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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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der Poesie des Volksmährchens wurden, standen Ludwig und Sophie an der bretternen Wand und belachten herzlich der großen und kleinen Kinder Abenteuersucht. Gewöhnlich mußte dann Philipp Brettstückchen sägen und die Löcher im Zaune wieder zunageln.

Nie gab es auffallendere Gegensätze, als das Leben dieses geheimnißvollen Paares, wie es nach Außen hin in seiner räthselhaften Abgeschlossenheit der alltäglichen Umgebung erschien, und Jenes, das Beide in Wirklichkeit führten; nach Innen die reine, lautere Wahrheit, nach Außen die romantische und selbstersonnene Täuschung.

Mitunter gab es auch Tage, an welchen die Postpferde schon zu sehr früher Morgenstunde vor dem Hause sein mußten; Philipp half dieselben rasch an den Wagen des Grafen spannen und schwang sich dann zum Postillon auf den Bock empor. An solchen Tagen durften weder die Köchin noch die Aufwärterin das Haus betreten. Einmal geschah es indessen, daß die Erstere, welche einen Schlüssel zur Küche bei sich führte, bei einer solchen Abwesenheit der Herrschaft das bestehende Verbot brach. Sie übersah aber, daß ein Spinnfaden quer über das Schlüsselloch gezogen war. Als die Herrschaft zurückkehrte, wurde diese Köchin mit Belassung ihres Gehaltes für den vollen Rest des Jahres auf der Stelle verabschiedet.

Wohin die Fremdlinge fuhren? -- Jede nächste Poststation bot andere Pferde, andere Postillone, wer konnte also erfahren, wie weit und nach welcher Richtung hin ihr Reiseziel ging? Viele vermutheten, ein religiöses Bedürfniß führe sie zu den Gnadenorten des nachbarlichen Frankenlandes, nach Vierzehnheiligen, oder nach Sanct Ursula, oder zum Gipfel des heiligen Kreuzbergs.

Dem in so geheimnißvoller Eintracht verbundenen Paare, dessen Leben der gesammten Umgebung ein so großes Räthsel war, kam ein wichtiger Tag. Längst hatte Sophie im Stillen dessen gedacht, längst sich mit ihm beschäftigt, zweierlei sollte den Mann überraschen, an den ihr Geschick sie so wundersam gebunden, ja gekettet hatte. Es war der 22. September des Jahres 1808.

Heimlich, in stillen, unbelauschten Stunden hatte sie sich bemüht, Deutsch schreiben zu lernen, was ihr anfangs sehr schwer fiel.

Noch nie war, außer im innersten verschwiegensten Herzen, das traute Du über die Lippen dieser Liebenden gekommen. Dem Genius

der Poesie des Volksmährchens wurden, standen Ludwig und Sophie an der bretternen Wand und belachten herzlich der großen und kleinen Kinder Abenteuersucht. Gewöhnlich mußte dann Philipp Brettstückchen sägen und die Löcher im Zaune wieder zunageln.

Nie gab es auffallendere Gegensätze, als das Leben dieses geheimnißvollen Paares, wie es nach Außen hin in seiner räthselhaften Abgeschlossenheit der alltäglichen Umgebung erschien, und Jenes, das Beide in Wirklichkeit führten; nach Innen die reine, lautere Wahrheit, nach Außen die romantische und selbstersonnene Täuschung.

Mitunter gab es auch Tage, an welchen die Postpferde schon zu sehr früher Morgenstunde vor dem Hause sein mußten; Philipp half dieselben rasch an den Wagen des Grafen spannen und schwang sich dann zum Postillon auf den Bock empor. An solchen Tagen durften weder die Köchin noch die Aufwärterin das Haus betreten. Einmal geschah es indessen, daß die Erstere, welche einen Schlüssel zur Küche bei sich führte, bei einer solchen Abwesenheit der Herrschaft das bestehende Verbot brach. Sie übersah aber, daß ein Spinnfaden quer über das Schlüsselloch gezogen war. Als die Herrschaft zurückkehrte, wurde diese Köchin mit Belassung ihres Gehaltes für den vollen Rest des Jahres auf der Stelle verabschiedet.

