sich Marx und Engels
genötigt (in der "Deutschen Brüsseler Zeitung") gegen den "könig-
lich preussischen Regierungssozialismus" zu schreiben. 1864 war
der "leitende Kopf" des "Sozialdemokrat" (Organ des Allgemeinen
Deutschen Arbeitervereins, Mitarbeiter Engels, Herwegh, Hess,
Marx, Liebknecht) Jean Baptiste von Schweitzer, ein Mann der
von der "bedeutenden Politik" Bismarcks sprach, den "alten Fritz"
(Friedrich II.) als "mächtiges Genie" pries und mit seinen Bis-
marckartikeln den Anschein erweckte, als solle die junge Arbeiter-
partei in aller Aufrichtigkeit borussifiziert werden. Ein anderer Nach-
folger Lassalles, Bernhard Becker, karikierte noch die persönliche
Diktatur Lassalles im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, indem
er sich als "Präsident der Menschheit" aufspielte. Und von der
Testamentsvollstreckerin Lassalles, jener Gräfin Hatzfeld, berichtet
Mehring, dass sie "in ihrer Verblendung die preussische Bundes-
reform als die Erfüllung von Lassalles nationalem Programm
auffasste, ja dass ihr ganzes patriotisches Treiben seit 1866
darauf hinauslief, den ,Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein' zu
einem Werkzeug Bismarcks zu machen, mochte sie nun mit dem
,grossen Minister' in näherer oder fernerer Verbindung stehen
und die reichen Geldmittel, die sie aus dem Fenster warf, aus
ihrem eigenen Vermögen oder aus anderen Fonds schöpfen".
Was damals aber Bismarck war, ist heute Hindenburg. Bernstein
wie etwa Mazzini und Garibaldi, noch hat man für ihn und seine
Ideen je rebellisch zu den Waffen gegriffen. Mehring selbst
gesteht: „Von den Tausenden, die atemlos an Lassalles Lippen
gehangen hatten, schrieben sich höchstens Hunderte in die Liste
des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins ein, und von diesen
Hunderten erfüllten kaum Dutzende die Pflichten, die sie damit
übernahmen.“ (III, 141).
12) Bernstein, S. 19.
13) Ebendort, S. 179.
14) Als Lassalles Verdienst rühmen die deutschen Sozial-
demokraten, dass er das „Klassenbewusstsein“ der Arbeiter ge-
schaffen habe. Das „Klassenbewusstsein“ in Deutschland ist ein
euphemistischer Ausdruck für die preussische Militarisierung und
Disziplinierung, deren politisches Instrument Lassalle war. Man
hat 1866, 1871 und 1914 gesehen, was es mit dem Klassenbe-
wusstsein auf sich hatte. Man sieht heute (November 1918) bei
der sogenannten Revolution, wie die Sozialdemokratie bis in die
Reihen ihrer Unabhängigen hinein sich als Gendarmerie- und
Sicherheitsinstitut bis zur reaktionären Einberufung der Konsti-
tuante gebrauchen lässt. Schon 1847 sahen sich Marx und Engels
genötigt (in der „Deutschen Brüsseler Zeitung“) gegen den „könig-
lich preussischen Regierungssozialismus“ zu schreiben. 1864 war
der „leitende Kopf“ des „Sozialdemokrat“ (Organ des Allgemeinen
Deutschen Arbeitervereins, Mitarbeiter Engels, Herwegh, Hess,
Marx, Liebknecht) Jean Baptiste von Schweitzer, ein Mann der
von der „bedeutenden Politik“ Bismarcks sprach, den „alten Fritz“
(Friedrich II.) als „mächtiges Genie“ pries und mit seinen Bis-
marckartikeln den Anschein erweckte, als solle die junge Arbeiter-
partei in aller Aufrichtigkeit borussifiziert werden. Ein anderer Nach-
folger Lassalles, Bernhard Becker, karikierte noch die persönliche
Diktatur Lassalles im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, indem
er sich als „Präsident der Menschheit“ aufspielte. Und von der
Testamentsvollstreckerin Lassalles, jener Gräfin Hatzfeld, berichtet
Mehring, dass sie „in ihrer Verblendung die preussische Bundes-
reform als die Erfüllung von Lassalles nationalem Programm
auffasste, ja dass ihr ganzes patriotisches Treiben seit 1866
darauf hinauslief, den ‚Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein‘ zu
einem Werkzeug Bismarcks zu machen, mochte sie nun mit dem
‚grossen Minister‘ in näherer oder fernerer Verbindung stehen
und die reichen Geldmittel, die sie aus dem Fenster warf, aus
ihrem eigenen Vermögen oder aus anderen Fonds schöpfen“.
