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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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darin wühlten. Ihr vorhiniges Zittern ging in Zuckungen über, sie fiel in heftige Krämpfe -- entsetzt sprang der Graf vom Stuhl auf und bog sich über sein schönes leidendes Weib. Mit stieren Zügen, die sich verzerrten, stieß Ottoline den Gemahl von sich, und er eilte außer sich vor Schmerz und neuerregter Wuth zur Klingel, welche die Kammerfrau herbeirief. -- Es war sein Werk, Alles was vorging und folgte. --

Am andern Morgen, als Graf Ludwig sich erhoben, trat Jacob, des Erbherrn Jäger, bei ihm ein und meldete, daß sein Gebieter bedauere, das Frühstück nicht mit dem Gast theilen zu können, die Frau Erbherrin sei in der Nacht wahrscheinlich in Folge der gestrigen Aufregung und des Unfalles, tödtlich erkrankt.

Ludwig's Herzblut stockte bei dieser Nachricht -- er vermochte den nichtssagenden Wunsch baldiger Besserung kaum zu stammeln und den Auftrag, daß er sich der regierenden Herrschaft empfehlen lasse. Philipp wurde sofort mit dem Befehle entsendet, zu satteln.

In Gedanken der schmerzlichsten, schwermuthvollsten Art setzte Ludwig seine Reise fort; der Morgen war heute himmlischschön, nebelfrei -- ein seltener Tag in dieser Küstengegend -- aber Ludwig's Gemüth erfreute sich heute nicht am schönen Himmel. Mancher Blick flog noch zum Schlosse Kniphausen zurück, dessen hoher Thurm erst dann den Blicken sich entzog, als Ostringfelde fast erreicht ward. Eine Welt voll Schmerz lastete auf des Jünglings Herzen. Das Dörfchen und Gut Ostringfelde liegt am Wege von Jever nach Varel, und der Weg von Kniphausen über Accum stößt dort auf den ersteren. Aus den malerischen Baumgruppen des gutsherrlichen Gartens erhob sich weit sichtbar und die Umgegend weit überschauend eine alte Warte, ein hoher viereckter Thurm, in jener Gegend ein seltener Anblick, denn der burgähnlichen größern Schlösser sind nur wenige im Lande, dessen Charakter so gänzlich abweicht von den an alten Burgen von malerischer Schönheit reichern Gegenden des mittleren Deutschlands.

Ha! der Marienthurm! -- unterbrach in der Nähe dieser Warte Ludwig sein bisheriges Schweigen, indem er stillhielt und sich vom Pferde schwang. Halte die Isabella, Philipp! fuhr er fort, indem er den Zügel seines Rosses dem Diener zuwarf. Ich will noch einmal von da droben das Heimathland überschauen, das ich verlasse. Dieser

darin wühlten. Ihr vorhiniges Zittern ging in Zuckungen über, sie fiel in heftige Krämpfe — entsetzt sprang der Graf vom Stuhl auf und bog sich über sein schönes leidendes Weib. Mit stieren Zügen, die sich verzerrten, stieß Ottoline den Gemahl von sich, und er eilte außer sich vor Schmerz und neuerregter Wuth zur Klingel, welche die Kammerfrau herbeirief. — Es war sein Werk, Alles was vorging und folgte. —

Am andern Morgen, als Graf Ludwig sich erhoben, trat Jacob, des Erbherrn Jäger, bei ihm ein und meldete, daß sein Gebieter bedauere, das Frühstück nicht mit dem Gast theilen zu können, die Frau Erbherrin sei in der Nacht wahrscheinlich in Folge der gestrigen Aufregung und des Unfalles, tödtlich erkrankt.

Ludwig’s Herzblut stockte bei dieser Nachricht — er vermochte den nichtssagenden Wunsch baldiger Besserung kaum zu stammeln und den Auftrag, daß er sich der regierenden Herrschaft empfehlen lasse. Philipp wurde sofort mit dem Befehle entsendet, zu satteln.

