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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Drahtzieher.
auf der Schaukel zurück und zieht auf diese Art durch das Gewicht
seines Körpers den Drahtzain mit der Zange, welche durch den Ring
gespannt ist, auf jeden Ruck 10 bis 12 Zoll vor, indem er bei jedem
Vorfahren wieder mit der Zange nachgreift. Obgleich diese Art des
Drahtziehens mühsam und langwierig war, so verkauften doch noch im
vorigen Jahrhundert die Elfdaler Bauern diesen Draht wohlfeiler, als
die Wasserwerke. Die feinsten Zieheisen kamen aus Lyon. Das
Eisen, aus dem sie gemacht waren, scheint ein Mittelstoff zwischen
hartem Stahl und weissem Roheisen gewesen zu sein.

[Abbildung] Fig. 284.

Für unsere heutige Anschauungsweise scheint es zwar nur ein
kleiner Schritt, die menschliche Arbeit bei einer so einfachen Vor-
richtung durch eine andere Kraft, wie die des Wassers, zu ersetzen:
im Mittelalter aber war dies eine grosse Erfindung. Ausser zu Säge-
mühlen und Mahlmühlen verwendete man die Wasserkraft vor dem
13. Jahrhundert zu keiner anderen mechanischen Verrichtung. Ihre
Verwendung zum Ziehen des Drahtes fällt in die erste Hälfte des
14. Jahrhunderts und wird einem Nürnberger mit Namen Rudolph
zugeschrieben. Schon 1351 kommt sowohl der Name Drahtzieher als
Drahtmüller in Augsburg vor 1). Im Augsburger Lagerbuch wird
in diesem Jahre der Name Chunrad Tratmüller de Tratmül aufgeführt.
In Nürnberg geschieht eines Drahtmüllers im Jahre 1360 Erwähnung.
In Betreff der Erfindung wird erzählt, dass Rudolph seine Erfindung,
durch die er viel Geld verdiente, sehr geheim hielt, dass aber sein
Sohn bestochen wurde und ein Modell der Maschinerie anfertigte.
Als sein Vater dies erfuhr, wurde er so aufgebracht, dass er seinem
Sohn nach dem Leben trachtete, der deshalb von Nürnberg fliehen
musste.


1) v. Stetten, Kunstgeschichte der Stadt Augsburg V, 223.

Drahtzieher.
auf der Schaukel zurück und zieht auf diese Art durch das Gewicht
seines Körpers den Drahtzain mit der Zange, welche durch den Ring
gespannt ist, auf jeden Ruck 10 bis 12 Zoll vor, indem er bei jedem
Vorfahren wieder mit der Zange nachgreift. Obgleich diese Art des
Drahtziehens mühsam und langwierig war, so verkauften doch noch im
vorigen Jahrhundert die Elfdaler Bauern diesen Draht wohlfeiler, als
die Wasserwerke. Die feinsten Zieheisen kamen aus Lyon. Das
Eisen, aus dem sie gemacht waren, scheint ein Mittelstoff zwischen
hartem Stahl und weiſsem Roheisen gewesen zu sein.

[Abbildung] Fig. 284.

Für unsere heutige Anschauungsweise scheint es zwar nur ein
kleiner Schritt, die menschliche Arbeit bei einer so einfachen Vor-
richtung durch eine andere Kraft, wie die des Wassers, zu ersetzen:
im Mittelalter aber war dies eine groſse Erfindung. Auſser zu Säge-
mühlen und Mahlmühlen verwendete man die Wasserkraft vor dem
13. Jahrhundert zu keiner anderen mechanischen Verrichtung. Ihre
Verwendung zum Ziehen des Drahtes fällt in die erste Hälfte des
14. Jahrhunderts und wird einem Nürnberger mit Namen Rudolph
zugeschrieben. Schon 1351 kommt sowohl der Name Drahtzieher als
Drahtmüller in Augsburg vor 1). Im Augsburger Lagerbuch wird
in diesem Jahre der Name Chunrad Tratmüller de Tratmül aufgeführt.
In Nürnberg geschieht eines Drahtmüllers im Jahre 1360 Erwähnung.
In Betreff der Erfindung wird erzählt, daſs Rudolph seine Erfindung,
durch die er viel Geld verdiente, sehr geheim hielt, daſs aber sein
Sohn bestochen wurde und ein Modell der Maschinerie anfertigte.
Als sein Vater dies erfuhr, wurde er so aufgebracht, daſs er seinem
Sohn nach dem Leben trachtete, der deshalb von Nürnberg fliehen
muſste.


1) v. Stetten, Kunstgeschichte der Stadt Augsburg V, 223.
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[889/0911] Drahtzieher. auf der Schaukel zurück und zieht auf diese Art durch das Gewicht seines Körpers den Drahtzain mit der Zange, welche durch den Ring gespannt ist, auf jeden Ruck 10 bis 12 Zoll vor, indem er bei jedem Vorfahren wieder mit der Zange nachgreift. Obgleich diese Art des Drahtziehens mühsam und langwierig war, so verkauften doch noch im vorigen Jahrhundert die Elfdaler Bauern diesen Draht wohlfeiler, als die Wasserwerke. Die feinsten Zieheisen kamen aus Lyon. Das Eisen, aus dem sie gemacht waren, scheint ein Mittelstoff zwischen hartem Stahl und weiſsem Roheisen gewesen zu sein. [Abbildung Fig. 284.] Für unsere heutige Anschauungsweise scheint es zwar nur ein kleiner Schritt, die menschliche Arbeit bei einer so einfachen Vor- richtung durch eine andere Kraft, wie die des Wassers, zu ersetzen: im Mittelalter aber war dies eine groſse Erfindung. Auſser zu Säge- mühlen und Mahlmühlen verwendete man die Wasserkraft vor dem 13. Jahrhundert zu keiner anderen mechanischen Verrichtung. Ihre Verwendung zum Ziehen des Drahtes fällt in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts und wird einem Nürnberger mit Namen Rudolph zugeschrieben. Schon 1351 kommt sowohl der Name Drahtzieher als Drahtmüller in Augsburg vor 1). Im Augsburger Lagerbuch wird in diesem Jahre der Name Chunrad Tratmüller de Tratmül aufgeführt. In Nürnberg geschieht eines Drahtmüllers im Jahre 1360 Erwähnung. In Betreff der Erfindung wird erzählt, daſs Rudolph seine Erfindung, durch die er viel Geld verdiente, sehr geheim hielt, daſs aber sein Sohn bestochen wurde und ein Modell der Maschinerie anfertigte. Als sein Vater dies erfuhr, wurde er so aufgebracht, daſs er seinem Sohn nach dem Leben trachtete, der deshalb von Nürnberg fliehen muſste. 1) v. Stetten, Kunstgeschichte der Stadt Augsburg V, 223.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 889. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/911>, abgerufen am 28.04.2024.