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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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unseres Geschlechts, mit denen ich lebte, längst alle todt sind. Möchte mein so unbesonnener Fluch, der die dunkelste That meines Lebens war -- ach, ich lebe nur, um ihn zu bereuen! -- dann mindestens gesühnt sein, wenn ich selbst der Sühnung vor dem ewigen Richterstuhl bedarf. Nie soll ein Mensch Verwünschungen über seine Lippen gehen lassen, denn es hört sie eine dunkle dämonische Macht und nimmt sie hohnlachend auf ihre schwarzen Schwingen.

Ludwig war heftig aufgeregt, er legte sich fiebernd nieder. Es wurde ihm in der Nacht so unwohl, daß er die Klingel zog. Sophie eilte erschreckt aus ihrem Zimmer zu dem Kranken hinüber, auch die Köchin erschien.

Sophie weinte und wachte die ganze Nacht hindurch am Lager des Kranken. Dieser blickte sie lange schweigend an und sprach dann halb wie im Fieber:

Wenn ich nun dahingehe, was hat sie dann, die arme Verlassene? Wohin geht sie und wo bleibt sie dann? Unkundig aller Verhältnisse der Außenwelt -- o wie unglücklich wird sie sein -- o wie erbarmungswerth -- und das ist dann mein Werk, ich Unglückseliger! Ich rang nach dem hohen Gute, ich errang es, weihte ihm mein ganzes Leben mit feierlichem Gelübde. Das Gelübde hab' ich unerschütterlich gehalten, aber meine Eigensucht hat nicht daran gedacht, daß ich vor ihr abgerufen werden könnte!

Diese Betrachtungen marterten des Kranken Hirn bis zur heftigen Fieberglut, er fühlte sich völlig machtlos und sah im Fieber, wie eine hohe, dunkelverhüllte Gestalt die arme Sophie, welche einer geknickten Lilie glich, auf ihre Arme nahm und sie von hinnen trug, weit, weit fort. Immer sah er sie noch und vermochte ihr doch nicht zu folgen, immer weiter und weiter schritt jene Gestalt in eine unermeßliche öde Ferne, wurde immer kleiner, endlich war sie so weit, daß sie mit dem Dunkel der Ferne verschmolz, aber Sophiens Gestalt ward immer heller und heller, je weiter sie von ihm weggetragen wurde -- endlich war auch sie nicht mehr sichtbar, sondern leuchtete nur noch wie ein kleiner reiner Stern.

Als der mit tödtlicher Sorge herangewachte Morgen erschien, fühlte sich der Graf besser, er sank aus der verwirrten Welt der Phantasieen in einen ruhigen Schlummer, doch mußte er noch mehrere Tage das

unseres Geschlechts, mit denen ich lebte, längst alle todt sind. Möchte mein so unbesonnener Fluch, der die dunkelste That meines Lebens war — ach, ich lebe nur, um ihn zu bereuen! — dann mindestens gesühnt sein, wenn ich selbst der Sühnung vor dem ewigen Richterstuhl bedarf. Nie soll ein Mensch Verwünschungen über seine Lippen gehen lassen, denn es hört sie eine dunkle dämonische Macht und nimmt sie hohnlachend auf ihre schwarzen Schwingen.

Ludwig war heftig aufgeregt, er legte sich fiebernd nieder. Es wurde ihm in der Nacht so unwohl, daß er die Klingel zog. Sophie eilte erschreckt aus ihrem Zimmer zu dem Kranken hinüber, auch die Köchin erschien.

Sophie weinte und wachte die ganze Nacht hindurch am Lager des Kranken. Dieser blickte sie lange schweigend an und sprach dann halb wie im Fieber:

Wenn ich nun dahingehe, was hat sie dann, die arme Verlassene? Wohin geht sie und wo bleibt sie dann? Unkundig aller Verhältnisse der Außenwelt — o wie unglücklich wird sie sein — o wie erbarmungswerth — und das ist dann mein Werk, ich Unglückseliger! Ich rang nach dem hohen Gute, ich errang es, weihte ihm mein ganzes Leben mit feierlichem Gelübde. Das Gelübde hab’ ich unerschütterlich gehalten, aber meine Eigensucht hat nicht daran gedacht, daß ich vor ihr abgerufen werden könnte!

