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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Du Glücklicher, dem noch eine liebende Mutter lebt! rief Ludwig schmerzlich aus. Wie sehne ich mich bisweilen nach solchem Glück! Mutterliebe ist eine helle Leuchte auf dem Lebenspfad -- ich irre im Dunkel -- oh -- mein Schatten!

So freue dich an meinem Glück, noch die Mutter zu haben, komme mit mir. Du sollst ja Seeluft athmen, will der Arzt, die hast du halb und halb schon in Amsterdam, und wenn es dir nicht mehr bei mir gefällt, dann gehst du nach England, dessen mildes Klima dich neu beleben wird. Ludwig, du neigst dich zu düsterer Schwermuth, das ist nicht gut in so jungen Jahren; doch ich kenne diese innern Kämpfe.

"Wir müssen Alle ringen,
Des Kampfs bleibt keiner frei;
Doch soll ein Sieg gelingen,
Frag' nicht, ob schwer er sei?"

Sieh' mich an! Habe ich nicht auch schwer an Leid zu tragen? Weine ich nicht über Trümmern schöner niedergesunkener Hoffnungen? Was ist der Verlust irdischen Besitzes gegen den Verlust eines Herzens? Jene große und edle Seele meiner Anges riß sich los von mir, auf daß unsere Liebe eine reine bleibe, auf die wir ohne Reue noch in späten Tagen zurückblicken sollen; ich bezwang alle Glut meiner Gefühle -- ich ließ sie ziehen, und nur schwach ist meine Hoffnung, daß ich sie wiedersehe. Aber darum doch kein unmännliches Zagen und Muthloswerden! Hinaus, wie der rastlose Schiffer, immer auf's Neue hinaus in den Sturm und Drang der Lebenswogen, mitten durch die Brandung, denn im Sturme läutern sich die Gefühle, und immer muß der Mann suchen, sein Bestes zu retten, seine Selbständigkeit und seine sittliche Freiheit.

Ich gehe mit dir, Leonardus! sprach Ludwig. Dein Rath ist immer treu und deine Gesinnung wie Gold. Ich werde auch meine Schwachheit überwinden, die, wie ich fühle, krankhafter Natur ist; an deinem Beispiel soll meine Kraft sich aufrichten.

Viel Schweres gibt das Leben uns zu tragen, nahm wieder Leonardus das Wort. Wir müssen in der Jugend lernen, uns mit dem Panzer der Unverwundbarkeit zu rüsten; das Herz darf nicht brechen unter den Keulenschlägen des Schicksals, es muß hoffen und dauern.

Du Glücklicher, dem noch eine liebende Mutter lebt! rief Ludwig schmerzlich aus. Wie sehne ich mich bisweilen nach solchem Glück! Mutterliebe ist eine helle Leuchte auf dem Lebenspfad — ich irre im Dunkel — oh — mein Schatten!

So freue dich an meinem Glück, noch die Mutter zu haben, komme mit mir. Du sollst ja Seeluft athmen, will der Arzt, die hast du halb und halb schon in Amsterdam, und wenn es dir nicht mehr bei mir gefällt, dann gehst du nach England, dessen mildes Klima dich neu beleben wird. Ludwig, du neigst dich zu düsterer Schwermuth, das ist nicht gut in so jungen Jahren; doch ich kenne diese innern Kämpfe.

„Wir müssen Alle ringen,
Des Kampfs bleibt keiner frei;
Doch soll ein Sieg gelingen,
Frag’ nicht, ob schwer er sei?“

Sieh’ mich an! Habe ich nicht auch schwer an Leid zu tragen? Weine ich nicht über Trümmern schöner niedergesunkener Hoffnungen? Was ist der Verlust irdischen Besitzes gegen den Verlust eines Herzens? Jene große und edle Seele meiner Angés riß sich los von mir, auf daß unsere Liebe eine reine bleibe, auf die wir ohne Reue noch in späten Tagen zurückblicken sollen; ich bezwang alle Glut meiner Gefühle — ich ließ sie ziehen, und nur schwach ist meine Hoffnung, daß ich sie wiedersehe. Aber darum doch kein unmännliches Zagen und Muthloswerden! Hinaus, wie der rastlose Schiffer, immer auf’s Neue hinaus in den Sturm und Drang der Lebenswogen, mitten durch die Brandung, denn im Sturme läutern sich die Gefühle, und immer muß der Mann suchen, sein Bestes zu retten, seine Selbständigkeit und seine sittliche Freiheit.

Ich gehe mit dir, Leonardus! sprach Ludwig. Dein Rath ist immer treu und deine Gesinnung wie Gold. Ich werde auch meine Schwachheit überwinden, die, wie ich fühle, krankhafter Natur ist; an deinem Beispiel soll meine Kraft sich aufrichten.

Viel Schweres gibt das Leben uns zu tragen, nahm wieder Leonardus das Wort. Wir müssen in der Jugend lernen, uns mit dem Panzer der Unverwundbarkeit zu rüsten; das Herz darf nicht brechen unter den Keulenschlägen des Schicksals, es muß hoffen und dauern.

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[241/0245] Du Glücklicher, dem noch eine liebende Mutter lebt! rief Ludwig schmerzlich aus. Wie sehne ich mich bisweilen nach solchem Glück! Mutterliebe ist eine helle Leuchte auf dem Lebenspfad — ich irre im Dunkel — oh — mein Schatten! So freue dich an meinem Glück, noch die Mutter zu haben, komme mit mir. Du sollst ja Seeluft athmen, will der Arzt, die hast du halb und halb schon in Amsterdam, und wenn es dir nicht mehr bei mir gefällt, dann gehst du nach England, dessen mildes Klima dich neu beleben wird. Ludwig, du neigst dich zu düsterer Schwermuth, das ist nicht gut in so jungen Jahren; doch ich kenne diese innern Kämpfe. „Wir müssen Alle ringen, Des Kampfs bleibt keiner frei; Doch soll ein Sieg gelingen, Frag’ nicht, ob schwer er sei?“ Sieh’ mich an! Habe ich nicht auch schwer an Leid zu tragen? Weine ich nicht über Trümmern schöner niedergesunkener Hoffnungen? Was ist der Verlust irdischen Besitzes gegen den Verlust eines Herzens? Jene große und edle Seele meiner Angés riß sich los von mir, auf daß unsere Liebe eine reine bleibe, auf die wir ohne Reue noch in späten Tagen zurückblicken sollen; ich bezwang alle Glut meiner Gefühle — ich ließ sie ziehen, und nur schwach ist meine Hoffnung, daß ich sie wiedersehe. Aber darum doch kein unmännliches Zagen und Muthloswerden! Hinaus, wie der rastlose Schiffer, immer auf’s Neue hinaus in den Sturm und Drang der Lebenswogen, mitten durch die Brandung, denn im Sturme läutern sich die Gefühle, und immer muß der Mann suchen, sein Bestes zu retten, seine Selbständigkeit und seine sittliche Freiheit. Ich gehe mit dir, Leonardus! sprach Ludwig. Dein Rath ist immer treu und deine Gesinnung wie Gold. Ich werde auch meine Schwachheit überwinden, die, wie ich fühle, krankhafter Natur ist; an deinem Beispiel soll meine Kraft sich aufrichten. Viel Schweres gibt das Leben uns zu tragen, nahm wieder Leonardus das Wort. Wir müssen in der Jugend lernen, uns mit dem Panzer der Unverwundbarkeit zu rüsten; das Herz darf nicht brechen unter den Keulenschlägen des Schicksals, es muß hoffen und dauern.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/245>, abgerufen am 27.04.2024.