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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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alle diese und seitdem noch mehr Rollen hat sie auf Einer
Bühne gegeben. Ja, sie hat nie ein anderes Engagement
angenommen, als an der Berliner Bühne, der sie fast 54 Jahre
ununterbrochen angehörte. Mit 70 Jahren war sie noch eine
imposante Bühnenerscheinung, ihre Stimme klang melodisch
und gewaltig zugleich und ihr Spiel verdunkelte die Jugend.

Ueber ihre Eigenartigkeit als Künstlerin sagte ein
Kritiker mit Recht: "Ihre Auffassung blieb mehr Seelen¬
forschung im Dichterwerk, als Menschenbeobachtung in
der Wirklichkeit des Lebens. Es lag in ihrer Indivi¬
dualität die Neigung zu mehr plastischem als malerischem
Ausdruck, -- daher erreichte sie den höchsten Gipfel ihrer
Kunst in jener Sphäre, wo die reine Idealität herrscht: in
Goethe's Iphigenie und in der Antigone des Sophokles. Es
gibt in ihren Darstellungen mehr große Züge des Seelen¬
zustandes, der Leidenschaft, als Charaktere, die in einem Reich¬
thum verschiedener Beziehungen sich vielfältig ausleben ..."

Dabei war Auguste Stich-Crelinger die sorglichste,
treueste Mutter und eine musterhafte Hausfrau. Ihre
zweite Ehe war die glücklichste.

Nach meinem Scheiden von Berlin sah ich die Cre¬
linger erst im Jahre 1834 wieder. Ich gab damals als
kaiserlich russische Hofschauspielerin auf der Berliner Hof¬
bühne Gastrollen -- und Frau Crelinger benutzte diese
Zeit zu einem Gastrollen-Cyclus von zwölf Vorstellungen
auf dem Königstädter Theater -- mit der liebenswürdigen
Hauptabsicht: dem Berliner Publikum ihre inzwischen
hold erblühten Töchter Klara und Bertha Stich in freund¬

alle dieſe und ſeitdem noch mehr Rollen hat ſie auf Einer
Bühne gegeben. Ja, ſie hat nie ein anderes Engagement
angenommen, als an der Berliner Bühne, der ſie faſt 54 Jahre
ununterbrochen angehörte. Mit 70 Jahren war ſie noch eine
impoſante Bühnenerſcheinung, ihre Stimme klang melodiſch
und gewaltig zugleich und ihr Spiel verdunkelte die Jugend.

Ueber ihre Eigenartigkeit als Künſtlerin ſagte ein
Kritiker mit Recht: »Ihre Auffaſſung blieb mehr Seelen¬
forſchung im Dichterwerk, als Menſchenbeobachtung in
der Wirklichkeit des Lebens. Es lag in ihrer Indivi¬
dualität die Neigung zu mehr plaſtiſchem als maleriſchem
Ausdruck, — daher erreichte ſie den höchſten Gipfel ihrer
Kunſt in jener Sphäre, wo die reine Idealität herrſcht: in
Goethe's Iphigenie und in der Antigone des Sophokles. Es
gibt in ihren Darſtellungen mehr große Züge des Seelen¬
zuſtandes, der Leidenſchaft, als Charaktere, die in einem Reich¬
thum verſchiedener Beziehungen ſich vielfältig ausleben …«

Dabei war Auguſte Stich-Crelinger die ſorglichſte,
treueſte Mutter und eine muſterhafte Hausfrau. Ihre
zweite Ehe war die glücklichſte.

Nach meinem Scheiden von Berlin ſah ich die Cre¬
linger erſt im Jahre 1834 wieder. Ich gab damals als
kaiſerlich ruſſiſche Hofſchauſpielerin auf der Berliner Hof¬
bühne Gaſtrollen — und Frau Crelinger benutzte dieſe
Zeit zu einem Gaſtrollen-Cyclus von zwölf Vorſtellungen
auf dem Königſtädter Theater — mit der liebenswürdigen
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[173/0201] alle dieſe und ſeitdem noch mehr Rollen hat ſie auf Einer Bühne gegeben. Ja, ſie hat nie ein anderes Engagement angenommen, als an der Berliner Bühne, der ſie faſt 54 Jahre ununterbrochen angehörte. Mit 70 Jahren war ſie noch eine impoſante Bühnenerſcheinung, ihre Stimme klang melodiſch und gewaltig zugleich und ihr Spiel verdunkelte die Jugend. Ueber ihre Eigenartigkeit als Künſtlerin ſagte ein Kritiker mit Recht: »Ihre Auffaſſung blieb mehr Seelen¬ forſchung im Dichterwerk, als Menſchenbeobachtung in der Wirklichkeit des Lebens. Es lag in ihrer Indivi¬ dualität die Neigung zu mehr plaſtiſchem als maleriſchem Ausdruck, — daher erreichte ſie den höchſten Gipfel ihrer Kunſt in jener Sphäre, wo die reine Idealität herrſcht: in Goethe's Iphigenie und in der Antigone des Sophokles. Es gibt in ihren Darſtellungen mehr große Züge des Seelen¬ zuſtandes, der Leidenſchaft, als Charaktere, die in einem Reich¬ thum verſchiedener Beziehungen ſich vielfältig ausleben …« Dabei war Auguſte Stich-Crelinger die ſorglichſte, treueſte Mutter und eine muſterhafte Hausfrau. Ihre zweite Ehe war die glücklichſte. Nach meinem Scheiden von Berlin ſah ich die Cre¬ linger erſt im Jahre 1834 wieder. Ich gab damals als kaiſerlich ruſſiſche Hofſchauſpielerin auf der Berliner Hof¬ bühne Gaſtrollen — und Frau Crelinger benutzte dieſe Zeit zu einem Gaſtrollen-Cyclus von zwölf Vorſtellungen auf dem Königſtädter Theater — mit der liebenswürdigen Hauptabſicht: dem Berliner Publikum ihre inzwiſchen hold erblühten Töchter Klara und Bertha Stich in freund¬

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/201>, abgerufen am 29.04.2024.