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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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allseits es redlich und treu mit mir meinen, aber langweilig ist die Sache, sehr langweilig. Selbst das hochweise Kammergericht zu Wetzlar ist nicht langweiliger und weitschweifiger. Und nun soll gar Nichts aus dem ganzen Handel werden, gar Nichts, nun will ich nicht mehr! Niemand soll wieder davon mit mir zu reden anfangen, ich verbitte und untersage dies ernstlich. Adieu, meine Herren!

Bitterböse rauschte die Reichsgräfin aus dem Zimmer und warf dessen Thüre mit ungnädiger Heftigkeit hinter sich zu.

Ein böses Wetter heute, meine Herren! sprach Hofrath Brünings und zog die Dose. Nehmen wir noch eine Prise mit auf den Heimweg! Und Sie, Herr Haushofmeister, erkälten Sie sich nicht. Ich beneide Sie nicht um die bevorstehende Spazierfahrt, Sie werden dabei viel Sturm auszustehen haben.

Mit Windeseile jagten sechs stattliche Rappen durch Sturm und Regen über Meereskies und Marschland auf dem besten Wege von Varel nach Kniphausen dahin. Herr Brünings aber hatte sich doch geirrt; die hochbejahrte Frau, die den Aufruhr der Elemente nicht scheute, um den Wunsch einer dem Tode nahen Enkelin zu erfüllen, hatte ihr Antlitz in Schleier gehüllt und saß während der ganzen Fahrt still und regungslos im Wagen. Vor ihr hatten Windt und dessen Schwester den Rücksitz eingenommen. Da die Herrin nicht redete, wagten auch ihre Begleiter nicht zu sprechen. Die Made war furchtbar angeschwollen, fast war die Brücke bedroht, jetzt zeigte sich formlos in Nebelschleiern das stattliche Schloß, grau wie ein Gespensterhaus.

Einige Augenblicke legte sich der Sturm, da drang ein heißerer Schrei herüber vom einsam ragenden Marienthurme; ein Falke, der im Gemäuer sein Nest hatte, schrie so laut und ängstlich. Noch eine bange Viertelstunde und Schloß Kniphausen war erreicht. Der Tag war der 24. November des Jahres 1799.

Der Erbherr trat der Reichsgräfin verstört entgegen, es war ein trauriges Wiedersehen. Großmutter und Enkel wechselten nur wenige Worte, die Dienerschaft stand bleich und bekümmert auf den Gallerien, viele hatten verweinte Augen. Den Erbherrn hatte die lange Haft und manche Sorge sehr verändert: jetzt beugte ihn tiefer Kummer nieder, denn er hatte seine Gemahlin wahrhaft geliebt, wenn

allseits es redlich und treu mit mir meinen, aber langweilig ist die Sache, sehr langweilig. Selbst das hochweise Kammergericht zu Wetzlar ist nicht langweiliger und weitschweifiger. Und nun soll gar Nichts aus dem ganzen Handel werden, gar Nichts, nun will ich nicht mehr! Niemand soll wieder davon mit mir zu reden anfangen, ich verbitte und untersage dies ernstlich. Adieu, meine Herren!

Bitterböse rauschte die Reichsgräfin aus dem Zimmer und warf dessen Thüre mit ungnädiger Heftigkeit hinter sich zu.

Ein böses Wetter heute, meine Herren! sprach Hofrath Brünings und zog die Dose. Nehmen wir noch eine Prise mit auf den Heimweg! Und Sie, Herr Haushofmeister, erkälten Sie sich nicht. Ich beneide Sie nicht um die bevorstehende Spazierfahrt, Sie werden dabei viel Sturm auszustehen haben.

Mit Windeseile jagten sechs stattliche Rappen durch Sturm und Regen über Meereskies und Marschland auf dem besten Wege von Varel nach Kniphausen dahin. Herr Brünings aber hatte sich doch geirrt; die hochbejahrte Frau, die den Aufruhr der Elemente nicht scheute, um den Wunsch einer dem Tode nahen Enkelin zu erfüllen, hatte ihr Antlitz in Schleier gehüllt und saß während der ganzen Fahrt still und regungslos im Wagen. Vor ihr hatten Windt und dessen Schwester den Rücksitz eingenommen. Da die Herrin nicht redete, wagten auch ihre Begleiter nicht zu sprechen. Die Made war furchtbar angeschwollen, fast war die Brücke bedroht, jetzt zeigte sich formlos in Nebelschleiern das stattliche Schloß, grau wie ein Gespensterhaus.

Einige Augenblicke legte sich der Sturm, da drang ein heißerer Schrei herüber vom einsam ragenden Marienthurme; ein Falke, der im Gemäuer sein Nest hatte, schrie so laut und ängstlich. Noch eine bange Viertelstunde und Schloß Kniphausen war erreicht. Der Tag war der 24. November des Jahres 1799.

