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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

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opponirende Auftreten des Bauernstandes verursachte allmälig nicht
blos, daß den Städten ihre Privilegien und Freiheiten genommen
wurden, und der Wohlstand derselben sank, sondern auch, daß mit
Verwischung des früheren gewerblichen Unterschiedes neben den
Städte- auch Landgemeinden hervortraten. Beiden aber ge-
riethen diese und die nachfolgenden Veränderungen insoferne zum
Nachtheile, als die Staatsgewalt, die Gemeinden zu Staats-
anstalten machend, sie auch ihrer Selbstständigkeit beraubte, mit
Druck und Ungerechtigkeit zu ihren willkührlichen Zwecken benutzte,
und deren Verfassung und Verwaltung unter die Staatsvor-
mundschaft stellte, unter welchem Titel Eingriffe in dieselben
geschahen, die vor dem Rechts-, Sittlichkeits- und Klugheits-
gesetze als gleich verwerflich erscheinen2). Man glaubte sich aber,
die persönliche Schlechtigkeit einzelner Staats- und Gemeinde-
beamten abgerechnet, zur Anlegung jenes Zügels der Vormund-
schaft um so mehr berechtigt, als der Zweck der Gemeinden als ein
dem Staatszwecke entgegenwirkender erschien3). In diesem Stande
der Unterdrückung wanderten die Gemeinden aus dem vorigen in
dieses gegenwärtige Jahrhundert, und das Maaß der Zerrüttung
des Gemeindewesens wurde noch vollends gefüllt durch die verhee-
renden Kriege, welche die französische Revolution geboren hat.
Der Aufklärung des jetzigen Zeitabschnittes konnte diese Verirrung
von Wahrheit, Recht und Klugheit nicht entgehen. Man sah die
Identität des Staats- und Gemeindezweckes ein und erkannte den
Wohlstand der Gemeinden als einen Grundpfeiler des Staats-
wohles an. Die Wiedereinsetzung derselben in ihre Selbstständig-
keit als eine moralische Person mit bestimmtem Eigenthume und
Rechte, und die Wiedererstattung der alten Befugnisse, insoweit
sie sich mit dem Geiste der Zeit vertragen, erschien als das beste
Heilmittel gegen die vielen Gemeindeübel. Das Königreich Preußen
schritt damit voran4) und es folgten nach einander mehrere andere
Staaten5). So weit gekommen, muß die Gemeindeverwaltung
nicht blos von allen altherkömmlichen Mängeln befreit, sondern es
müssen Grundsätze und Regeln von wissenschaftlicher und praktischer
Begründung aufgestellt werden, woran sich die selbstständigen Ge-
meindebeamten in der Verwaltung des Gemeindevermögens und
Einkommens halten können6).

1) S. darüber die oben §. 14. Note 4. angeführte Schrift von Wilda und
die beiden andern von Hüllmann und Raynouard.
2) Aus diesem Bedrückungsgange entwickelte sich dann die grundfalsche Ansicht,
daß die Gemeinde eine Anstalt des Staats, und erst von diesem durch Abtheilungen
gebildet und blos mit übertragener Gewalt versehen sei. Im Gegentheile, der
Staat ist ein Verband Einzelner durch Gemeinden und Einzelner für sich, die nicht

opponirende Auftreten des Bauernſtandes verurſachte allmälig nicht
blos, daß den Städten ihre Privilegien und Freiheiten genommen
wurden, und der Wohlſtand derſelben ſank, ſondern auch, daß mit
Verwiſchung des früheren gewerblichen Unterſchiedes neben den
Städte- auch Landgemeinden hervortraten. Beiden aber ge-
riethen dieſe und die nachfolgenden Veränderungen inſoferne zum
Nachtheile, als die Staatsgewalt, die Gemeinden zu Staats-
anſtalten machend, ſie auch ihrer Selbſtſtändigkeit beraubte, mit
Druck und Ungerechtigkeit zu ihren willkührlichen Zwecken benutzte,
und deren Verfaſſung und Verwaltung unter die Staatsvor-
mundſchaft ſtellte, unter welchem Titel Eingriffe in dieſelben
geſchahen, die vor dem Rechts-, Sittlichkeits- und Klugheits-
geſetze als gleich verwerflich erſcheinen2). Man glaubte ſich aber,
die perſönliche Schlechtigkeit einzelner Staats- und Gemeinde-
beamten abgerechnet, zur Anlegung jenes Zügels der Vormund-
ſchaft um ſo mehr berechtigt, als der Zweck der Gemeinden als ein
dem Staatszwecke entgegenwirkender erſchien3). In dieſem Stande
der Unterdrückung wanderten die Gemeinden aus dem vorigen in
dieſes gegenwärtige Jahrhundert, und das Maaß der Zerrüttung
des Gemeindeweſens wurde noch vollends gefüllt durch die verhee-
renden Kriege, welche die franzöſiſche Revolution geboren hat.
Der Aufklärung des jetzigen Zeitabſchnittes konnte dieſe Verirrung
von Wahrheit, Recht und Klugheit nicht entgehen. Man ſah die
Identität des Staats- und Gemeindezweckes ein und erkannte den
Wohlſtand der Gemeinden als einen Grundpfeiler des Staats-
wohles an. Die Wiedereinſetzung derſelben in ihre Selbſtſtändig-
keit als eine moraliſche Perſon mit beſtimmtem Eigenthume und
Rechte, und die Wiedererſtattung der alten Befugniſſe, inſoweit
ſie ſich mit dem Geiſte der Zeit vertragen, erſchien als das beſte
Heilmittel gegen die vielen Gemeindeübel. Das Königreich Preußen
ſchritt damit voran4) und es folgten nach einander mehrere andere
Staaten5). So weit gekommen, muß die Gemeindeverwaltung
nicht blos von allen altherkömmlichen Mängeln befreit, ſondern es
müſſen Grundſätze und Regeln von wiſſenſchaftlicher und praktiſcher
Begründung aufgeſtellt werden, woran ſich die ſelbſtſtändigen Ge-
meindebeamten in der Verwaltung des Gemeindevermögens und
Einkommens halten können6).