Was damals aber Bismarck war, ist heute Hindenburg. Bernstein
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[298/0306] ¹¹⁾ wie etwa Mazzini und Garibaldi, noch hat man für ihn und seine Ideen je rebellisch zu den Waffen gegriffen. Mehring selbst gesteht: „Von den Tausenden, die atemlos an Lassalles Lippen gehangen hatten, schrieben sich höchstens Hunderte in die Liste des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins ein, und von diesen Hunderten erfüllten kaum Dutzende die Pflichten, die sie damit übernahmen.“ (III, 141). ¹²⁾ Bernstein, S. 19. ¹³⁾ Ebendort, S. 179. ¹⁴⁾ Als Lassalles Verdienst rühmen die deutschen Sozial- demokraten, dass er das „Klassenbewusstsein“ der Arbeiter ge- schaffen habe. Das „Klassenbewusstsein“ in Deutschland ist ein euphemistischer Ausdruck für die preussische Militarisierung und Disziplinierung, deren politisches Instrument Lassalle war. Man hat 1866, 1871 und 1914 gesehen, was es mit dem Klassenbe- wusstsein auf sich hatte. Man sieht heute (November 1918) bei der sogenannten Revolution, wie die Sozialdemokratie bis in die Reihen ihrer Unabhängigen hinein sich als Gendarmerie- und Sicherheitsinstitut bis zur reaktionären Einberufung der Konsti- tuante gebrauchen lässt. Schon 1847 sahen sich Marx und Engels genötigt (in der „Deutschen Brüsseler Zeitung“) gegen den „könig- lich preussischen Regierungssozialismus“ zu schreiben. 1864 war der „leitende Kopf“ des „Sozialdemokrat“ (Organ des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, Mitarbeiter Engels, Herwegh, Hess, Marx, Liebknecht) Jean Baptiste von Schweitzer, ein Mann der von der „bedeutenden Politik“ Bismarcks sprach, den „alten Fritz“ (Friedrich II.) als „mächtiges Genie“ pries und mit seinen Bis- marckartikeln den Anschein erweckte, als solle die junge Arbeiter- partei in aller Aufrichtigkeit borussifiziert werden. Ein anderer Nach- folger Lassalles, Bernhard Becker, karikierte noch die persönliche Diktatur Lassalles im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, indem er sich als „Präsident der Menschheit“ aufspielte. Und von der Testamentsvollstreckerin Lassalles, jener Gräfin Hatzfeld, berichtet Mehring, dass sie „in ihrer Verblendung die preussische Bundes- reform als die Erfüllung von Lassalles nationalem Programm auffasste, ja dass ihr ganzes patriotisches Treiben seit 1866 darauf hinauslief, den ‚Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein‘ zu einem Werkzeug Bismarcks zu machen, mochte sie nun mit dem ‚grossen Minister‘ in näherer oder fernerer Verbindung stehen und die reichen Geldmittel, die sie aus dem Fenster warf, aus ihrem eigenen Vermögen oder aus anderen Fonds schöpfen“. Was damals aber Bismarck war, ist heute Hindenburg. Bernstein

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/306>, abgerufen am 02.05.2024.