Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite
spezifischen Hilfsmittel und Traditionen, sondern gerade in der
Erfüllung und Sublimierung der nationalen Idee, in der Ausprägung
und Gewissenserhebung ihrer wahrhaft menschlichen Leistungen
erblickt. Das Herz der Nation zur Menschheit tragen, das ist
die Aufgabe verantwortlicher Geister.
81) Hauptverteidiger dieses junkerlichen Heroismus sind die
Herren Dr. Max Scheler und Prof. Werner Sombart, letzterer in
seinem Buche "Händler und Helden", das Nietzsches Angriff
auf den "philosophischen Geist überhaupt" für seine faden-
scheinige Beweisführung in Anspruch nimmt und damit die "platte
englische Krämermoral", den Common sense der Bentham,
Spencer, Godwin, Owen, Hume, zu erschlagen sucht. "Deutsch
sein heisst Held sein!"
82) Franz Mehring, "Die Lessinglegende. Zur Geschichte
und Kritik des preussischen Despotismus und der klassischen
Literatur", S.76.
83) Ebendort, S. 224.
84) Zitate aus Emil Ludwig, "Bismark", S. 70/73; 58.
85) Vergl. Kap. II, S. 83/84.
86) Zitate aus Hermann Fernau, "Das Königtum ist der
Krieg", Benteli A.-G., Bümpliz-Bern, 1918, S. 27/29.
87) "Die Lessinglegende", S. 340. Nicht nur Lessing hat
sich übrigens über die Denkfreiheit unter Friedrich II. so ge-
äussert. Aehnlich schrieb auch Sir Charles Hanbury Williams
1750 aus Berlin: "Es ist gar nicht zu glauben, wie dieser pater
patriae sich um seine Untertanen sorgt: er lässt ihnen in der
Tat keine andere Freiheit als die des Denkens. Ich denke Hamlet
sagt irgendwo: Dänemark ist ein Gefängnis. Das ganze preus-
sische Gebiet ist ein solches im buchstäblichen Sinne des Wortes".
Oder der italienische Dichter Alfieri in seiner Selbstbiographie
über einen Aufenthalt 1770 in Preussen: Berlin sei ihm vorge-
kommen wie "eine grosse Kaserne, die Abscheu einflösst", der
ganze preussische Staat aber "mit seinen vielen Tausend be-
zahlter Satelliten wie eine ungeheure ununterbrochene Wach-
stube". Oder Lord Malmesbury, 1772: "Berlin ist eine Stadt,
wo es weder einen ehrlichen Mann, noch eine keusche Frau
gibt. Eine totale Sittenverderbnis beherrscht beide Geschlechter
aller Klassen. Die Männer sind fortwährend beschäftigt, mit
beschränkten Mitteln ein sehr ausschweifendes Leben zu führen,
die Frauen sind Harpyen, denen Zartgefühl und wahre Liebe
unbekannt sind und die sich jedem preisgeben, der sie bezahlt"
(S. 250).
spezifischen Hilfsmittel und Traditionen, sondern gerade in der
Erfüllung und Sublimierung der nationalen Idee, in der Ausprägung
und Gewissenserhebung ihrer wahrhaft menschlichen Leistungen
erblickt. Das Herz der Nation zur Menschheit tragen, das ist
die Aufgabe verantwortlicher Geister.
81) Hauptverteidiger dieses junkerlichen Heroismus sind die
Herren Dr. Max Scheler und Prof. Werner Sombart, letzterer in
seinem Buche „Händler und Helden“, das Nietzsches Angriff
auf den „philosophischen Geist überhaupt“ für seine faden-
scheinige Beweisführung in Anspruch nimmt und damit die „platte
englische Krämermoral“, den Common sense der Bentham,
Spencer, Godwin, Owen, Hume, zu erschlagen sucht. „Deutsch
sein heisst Held sein!“
82) Franz Mehring, „Die Lessinglegende. Zur Geschichte
und Kritik des preussischen Despotismus und der klassischen
Literatur“, S.76.
83) Ebendort, S. 224.
84) Zitate aus Emil Ludwig, „Bismark“, S. 70/73; 58.
85) Vergl. Kap. II, S. 83/84.
86) Zitate aus Hermann Fernau, „Das Königtum ist der
Krieg“, Benteli A.-G., Bümpliz-Bern, 1918, S. 27/29.