1) S. darüber die oben §. 14. Note 4. angeführte Schrift von Wilda und
die beiden andern von Hüllmann und Raynouard.
2) Aus dieſem Bedrückungsgange entwickelte ſich dann die grundfalſche Anſicht,
daß die Gemeinde eine Anſtalt des Staats, und erſt von dieſem durch Abtheilungen
gebildet und blos mit übertragener Gewalt verſehen ſei. Im Gegentheile, der
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[507/0529] opponirende Auftreten des Bauernſtandes verurſachte allmälig nicht blos, daß den Städten ihre Privilegien und Freiheiten genommen wurden, und der Wohlſtand derſelben ſank, ſondern auch, daß mit Verwiſchung des früheren gewerblichen Unterſchiedes neben den Städte- auch Landgemeinden hervortraten. Beiden aber ge- riethen dieſe und die nachfolgenden Veränderungen inſoferne zum Nachtheile, als die Staatsgewalt, die Gemeinden zu Staats- anſtalten machend, ſie auch ihrer Selbſtſtändigkeit beraubte, mit Druck und Ungerechtigkeit zu ihren willkührlichen Zwecken benutzte, und deren Verfaſſung und Verwaltung unter die Staatsvor- mundſchaft ſtellte, unter welchem Titel Eingriffe in dieſelben geſchahen, die vor dem Rechts-, Sittlichkeits- und Klugheits- geſetze als gleich verwerflich erſcheinen2). Man glaubte ſich aber, die perſönliche Schlechtigkeit einzelner Staats- und Gemeinde- beamten abgerechnet, zur Anlegung jenes Zügels der Vormund- ſchaft um ſo mehr berechtigt, als der Zweck der Gemeinden als ein dem Staatszwecke entgegenwirkender erſchien3). In dieſem Stande der Unterdrückung wanderten die Gemeinden aus dem vorigen in dieſes gegenwärtige Jahrhundert, und das Maaß der Zerrüttung des Gemeindeweſens wurde noch vollends gefüllt durch die verhee- renden Kriege, welche die franzöſiſche Revolution geboren hat. Der Aufklärung des jetzigen Zeitabſchnittes konnte dieſe Verirrung von Wahrheit, Recht und Klugheit nicht entgehen. Man ſah die Identität des Staats- und Gemeindezweckes ein und erkannte den Wohlſtand der Gemeinden als einen Grundpfeiler des Staats- wohles an. Die Wiedereinſetzung derſelben in ihre Selbſtſtändig- keit als eine moraliſche Perſon mit beſtimmtem Eigenthume und Rechte, und die Wiedererſtattung der alten Befugniſſe, inſoweit ſie ſich mit dem Geiſte der Zeit vertragen, erſchien als das beſte Heilmittel gegen die vielen Gemeindeübel. Das Königreich Preußen ſchritt damit voran4) und es folgten nach einander mehrere andere Staaten5). So weit gekommen, muß die Gemeindeverwaltung nicht blos von allen altherkömmlichen Mängeln befreit, ſondern es müſſen Grundſätze und Regeln von wiſſenſchaftlicher und praktiſcher Begründung aufgeſtellt werden, woran ſich die ſelbſtſtändigen Ge- meindebeamten in der Verwaltung des Gemeindevermögens und Einkommens halten können6). ¹⁾ S. darüber die oben §. 14. Note 4. angeführte Schrift von Wilda und die beiden andern von Hüllmann und Raynouard. ²⁾ Aus dieſem Bedrückungsgange entwickelte ſich dann die grundfalſche Anſicht, daß die Gemeinde eine Anſtalt des Staats, und erſt von dieſem durch Abtheilungen gebildet und blos mit übertragener Gewalt verſehen ſei. Im Gegentheile, der Staat iſt ein Verband Einzelner durch Gemeinden und Einzelner für ſich, die nicht

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Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/529>, abgerufen am 29.04.2024.