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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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nächste Verwandte der Reichsgräfin, war Charles Bretagne Marie Joseph Herzog von Tremouille, Prinz von Tarent und Talmont; er stand im Heere des Herzogs von Conde, das er mit ihm auf kurze Zeit verlassen hatte, und die Abzeichen seiner Trauer galten seinem Vater, dem Herzog August Philipp, dem tapfern Vertheidiger des Königthums, der früher als treuanhänglicher Adjutant des Grafen von Artois manchen Sieg in der Vendee erfochten hatte, endlich aber als Cavallerie-General an der Spitze der kriegerischen Vendeer in Gefangenschaft gerieth und seine Treue gegen das Königshaus mit dem Tode büßte. Kein Wunder, daß der junge Prinz von Talmont ernst einherschritt, und daß man ihm ansah, er komme nicht in diesen Kreis, sich und Andere zu erfreuen, sondern er folge dem Zwang des Herkömmlichen wie des Dienstes, der ihn an einen Prinzen aus königlichem Blute bannte.

Die Assemblee hatte ihren Gang, die Franzosen zeigten sich steif und förmlich, in jedem Gesicht lag der peinliche Ausdruck, als suche dasselbe etwas, das vermißt werde und nicht zu finden sei. Waren es die Räume des Louvre, oder der Tuilerien, waren es die Zimmer der Schlösser von St. Cloud, St. Germain, Fontainebleau oder Versailles, die hier gesucht und nicht gefunden wurden? Sehnte man sich hier unter Hamburgs Himmel in das idyllische Schäferdörfchen von Klein-Trianon zurück? Wer vermochte dies zu sagen, wer konnte im Innern so vieler Personen lesen? Man sprach, man lächelte fein, man schmeichelte, man witzelte und erging sich auch zum Theil in hohlen Phrasen.

Der Graf von Artois wandte sich an die Reichsgräfin mit dem schmeichelhaften Kompliment: Frau Comtesse! Ihr Hotel ist la France -- ah -- la France ist im Hotel d'Aldenbourg zu Hamburg.

Ein Höfling, einer der Boutier's, schnappte diese fade Schmeichelei auf und wisperte sie weiter; sie ging durch alle Zimmer, von Mund zu Mund, wie der Orakelspruch eines Propheten. Man besprach allerdings auch vielfach die Ereignisse der Zeit, aber stets aus einem einseitigen, meist falschen Gesichtspunkt, betäubt von dem Schwindel unerfüllbarer Hoffnungen, in die man sich einwiegte, triumphirend über die Volksaufstände, die in Paris der Hunger hervorrief, und in diesen Aufständen die Strohhalmen einer erfolgreichen Reaction erblickend,

nächste Verwandte der Reichsgräfin, war Charles Bretagne Marie Joseph Herzog von Tremouille, Prinz von Tarent und Talmont; er stand im Heere des Herzogs von Condé, das er mit ihm auf kurze Zeit verlassen hatte, und die Abzeichen seiner Trauer galten seinem Vater, dem Herzog August Philipp, dem tapfern Vertheidiger des Königthums, der früher als treuanhänglicher Adjutant des Grafen von Artois manchen Sieg in der Vendée erfochten hatte, endlich aber als Cavallerie-General an der Spitze der kriegerischen Vendéer in Gefangenschaft gerieth und seine Treue gegen das Königshaus mit dem Tode büßte. Kein Wunder, daß der junge Prinz von Talmont ernst einherschritt, und daß man ihm ansah, er komme nicht in diesen Kreis, sich und Andere zu erfreuen, sondern er folge dem Zwang des Herkömmlichen wie des Dienstes, der ihn an einen Prinzen aus königlichem Blute bannte.

Die Assemblée hatte ihren Gang, die Franzosen zeigten sich steif und förmlich, in jedem Gesicht lag der peinliche Ausdruck, als suche dasselbe etwas, das vermißt werde und nicht zu finden sei. Waren es die Räume des Louvre, oder der Tuilerien, waren es die Zimmer der Schlösser von St. Cloud, St. Germain, Fontainebleau oder Versailles, die hier gesucht und nicht gefunden wurden? Sehnte man sich hier unter Hamburgs Himmel in das idyllische Schäferdörfchen von Klein-Trianon zurück? Wer vermochte dies zu sagen, wer konnte im Innern so vieler Personen lesen? Man sprach, man lächelte fein, man schmeichelte, man witzelte und erging sich auch zum Theil in hohlen Phrasen.

