Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

dauernde Hader, die Zwietracht, die Verachtung, die Verarmung, Alles, bis auf den letzten Punkt!

Sich zu zerstreuen, ging er hinunter in die Wohnung seines Hausmanns, des Apothekers, der ein sehr unterrichteter und dabei jovialer Mann war. Es war Gewohnheit der vornehmeren Einwohner des Städtchens, sich Sonntag Vormittags zu einem Glase Wein in der Apotheke einzufinden, und die Weinstube hatte dadurch, daß auch der fremde Herr, der im Hause wohnte, dieselbe besuchte, einen neuen Reiz gewonnen, zumal Ludwig sich eine Menge solcher Zeitungen des Auslandes kommen ließ, von denen sonst nie ein Blatt nach Ingelfingen gedrungen wäre. Erfuhren auch die Herren nicht, was sie für ihr Leben gern gewußt hätten, wer eigentlich dieser vornehme, zurückhaltende schöne Mann sei, so sahen sie doch seine Persönlichkeit in ihrer nächsten Nähe, sahen, daß ihm der Wein nicht minder mundete wie ihnen, und hörten ihn gern sprechen, wenn er über die Ereignisse der Zeit über die Hoffnungen und Befürchtungen in politischer Beziehung sich äußerte. Auch hatte der Postmeister der Gesellschaft vertraut, der fremde Herr empfange fast mehr Briefe, als der erste Kaufmann von Ingelfingen. -- Sophie beschäftigte sich stets in Gegenwart ihres Kammermädchens, wenn der Graf ihr nicht Gesellschaft leistete, mit leichter weiblicher Arbeit, oder las gute französische Bücher, übte sich auch bisweilen im Deutschen, worin jedoch ihre Fortschritte nur langsam waren; besonders fiel das Nachmalen der deutschen Schrift ihr schwer. Manche stille Thräne weinte sie um die dahingeschiedene Anges und die Trennung vom Mutterherzen, und ängstlich vermied sie Jemanden zu begegnen; ein fremder Tritt auf der Treppe oder im Vorsaal machte sie erbeben. Philipp ritt oder fuhr während des Aufenthaltes in Ingelfingen fast wöchentlich einmal als Sendbote in das badische Land; denn es wurde ein lebhafter Briefwechsel mit der Prinzessin unterhalten.

Ludwig beschäftigte sich in seinen zahlreichen Mußestunden mit Studien, zu denen seines Hauswirthes Beruf und Büchersammlung den meisten Anlaß bot. Da standen wohlgeordnet die Werke der Koryphäen der pharmaceutischen Wissenschaft neben einander: Göttling, Buchholz, Tromsdorf, Schrader, Wiegleb waren durch ihre Schriften und Almanache für Scheidekünstler vertreten; eine Sammlung von Pharmacopöen,

dauernde Hader, die Zwietracht, die Verachtung, die Verarmung, Alles, bis auf den letzten Punkt!

Sich zu zerstreuen, ging er hinunter in die Wohnung seines Hausmanns, des Apothekers, der ein sehr unterrichteter und dabei jovialer Mann war. Es war Gewohnheit der vornehmeren Einwohner des Städtchens, sich Sonntag Vormittags zu einem Glase Wein in der Apotheke einzufinden, und die Weinstube hatte dadurch, daß auch der fremde Herr, der im Hause wohnte, dieselbe besuchte, einen neuen Reiz gewonnen, zumal Ludwig sich eine Menge solcher Zeitungen des Auslandes kommen ließ, von denen sonst nie ein Blatt nach Ingelfingen gedrungen wäre. Erfuhren auch die Herren nicht, was sie für ihr Leben gern gewußt hätten, wer eigentlich dieser vornehme, zurückhaltende schöne Mann sei, so sahen sie doch seine Persönlichkeit in ihrer nächsten Nähe, sahen, daß ihm der Wein nicht minder mundete wie ihnen, und hörten ihn gern sprechen, wenn er über die Ereignisse der Zeit über die Hoffnungen und Befürchtungen in politischer Beziehung sich äußerte. Auch hatte der Postmeister der Gesellschaft vertraut, der fremde Herr empfange fast mehr Briefe, als der erste Kaufmann von Ingelfingen. — Sophie beschäftigte sich stets in Gegenwart ihres Kammermädchens, wenn der Graf ihr nicht Gesellschaft leistete, mit leichter weiblicher Arbeit, oder las gute französische Bücher, übte sich auch bisweilen im Deutschen, worin jedoch ihre Fortschritte nur langsam waren; besonders fiel das Nachmalen der deutschen Schrift ihr schwer. Manche stille Thräne weinte sie um die dahingeschiedene Angés und die Trennung vom Mutterherzen, und ängstlich vermied sie Jemanden zu begegnen; ein fremder Tritt auf der Treppe oder im Vorsaal machte sie erbeben. Philipp ritt oder fuhr während des Aufenthaltes in Ingelfingen fast wöchentlich einmal als Sendbote in das badische Land; denn es wurde ein lebhafter Briefwechsel mit der Prinzessin unterhalten.