87) „Die Lessinglegende“, S. 340. Nicht nur Lessing hat
sich übrigens über die Denkfreiheit unter Friedrich II. so ge-
äussert. Aehnlich schrieb auch Sir Charles Hanbury Williams
1750 aus Berlin: „Es ist gar nicht zu glauben, wie dieser pater
patriae sich um seine Untertanen sorgt: er lässt ihnen in der
Tat keine andere Freiheit als die des Denkens. Ich denke Hamlet
sagt irgendwo: Dänemark ist ein Gefängnis. Das ganze preus-
sische Gebiet ist ein solches im buchstäblichen Sinne des Wortes“.
Oder der italienische Dichter Alfieri in seiner Selbstbiographie
über einen Aufenthalt 1770 in Preussen: Berlin sei ihm vorge-
kommen wie „eine grosse Kaserne, die Abscheu einflösst“, der
ganze preussische Staat aber „mit seinen vielen Tausend be-
zahlter Satelliten wie eine ungeheure ununterbrochene Wach-
stube“. Oder Lord Malmesbury, 1772: „Berlin ist eine Stadt,
wo es weder einen ehrlichen Mann, noch eine keusche Frau
gibt. Eine totale Sittenverderbnis beherrscht beide Geschlechter
aller Klassen. Die Männer sind fortwährend beschäftigt, mit
beschränkten Mitteln ein sehr ausschweifendes Leben zu führen,
die Frauen sind Harpyen, denen Zartgefühl und wahre Liebe
unbekannt sind und die sich jedem preisgeben, der sie bezahlt“
(S. 250).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <note xml:id="id80b80d" prev="id80d" place="end" n="80)"><pb facs="#f0321" n="313"/>
spezifischen Hilfsmittel und Traditionen, sondern gerade in der<lb/>
Erfüllung und Sublimierung der nationalen Idee, in der Ausprägung<lb/>
und Gewissenserhebung ihrer wahrhaft menschlichen Leistungen<lb/>
erblickt. Das Herz der Nation zur Menschheit tragen, das ist<lb/>
die Aufgabe verantwortlicher Geister.</note><lb/>
            <note xml:id="id81b81d" prev="id81d" place="end" n="81)"> Hauptverteidiger dieses junkerlichen Heroismus sind die<lb/>
Herren Dr. Max Scheler und Prof. Werner Sombart, letzterer in<lb/>
seinem Buche &#x201E;Händler und Helden&#x201C;, das Nietzsches Angriff<lb/>
auf den &#x201E;philosophischen Geist überhaupt&#x201C; für seine faden-<lb/>
scheinige Beweisführung in Anspruch nimmt und damit die &#x201E;platte<lb/>
englische Krämermoral&#x201C;, den Common sense der Bentham,<lb/>
Spencer, Godwin, Owen, Hume, zu erschlagen sucht. &#x201E;Deutsch<lb/>
sein heisst Held sein!&#x201C;</note><lb/>
            <note xml:id="id82b82d" prev="id82d" place="end" n="82)"> Franz Mehring, &#x201E;Die Lessinglegende. Zur Geschichte<lb/>
und Kritik des preussischen Despotismus und der klassischen<lb/>
Literatur&#x201C;, S.76.</note><lb/>
            <note xml:id="id83b83d" prev="id83d" place="end" n="83)"> Ebendort, S. 224.</note><lb/>
            <note xml:id="id84b84d" prev="id84d" place="end" n="84)"> Zitate aus Emil Ludwig, &#x201E;Bismark&#x201C;, S. 70/73; 58.</note><lb/>
            <note xml:id="id85b85d" prev="id85d" place="end" n="85)"> Vergl. Kap. II, S. 83/84.</note><lb/>
            <note xml:id="id86b86d" prev="id86d" place="end" n="86)"> Zitate aus Hermann Fernau, &#x201E;Das Königtum ist der<lb/>
Krieg&#x201C;, Benteli A.-G., Bümpliz-Bern, 1918, S. 27/29.</note><lb/>
            <note xml:id="id87b87d" prev="id87d" place="end" n="87)"> &#x201E;Die Lessinglegende&#x201C;, S. 340. Nicht nur Lessing hat<lb/>
sich übrigens über die Denkfreiheit unter Friedrich II. so ge-<lb/>
äussert. Aehnlich schrieb auch Sir Charles Hanbury Williams<lb/>
1750 aus Berlin: &#x201E;Es ist gar nicht zu glauben, wie dieser pater<lb/>
patriae sich um seine Untertanen sorgt: er lässt ihnen in der<lb/>
Tat keine andere Freiheit als die des Denkens. Ich denke Hamlet<lb/>
