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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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zu seinem Ziele zu gelangen, mußte er sich eine Partei machen, zu der er auch geringe Bürger und Leute der niederen Klasse herbeizog. Diese wollten aber unter keiner anderen Bedingung ihm anhängen, als daß er ihnen gelobe, nach erkämpftem Siege ihr Schout, so viel wie Grand Baillif zu werden, denn das Volk war, wie das stets bei Revolutionen der Fall ist, mit der Polizei und Gerechtigkeitspflege im Haag höchst unzufrieden und suchte sie zu beseitigen. Der Herr Graf gab sein Wort, seine Partei gewann die Oberhand, und das Volk rief ihn aus Dankbarkeit zu seinem Ober-Amtmann aus. Darüber entsetzte sich seine Frau Mutter, die geborene Baronesse de Tuyll Serooskerken, auf das Aeußerste, wie Ihre Excellenz sich denken können.

Ja wohl, wie ich mir allerdings recht gut denken kann! unterbrach ihn die alte starre Aristokratin. Doch Windt fuhr ruhig fort: Die Frau Mutter des Herrn Grafen drohte, sich gänzlich von ihm loszusagen, wenn er dem Verlangen des Volkes nachgebe, der Graf aber sprach: Ich bin Edelmann und muß im Glücke halten, was ich im Unglücke versprochen habe. Die Zwietracht mit der Mutter blieb, und der Herr Graf blieb Ober-Amtmann.

So spalten die unseligen politischen Parteikämpfe den Frieden und die Herzen der edelsten Familien! rief fast im heftigen Tone die alte Reichsgräfin. Meine Frau Schwiegertochter hat vollkommen Recht! Auch mir schnitt es tief in das Herz, zu sehen, wie ein Angehöriger meiner Familie mit dem Pöbel, der Hefe, zu liebäugeln sich herabließ und sich wegwarf. Aber zuletzt sind Sie selbst solch ein elender Demokrat, Windt!

Der Haushofmeister war einen Augenblick betroffen durch den schneidenden und vorwurfsvollen Ton der alten Frau, deren Gemüth jetzt an der empfindlichsten Stelle und durch eine der unliebsamsten Erinnerungen berührt worden war; doch blieb er gefaßt und entgegnete in seiner zwar unterwürfigen, aber stets würdevollen Redeweise: Ihro Excellenz scheinen sich im Augenblick nicht daran erinnern zu wollen, daß die oranische Partei, für welche der Herr Graf wirkt, nicht die sogenannte Volkspartei war, daß erstere vielmehr durch die untern Schichten gegen die letztere zu wirken suchte, daß aber auch

zu seinem Ziele zu gelangen, mußte er sich eine Partei machen, zu der er auch geringe Bürger und Leute der niederen Klasse herbeizog. Diese wollten aber unter keiner anderen Bedingung ihm anhängen, als daß er ihnen gelobe, nach erkämpftem Siege ihr Schout, so viel wie Grand Baillif zu werden, denn das Volk war, wie das stets bei Revolutionen der Fall ist, mit der Polizei und Gerechtigkeitspflege im Haag höchst unzufrieden und suchte sie zu beseitigen. Der Herr Graf gab sein Wort, seine Partei gewann die Oberhand, und das Volk rief ihn aus Dankbarkeit zu seinem Ober-Amtmann aus. Darüber entsetzte sich seine Frau Mutter, die geborene Baronesse de Tuyll Serooskerken, auf das Aeußerste, wie Ihre Excellenz sich denken können.

Ja wohl, wie ich mir allerdings recht gut denken kann! unterbrach ihn die alte starre Aristokratin. Doch Windt fuhr ruhig fort: Die Frau Mutter des Herrn Grafen drohte, sich gänzlich von ihm loszusagen, wenn er dem Verlangen des Volkes nachgebe, der Graf aber sprach: Ich bin Edelmann und muß im Glücke halten, was ich im Unglücke versprochen habe. Die Zwietracht mit der Mutter blieb, und der Herr Graf blieb Ober-Amtmann.