In Gedanken der schmerzlichsten, schwermuthvollsten Art setzte Ludwig seine Reise fort; der Morgen war heute himmlischschön, nebelfrei — ein seltener Tag in dieser Küstengegend — aber Ludwig’s Gemüth erfreute sich heute nicht am schönen Himmel. Mancher Blick flog noch zum Schlosse Kniphausen zurück, dessen hoher Thurm erst dann den Blicken sich entzog, als Ostringfelde fast erreicht ward. Eine Welt voll Schmerz lastete auf des Jünglings Herzen. Das Dörfchen und Gut Ostringfelde liegt am Wege von Jever nach Varel, und der Weg von Kniphausen über Accum stößt dort auf den ersteren. Aus den malerischen Baumgruppen des gutsherrlichen Gartens erhob sich weit sichtbar und die Umgegend weit überschauend eine alte Warte, ein hoher viereckter Thurm, in jener Gegend ein seltener Anblick, denn der burgähnlichen größern Schlösser sind nur wenige im Lande, dessen Charakter so gänzlich abweicht von den an alten Burgen von malerischer Schönheit reichern Gegenden des mittleren Deutschlands.

Ha! der Marienthurm! — unterbrach in der Nähe dieser Warte Ludwig sein bisheriges Schweigen, indem er stillhielt und sich vom Pferde schwang. Halte die Isabella, Philipp! fuhr er fort, indem er den Zügel seines Rosses dem Diener zuwarf. Ich will noch einmal von da droben das Heimathland überschauen, das ich verlasse. Dieser

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[67/0071] darin wühlten. Ihr vorhiniges Zittern ging in Zuckungen über, sie fiel in heftige Krämpfe — entsetzt sprang der Graf vom Stuhl auf und bog sich über sein schönes leidendes Weib. Mit stieren Zügen, die sich verzerrten, stieß Ottoline den Gemahl von sich, und er eilte außer sich vor Schmerz und neuerregter Wuth zur Klingel, welche die Kammerfrau herbeirief. — Es war sein Werk, Alles was vorging und folgte. — Am andern Morgen, als Graf Ludwig sich erhoben, trat Jacob, des Erbherrn Jäger, bei ihm ein und meldete, daß sein Gebieter bedauere, das Frühstück nicht mit dem Gast theilen zu können, die Frau Erbherrin sei in der Nacht wahrscheinlich in Folge der gestrigen Aufregung und des Unfalles, tödtlich erkrankt. Ludwig’s Herzblut stockte bei dieser Nachricht — er vermochte den nichtssagenden Wunsch baldiger Besserung kaum zu stammeln und den Auftrag, daß er sich der regierenden Herrschaft empfehlen lasse. Philipp wurde sofort mit dem Befehle entsendet, zu satteln. In Gedanken der schmerzlichsten, schwermuthvollsten Art setzte Ludwig seine Reise fort; der Morgen war heute himmlischschön, nebelfrei — ein seltener Tag in dieser Küstengegend — aber Ludwig’s Gemüth erfreute sich heute nicht am schönen Himmel. Mancher Blick flog noch zum Schlosse Kniphausen zurück, dessen hoher Thurm erst dann den Blicken sich entzog, als Ostringfelde fast erreicht ward. Eine Welt voll Schmerz lastete auf des Jünglings Herzen. Das Dörfchen und Gut Ostringfelde liegt am Wege von Jever nach Varel, und der Weg von Kniphausen über Accum stößt dort auf den ersteren. Aus den malerischen Baumgruppen des gutsherrlichen Gartens erhob sich weit sichtbar und die Umgegend weit überschauend eine alte Warte, ein hoher viereckter Thurm, in jener Gegend ein seltener Anblick, denn der burgähnlichen größern Schlösser sind nur wenige im Lande, dessen Charakter so gänzlich abweicht von den an alten Burgen von malerischer Schönheit reichern Gegenden des mittleren Deutschlands. Ha! der Marienthurm! — unterbrach in der Nähe dieser Warte Ludwig sein bisheriges Schweigen, indem er stillhielt und sich vom Pferde schwang. Halte die Isabella, Philipp! fuhr er fort, indem er den Zügel seines Rosses dem Diener zuwarf. Ich will noch einmal von da droben das Heimathland überschauen, das ich verlasse. Dieser

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/71>, abgerufen am 28.04.2024.