Diese Betrachtungen marterten des Kranken Hirn bis zur heftigen Fieberglut, er fühlte sich völlig machtlos und sah im Fieber, wie eine hohe, dunkelverhüllte Gestalt die arme Sophie, welche einer geknickten Lilie glich, auf ihre Arme nahm und sie von hinnen trug, weit, weit fort. Immer sah er sie noch und vermochte ihr doch nicht zu folgen, immer weiter und weiter schritt jene Gestalt in eine unermeßliche öde Ferne, wurde immer kleiner, endlich war sie so weit, daß sie mit dem Dunkel der Ferne verschmolz, aber Sophiens Gestalt ward immer heller und heller, je weiter sie von ihm weggetragen wurde — endlich war auch sie nicht mehr sichtbar, sondern leuchtete nur noch wie ein kleiner reiner Stern.

Als der mit tödtlicher Sorge herangewachte Morgen erschien, fühlte sich der Graf besser, er sank aus der verwirrten Welt der Phantasieen in einen ruhigen Schlummer, doch mußte er noch mehrere Tage das

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[451/0455] unseres Geschlechts, mit denen ich lebte, längst alle todt sind. Möchte mein so unbesonnener Fluch, der die dunkelste That meines Lebens war — ach, ich lebe nur, um ihn zu bereuen! — dann mindestens gesühnt sein, wenn ich selbst der Sühnung vor dem ewigen Richterstuhl bedarf. Nie soll ein Mensch Verwünschungen über seine Lippen gehen lassen, denn es hört sie eine dunkle dämonische Macht und nimmt sie hohnlachend auf ihre schwarzen Schwingen. Ludwig war heftig aufgeregt, er legte sich fiebernd nieder. Es wurde ihm in der Nacht so unwohl, daß er die Klingel zog. Sophie eilte erschreckt aus ihrem Zimmer zu dem Kranken hinüber, auch die Köchin erschien. Sophie weinte und wachte die ganze Nacht hindurch am Lager des Kranken. Dieser blickte sie lange schweigend an und sprach dann halb wie im Fieber: Wenn ich nun dahingehe, was hat sie dann, die arme Verlassene? Wohin geht sie und wo bleibt sie dann? Unkundig aller Verhältnisse der Außenwelt — o wie unglücklich wird sie sein — o wie erbarmungswerth — und das ist dann mein Werk, ich Unglückseliger! Ich rang nach dem hohen Gute, ich errang es, weihte ihm mein ganzes Leben mit feierlichem Gelübde. Das Gelübde hab’ ich unerschütterlich gehalten, aber meine Eigensucht hat nicht daran gedacht, daß ich vor ihr abgerufen werden könnte! Diese Betrachtungen marterten des Kranken Hirn bis zur heftigen Fieberglut, er fühlte sich völlig machtlos und sah im Fieber, wie eine hohe, dunkelverhüllte Gestalt die arme Sophie, welche einer geknickten Lilie glich, auf ihre Arme nahm und sie von hinnen trug, weit, weit fort. Immer sah er sie noch und vermochte ihr doch nicht zu folgen, immer weiter und weiter schritt jene Gestalt in eine unermeßliche öde Ferne, wurde immer kleiner, endlich war sie so weit, daß sie mit dem Dunkel der Ferne verschmolz, aber Sophiens Gestalt ward immer heller und heller, je weiter sie von ihm weggetragen wurde — endlich war auch sie nicht mehr sichtbar, sondern leuchtete nur noch wie ein kleiner reiner Stern. Als der mit tödtlicher Sorge herangewachte Morgen erschien, fühlte sich der Graf besser, er sank aus der verwirrten Welt der Phantasieen in einen ruhigen Schlummer, doch mußte er noch mehrere Tage das

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/455>, abgerufen am 21.05.2024.