Wohin die Fremdlinge fuhren? — Jede nächste Poststation bot andere Pferde, andere Postillone, wer konnte also erfahren, wie weit und nach welcher Richtung hin ihr Reiseziel ging? Viele vermutheten, ein religiöses Bedürfniß führe sie zu den Gnadenorten des nachbarlichen Frankenlandes, nach Vierzehnheiligen, oder nach Sanct Ursula, oder zum Gipfel des heiligen Kreuzbergs.

Dem in so geheimnißvoller Eintracht verbundenen Paare, dessen Leben der gesammten Umgebung ein so großes Räthsel war, kam ein wichtiger Tag. Längst hatte Sophie im Stillen dessen gedacht, längst sich mit ihm beschäftigt, zweierlei sollte den Mann überraschen, an den ihr Geschick sie so wundersam gebunden, ja gekettet hatte. Es war der 22. September des Jahres 1808.

Heimlich, in stillen, unbelauschten Stunden hatte sie sich bemüht, Deutsch schreiben zu lernen, was ihr anfangs sehr schwer fiel.

Noch nie war, außer im innersten verschwiegensten Herzen, das traute Du über die Lippen dieser Liebenden gekommen. Dem Genius

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[418/0422] der Poesie des Volksmährchens wurden, standen Ludwig und Sophie an der bretternen Wand und belachten herzlich der großen und kleinen Kinder Abenteuersucht. Gewöhnlich mußte dann Philipp Brettstückchen sägen und die Löcher im Zaune wieder zunageln. Nie gab es auffallendere Gegensätze, als das Leben dieses geheimnißvollen Paares, wie es nach Außen hin in seiner räthselhaften Abgeschlossenheit der alltäglichen Umgebung erschien, und Jenes, das Beide in Wirklichkeit führten; nach Innen die reine, lautere Wahrheit, nach Außen die romantische und selbstersonnene Täuschung. Mitunter gab es auch Tage, an welchen die Postpferde schon zu sehr früher Morgenstunde vor dem Hause sein mußten; Philipp half dieselben rasch an den Wagen des Grafen spannen und schwang sich dann zum Postillon auf den Bock empor. An solchen Tagen durften weder die Köchin noch die Aufwärterin das Haus betreten. Einmal geschah es indessen, daß die Erstere, welche einen Schlüssel zur Küche bei sich führte, bei einer solchen Abwesenheit der Herrschaft das bestehende Verbot brach. Sie übersah aber, daß ein Spinnfaden quer über das Schlüsselloch gezogen war. Als die Herrschaft zurückkehrte, wurde diese Köchin mit Belassung ihres Gehaltes für den vollen Rest des Jahres auf der Stelle verabschiedet. Wohin die Fremdlinge fuhren? — Jede nächste Poststation bot andere Pferde, andere Postillone, wer konnte also erfahren, wie weit und nach welcher Richtung hin ihr Reiseziel ging? Viele vermutheten, ein religiöses Bedürfniß führe sie zu den Gnadenorten des nachbarlichen Frankenlandes, nach Vierzehnheiligen, oder nach Sanct Ursula, oder zum Gipfel des heiligen Kreuzbergs. Dem in so geheimnißvoller Eintracht verbundenen Paare, dessen Leben der gesammten Umgebung ein so großes Räthsel war, kam ein wichtiger Tag. Längst hatte Sophie im Stillen dessen gedacht, längst sich mit ihm beschäftigt, zweierlei sollte den Mann überraschen, an den ihr Geschick sie so wundersam gebunden, ja gekettet hatte. Es war der 22. September des Jahres 1808. Heimlich, in stillen, unbelauschten Stunden hatte sie sich bemüht, Deutsch schreiben zu lernen, was ihr anfangs sehr schwer fiel. Noch nie war, außer im innersten verschwiegensten Herzen, das traute Du über die Lippen dieser Liebenden gekommen. Dem Genius

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/422>, abgerufen am 28.04.2024.