Ludwig beschäftigte sich in seinen zahlreichen Mußestunden mit Studien, zu denen seines Hauswirthes Beruf und Büchersammlung den meisten Anlaß bot. Da standen wohlgeordnet die Werke der Koryphäen der pharmaceutischen Wissenschaft neben einander: Göttling, Buchholz, Tromsdorf, Schrader, Wiegleb waren durch ihre Schriften und Almanache für Scheidekünstler vertreten; eine Sammlung von Pharmacopöen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0387" n="383"/>
dauernde Hader, die Zwietracht, die Verachtung, die Verarmung, Alles, bis auf den letzten Punkt!</p>
          <p>Sich zu zerstreuen, ging er hinunter in die Wohnung seines Hausmanns, des Apothekers, der ein sehr unterrichteter und dabei jovialer Mann war. Es war Gewohnheit der vornehmeren Einwohner des Städtchens, sich Sonntag Vormittags zu einem Glase Wein in der Apotheke einzufinden, und die Weinstube hatte dadurch, daß auch der fremde Herr, der im Hause wohnte, dieselbe besuchte, einen neuen Reiz gewonnen, zumal Ludwig sich eine Menge solcher Zeitungen des Auslandes kommen ließ, von denen sonst nie ein Blatt nach Ingelfingen gedrungen wäre. Erfuhren auch die Herren nicht, was sie für ihr Leben gern gewußt hätten, wer eigentlich dieser vornehme, zurückhaltende schöne Mann sei, so sahen sie doch seine Persönlichkeit in ihrer nächsten Nähe, sahen, daß ihm der Wein nicht minder mundete wie ihnen, und hörten ihn gern sprechen, wenn er über die Ereignisse der Zeit über die Hoffnungen und Befürchtungen in politischer Beziehung sich äußerte. Auch hatte der Postmeister der Gesellschaft vertraut, der fremde Herr empfange fast mehr Briefe, als der erste Kaufmann von Ingelfingen. &#x2014; Sophie beschäftigte sich stets in Gegenwart ihres Kammermädchens, wenn der Graf ihr nicht Gesellschaft leistete, mit leichter weiblicher Arbeit, oder las gute französische Bücher, übte sich auch bisweilen im Deutschen, worin jedoch ihre Fortschritte nur langsam waren; besonders fiel das Nachmalen der deutschen Schrift ihr schwer. Manche stille Thräne weinte sie um die dahingeschiedene Angés und die Trennung vom Mutterherzen, und ängstlich vermied sie Jemanden zu begegnen; ein fremder Tritt auf der Treppe oder im Vorsaal machte sie erbeben. Philipp ritt oder fuhr während des Aufenthaltes in Ingelfingen fast wöchentlich einmal als Sendbote in das badische Land; denn es wurde ein lebhafter Briefwechsel mit der Prinzessin unterhalten.</p>
          <p>Ludwig beschäftigte sich in seinen zahlreichen Mußestunden mit Studien, zu denen seines Hauswirthes Beruf und Büchersammlung den meisten Anlaß bot. Da standen wohlgeordnet die Werke der Koryphäen der pharmaceutischen Wissenschaft neben einander: Göttling, Buchholz, Tromsdorf, Schrader, Wiegleb waren durch ihre Schriften und Almanache für Scheidekünstler vertreten; eine Sammlung von Pharmacopöen,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0387] dauernde Hader, die Zwietracht, die Verachtung, die Verarmung, Alles, bis auf den letzten Punkt! Sich zu zerstreuen, ging er hinunter in die Wohnung seines Hausmanns, des Apothekers, der ein sehr unterrichteter und dabei jovialer Mann war. Es war Gewohnheit der vornehmeren Einwohner des Städtchens, sich Sonntag Vormittags zu einem Glase Wein in der Apotheke einzufinden, und die Weinstube hatte dadurch, daß auch der fremde Herr, der im Hause wohnte, dieselbe besuchte, einen neuen Reiz gewonnen, zumal Ludwig sich eine Menge solcher Zeitungen des Auslandes kommen ließ, von denen sonst nie ein Blatt nach Ingelfingen gedrungen wäre. Erfuhren auch die Herren nicht, was sie für ihr Leben gern gewußt hätten, wer eigentlich dieser vornehme, zurückhaltende schöne Mann sei, so sahen sie doch seine Persönlichkeit in ihrer nächsten Nähe, sahen, daß ihm der Wein nicht minder mundete wie ihnen, und hörten ihn gern sprechen, wenn er über die Ereignisse der Zeit über die Hoffnungen und Befürchtungen in politischer Beziehung sich äußerte. Auch hatte der Postmeister der Gesellschaft vertraut, der fremde Herr empfange fast mehr Briefe, als der erste Kaufmann von Ingelfingen. — Sophie beschäftigte sich stets in Gegenwart ihres Kammermädchens, wenn der Graf ihr nicht Gesellschaft leistete, mit leichter weiblicher Arbeit, oder las gute französische Bücher, übte sich auch bisweilen im Deutschen, worin jedoch ihre Fortschritte nur langsam waren; besonders fiel das Nachmalen der deutschen Schrift ihr schwer. Manche stille Thräne weinte sie um die dahingeschiedene Angés und die Trennung vom Mutterherzen, und ängstlich vermied sie Jemanden zu begegnen; ein fremder Tritt auf der Treppe oder im Vorsaal machte sie erbeben. Philipp ritt oder fuhr während des Aufenthaltes in Ingelfingen fast wöchentlich einmal als Sendbote in das badische Land; denn es wurde ein lebhafter Briefwechsel mit der Prinzessin unterhalten. Ludwig beschäftigte sich in seinen zahlreichen Mußestunden mit Studien, zu denen seines Hauswirthes Beruf und Büchersammlung den meisten Anlaß bot. Da standen wohlgeordnet die Werke der Koryphäen der pharmaceutischen Wissenschaft neben einander: Göttling, Buchholz, Tromsdorf, Schrader, Wiegleb waren durch ihre Schriften und Almanache für Scheidekünstler vertreten; eine Sammlung von Pharmacopöen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/387
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/387>, abgerufen am 30.05.2024.