sagt irgendwo: Dänemark ist ein Gefängnis. Das ganze preus-<lb/>
sische Gebiet ist ein solches im buchstäblichen Sinne des Wortes&#x201C;.<lb/>
Oder der italienische Dichter Alfieri in seiner Selbstbiographie<lb/>
über einen Aufenthalt 1770 in Preussen: Berlin sei ihm vorge-<lb/>
kommen wie &#x201E;<hi rendition="#i">eine</hi> grosse Kaserne, die Abscheu einflösst&#x201C;, der<lb/>
ganze preussische Staat aber &#x201E;mit seinen vielen Tausend be-<lb/>
zahlter Satelliten wie <hi rendition="#i">eine</hi> ungeheure ununterbrochene Wach-<lb/>
stube&#x201C;. Oder Lord Malmesbury, 1772: &#x201E;Berlin ist eine Stadt,<lb/>
wo es weder einen ehrlichen Mann, noch eine keusche Frau<lb/>
gibt. Eine totale Sittenverderbnis beherrscht beide Geschlechter<lb/>
aller Klassen. Die Männer sind fortwährend beschäftigt, mit<lb/>
beschränkten Mitteln ein sehr ausschweifendes Leben zu führen,<lb/>
die Frauen sind Harpyen, denen Zartgefühl und wahre Liebe<lb/>
unbekannt sind und die sich jedem preisgeben, der sie bezahlt&#x201C;<lb/>
(S. 250).</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0321] ⁸⁰⁾ spezifischen Hilfsmittel und Traditionen, sondern gerade in der Erfüllung und Sublimierung der nationalen Idee, in der Ausprägung und Gewissenserhebung ihrer wahrhaft menschlichen Leistungen erblickt. Das Herz der Nation zur Menschheit tragen, das ist die Aufgabe verantwortlicher Geister. ⁸¹⁾ Hauptverteidiger dieses junkerlichen Heroismus sind die Herren Dr. Max Scheler und Prof. Werner Sombart, letzterer in seinem Buche „Händler und Helden“, das Nietzsches Angriff auf den „philosophischen Geist überhaupt“ für seine faden- scheinige Beweisführung in Anspruch nimmt und damit die „platte englische Krämermoral“, den Common sense der Bentham, Spencer, Godwin, Owen, Hume, zu erschlagen sucht. „Deutsch sein heisst Held sein!“ ⁸²⁾ Franz Mehring, „Die Lessinglegende. Zur Geschichte und Kritik des preussischen Despotismus und der klassischen Literatur“, S.76. ⁸³⁾ Ebendort, S. 224. ⁸⁴⁾ Zitate aus Emil Ludwig, „Bismark“, S. 70/73; 58. ⁸⁵⁾ Vergl. Kap. II, S. 83/84. ⁸⁶⁾ Zitate aus Hermann Fernau, „Das Königtum ist der Krieg“, Benteli A.-G., Bümpliz-Bern, 1918, S. 27/29. ⁸⁷⁾ „Die Lessinglegende“, S. 340. Nicht nur Lessing hat sich übrigens über die Denkfreiheit unter Friedrich II. so ge- äussert. Aehnlich schrieb auch Sir Charles Hanbury Williams 1750 aus Berlin: „Es ist gar nicht zu glauben, wie dieser pater patriae sich um seine Untertanen sorgt: er lässt ihnen in der Tat keine andere Freiheit als die des Denkens. Ich denke Hamlet sagt irgendwo: Dänemark ist ein Gefängnis. Das ganze preus- sische Gebiet ist ein solches im buchstäblichen Sinne des Wortes“. Oder der italienische Dichter Alfieri in seiner Selbstbiographie über einen Aufenthalt 1770 in Preussen: Berlin sei ihm vorge- kommen wie „eine grosse Kaserne, die Abscheu einflösst“, der ganze preussische Staat aber „mit seinen vielen Tausend be- zahlter Satelliten wie eine ungeheure ununterbrochene Wach- stube“. Oder Lord Malmesbury, 1772: „Berlin ist eine Stadt, wo es weder einen ehrlichen Mann, noch eine keusche Frau gibt. Eine totale Sittenverderbnis beherrscht beide Geschlechter aller Klassen. Die Männer sind fortwährend beschäftigt, mit beschränkten Mitteln ein sehr ausschweifendes Leben zu führen, die Frauen sind Harpyen, denen Zartgefühl und wahre Liebe unbekannt sind und die sich jedem preisgeben, der sie bezahlt“ (S. 250).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/321
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/321>, abgerufen am 02.05.2024.