Der Erbherr trat der Reichsgräfin verstört entgegen, es war ein trauriges Wiedersehen. Großmutter und Enkel wechselten nur wenige Worte, die Dienerschaft stand bleich und bekümmert auf den Gallerien, viele hatten verweinte Augen. Den Erbherrn hatte die lange Haft und manche Sorge sehr verändert: jetzt beugte ihn tiefer Kummer nieder, denn er hatte seine Gemahlin wahrhaft geliebt, wenn

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          <p>Mit Windeseile jagten sechs stattliche Rappen durch Sturm und Regen über Meereskies und Marschland auf dem besten Wege von Varel nach Kniphausen dahin. Herr Brünings aber hatte sich doch geirrt; die hochbejahrte Frau, die den Aufruhr der Elemente nicht scheute, um den Wunsch einer dem Tode nahen Enkelin zu erfüllen, hatte ihr Antlitz in Schleier gehüllt und saß während der ganzen Fahrt still und regungslos im Wagen. Vor ihr hatten Windt und dessen Schwester den Rücksitz eingenommen. Da die Herrin nicht redete, wagten auch ihre Begleiter nicht zu sprechen. Die Made war furchtbar angeschwollen, fast war die Brücke bedroht, jetzt zeigte sich formlos in Nebelschleiern das stattliche Schloß, grau wie ein Gespensterhaus.</p>
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          <p>Der Erbherr trat der Reichsgräfin verstört entgegen, es war ein trauriges Wiedersehen. Großmutter und Enkel wechselten nur wenige Worte, die Dienerschaft stand bleich und bekümmert auf den Gallerien, viele hatten verweinte Augen. Den Erbherrn hatte die lange Haft und manche Sorge sehr verändert: jetzt beugte ihn tiefer Kummer nieder, denn er hatte seine Gemahlin wahrhaft geliebt, wenn
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[346/0350] allseits es redlich und treu mit mir meinen, aber langweilig ist die Sache, sehr langweilig. Selbst das hochweise Kammergericht zu Wetzlar ist nicht langweiliger und weitschweifiger. Und nun soll gar Nichts aus dem ganzen Handel werden, gar Nichts, nun will ich nicht mehr! Niemand soll wieder davon mit mir zu reden anfangen, ich verbitte und untersage dies ernstlich. Adieu, meine Herren! Bitterböse rauschte die Reichsgräfin aus dem Zimmer und warf dessen Thüre mit ungnädiger Heftigkeit hinter sich zu. Ein böses Wetter heute, meine Herren! sprach Hofrath Brünings und zog die Dose. Nehmen wir noch eine Prise mit auf den Heimweg! Und Sie, Herr Haushofmeister, erkälten Sie sich nicht. Ich beneide Sie nicht um die bevorstehende Spazierfahrt, Sie werden dabei viel Sturm auszustehen haben. Mit Windeseile jagten sechs stattliche Rappen durch Sturm und Regen über Meereskies und Marschland auf dem besten Wege von Varel nach Kniphausen dahin. Herr Brünings aber hatte sich doch geirrt; die hochbejahrte Frau, die den Aufruhr der Elemente nicht scheute, um den Wunsch einer dem Tode nahen Enkelin zu erfüllen, hatte ihr Antlitz in Schleier gehüllt und saß während der ganzen Fahrt still und regungslos im Wagen. Vor ihr hatten Windt und dessen Schwester den Rücksitz eingenommen. Da die Herrin nicht redete, wagten auch ihre Begleiter nicht zu sprechen. Die Made war furchtbar angeschwollen, fast war die Brücke bedroht, jetzt zeigte sich formlos in Nebelschleiern das stattliche Schloß, grau wie ein Gespensterhaus. Einige Augenblicke legte sich der Sturm, da drang ein heißerer Schrei herüber vom einsam ragenden Marienthurme; ein Falke, der im Gemäuer sein Nest hatte, schrie so laut und ängstlich. Noch eine bange Viertelstunde und Schloß Kniphausen war erreicht. Der Tag war der 24. November des Jahres 1799. Der Erbherr trat der Reichsgräfin verstört entgegen, es war ein trauriges Wiedersehen. Großmutter und Enkel wechselten nur wenige Worte, die Dienerschaft stand bleich und bekümmert auf den Gallerien, viele hatten verweinte Augen. Den Erbherrn hatte die lange Haft und manche Sorge sehr verändert: jetzt beugte ihn tiefer Kummer nieder, denn er hatte seine Gemahlin wahrhaft geliebt, wenn

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/350>, abgerufen am 27.04.2024.