Der Graf von Artois wandte sich an die Reichsgräfin mit dem schmeichelhaften Kompliment: Frau Comtesse! Ihr Hotel ist la France — ah — la France ist im Hotel d’Aldenbourg zu Hamburg.

Ein Höfling, einer der Boutier’s, schnappte diese fade Schmeichelei auf und wisperte sie weiter; sie ging durch alle Zimmer, von Mund zu Mund, wie der Orakelspruch eines Propheten. Man besprach allerdings auch vielfach die Ereignisse der Zeit, aber stets aus einem einseitigen, meist falschen Gesichtspunkt, betäubt von dem Schwindel unerfüllbarer Hoffnungen, in die man sich einwiegte, triumphirend über die Volksaufstände, die in Paris der Hunger hervorrief, und in diesen Aufständen die Strohhalmen einer erfolgreichen Reaction erblickend,

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nächste Verwandte der Reichsgräfin, war Charles Bretagne Marie Joseph Herzog von Tremouille, Prinz von Tarent und Talmont; er stand im Heere des Herzogs von Condé, das er mit ihm auf kurze Zeit verlassen hatte, und die Abzeichen seiner Trauer galten seinem Vater, dem Herzog August Philipp, dem tapfern Vertheidiger des Königthums, der früher als treuanhänglicher Adjutant des Grafen von Artois manchen Sieg in der Vendée erfochten hatte, endlich aber als Cavallerie-General an der Spitze der kriegerischen Vendéer in Gefangenschaft gerieth und seine Treue gegen das Königshaus mit dem Tode büßte. Kein Wunder, daß der junge Prinz von Talmont ernst einherschritt, und daß man ihm ansah, er komme nicht in diesen Kreis, sich und Andere zu erfreuen, sondern er folge dem Zwang des Herkömmlichen wie des Dienstes, der ihn an einen Prinzen aus königlichem Blute bannte.</p>
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[233/0237] nächste Verwandte der Reichsgräfin, war Charles Bretagne Marie Joseph Herzog von Tremouille, Prinz von Tarent und Talmont; er stand im Heere des Herzogs von Condé, das er mit ihm auf kurze Zeit verlassen hatte, und die Abzeichen seiner Trauer galten seinem Vater, dem Herzog August Philipp, dem tapfern Vertheidiger des Königthums, der früher als treuanhänglicher Adjutant des Grafen von Artois manchen Sieg in der Vendée erfochten hatte, endlich aber als Cavallerie-General an der Spitze der kriegerischen Vendéer in Gefangenschaft gerieth und seine Treue gegen das Königshaus mit dem Tode büßte. Kein Wunder, daß der junge Prinz von Talmont ernst einherschritt, und daß man ihm ansah, er komme nicht in diesen Kreis, sich und Andere zu erfreuen, sondern er folge dem Zwang des Herkömmlichen wie des Dienstes, der ihn an einen Prinzen aus königlichem Blute bannte. Die Assemblée hatte ihren Gang, die Franzosen zeigten sich steif und förmlich, in jedem Gesicht lag der peinliche Ausdruck, als suche dasselbe etwas, das vermißt werde und nicht zu finden sei. Waren es die Räume des Louvre, oder der Tuilerien, waren es die Zimmer der Schlösser von St. Cloud, St. Germain, Fontainebleau oder Versailles, die hier gesucht und nicht gefunden wurden? Sehnte man sich hier unter Hamburgs Himmel in das idyllische Schäferdörfchen von Klein-Trianon zurück? Wer vermochte dies zu sagen, wer konnte im Innern so vieler Personen lesen? Man sprach, man lächelte fein, man schmeichelte, man witzelte und erging sich auch zum Theil in hohlen Phrasen. Der Graf von Artois wandte sich an die Reichsgräfin mit dem schmeichelhaften Kompliment: Frau Comtesse! Ihr Hotel ist la France — ah — la France ist im Hotel d’Aldenbourg zu Hamburg. Ein Höfling, einer der Boutier’s, schnappte diese fade Schmeichelei auf und wisperte sie weiter; sie ging durch alle Zimmer, von Mund zu Mund, wie der Orakelspruch eines Propheten. Man besprach allerdings auch vielfach die Ereignisse der Zeit, aber stets aus einem einseitigen, meist falschen Gesichtspunkt, betäubt von dem Schwindel unerfüllbarer Hoffnungen, in die man sich einwiegte, triumphirend über die Volksaufstände, die in Paris der Hunger hervorrief, und in diesen Aufständen die Strohhalmen einer erfolgreichen Reaction erblickend,

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/237>, abgerufen am 17.05.2024.