So spalten die unseligen politischen Parteikämpfe den Frieden und die Herzen der edelsten Familien! rief fast im heftigen Tone die alte Reichsgräfin. Meine Frau Schwiegertochter hat vollkommen Recht! Auch mir schnitt es tief in das Herz, zu sehen, wie ein Angehöriger meiner Familie mit dem Pöbel, der Hefe, zu liebäugeln sich herabließ und sich wegwarf. Aber zuletzt sind Sie selbst solch ein elender Demokrat, Windt!

Der Haushofmeister war einen Augenblick betroffen durch den schneidenden und vorwurfsvollen Ton der alten Frau, deren Gemüth jetzt an der empfindlichsten Stelle und durch eine der unliebsamsten Erinnerungen berührt worden war; doch blieb er gefaßt und entgegnete in seiner zwar unterwürfigen, aber stets würdevollen Redeweise: Ihro Excellenz scheinen sich im Augenblick nicht daran erinnern zu wollen, daß die oranische Partei, für welche der Herr Graf wirkt, nicht die sogenannte Volkspartei war, daß erstere vielmehr durch die untern Schichten gegen die letztere zu wirken suchte, daß aber auch

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[32/0036] zu seinem Ziele zu gelangen, mußte er sich eine Partei machen, zu der er auch geringe Bürger und Leute der niederen Klasse herbeizog. Diese wollten aber unter keiner anderen Bedingung ihm anhängen, als daß er ihnen gelobe, nach erkämpftem Siege ihr Schout, so viel wie Grand Baillif zu werden, denn das Volk war, wie das stets bei Revolutionen der Fall ist, mit der Polizei und Gerechtigkeitspflege im Haag höchst unzufrieden und suchte sie zu beseitigen. Der Herr Graf gab sein Wort, seine Partei gewann die Oberhand, und das Volk rief ihn aus Dankbarkeit zu seinem Ober-Amtmann aus. Darüber entsetzte sich seine Frau Mutter, die geborene Baronesse de Tuyll Serooskerken, auf das Aeußerste, wie Ihre Excellenz sich denken können. Ja wohl, wie ich mir allerdings recht gut denken kann! unterbrach ihn die alte starre Aristokratin. Doch Windt fuhr ruhig fort: Die Frau Mutter des Herrn Grafen drohte, sich gänzlich von ihm loszusagen, wenn er dem Verlangen des Volkes nachgebe, der Graf aber sprach: Ich bin Edelmann und muß im Glücke halten, was ich im Unglücke versprochen habe. Die Zwietracht mit der Mutter blieb, und der Herr Graf blieb Ober-Amtmann. So spalten die unseligen politischen Parteikämpfe den Frieden und die Herzen der edelsten Familien! rief fast im heftigen Tone die alte Reichsgräfin. Meine Frau Schwiegertochter hat vollkommen Recht! Auch mir schnitt es tief in das Herz, zu sehen, wie ein Angehöriger meiner Familie mit dem Pöbel, der Hefe, zu liebäugeln sich herabließ und sich wegwarf. Aber zuletzt sind Sie selbst solch ein elender Demokrat, Windt! Der Haushofmeister war einen Augenblick betroffen durch den schneidenden und vorwurfsvollen Ton der alten Frau, deren Gemüth jetzt an der empfindlichsten Stelle und durch eine der unliebsamsten Erinnerungen berührt worden war; doch blieb er gefaßt und entgegnete in seiner zwar unterwürfigen, aber stets würdevollen Redeweise: Ihro Excellenz scheinen sich im Augenblick nicht daran erinnern zu wollen, daß die oranische Partei, für welche der Herr Graf wirkt, nicht die sogenannte Volkspartei war, daß erstere vielmehr durch die untern Schichten gegen die letztere zu wirken suchte, daß aber auch

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/36>, abgerufen am 26.04.2024.