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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899.

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Deutschland 1831 bis 1850.

Der Zollverein hatte den grossen unmittelbaren Nutzen, der be-
sonders auch der Industrie zu gute kam, dass er die Zollgrenzen
zwischen den verbündeten Einzelstaaten aufhob. Der 1. Januar 1834
war der denkwürdige Tag, an dem die Schlagbäume an den Grenzen
der deutschen Zollvereinstaaten verschwanden. Dadurch wurde ein
grosses wirtschaftliches Gebiet geschaffen, welches dem Absatz der
deutschen Industrie freigegeben wurde.

Die handelspolitische Richtung des Zollvereins nach aussen war
wesentlich eine freihändlerische. Seine Tendenz war, alle Fesseln
des Verkehrs nach Möglichkeit zu beseitigen. Wie segensreich er ge-
wirkt hat, wie die wirtschaftliche Vereinigung im Zollverein die poli-
tische Vereinigung des Deutschen Reiches vorbereitet hat, ist zu be-
kannt, um näherer Ausführung zu bedürfen. Uns berührt hier nur
die Stellung des Zollvereins zur Eisenindustrie. Für diese war
die freihändlerische Richtung nicht von Vorteil. Dass die deutsche
Eisenindustrie, welche noch fast ganz auf den Holzkohlenbetrieb an-
gewiesen war, nicht mit England und Belgien konkurrieren konnte,
wird aus dem über diese Länder Mitgeteilten jedem klar sein. Durch
die Zollsätze des Vereins wurde die deutsche Eisenindustrie der eng-
lischen Konkurrenz schutzlos preisgegeben. Roheisen wurde als ein
Rohstoff behandelt und zollfrei eingelassen, während der Zoll auf
Schmiedeeisen ein mässiger war, er betrug 3 Mark für den Centner
(50 kg). In den Nachbarstaaten war diese Industrie weit mehr geschützt.
Frankreichs Eisenindustrie gedieh durch einen ausserordentlichen Zoll-
schutz. Man betrachtete es dort als eine grosse Konzession an den
Freihandel, als man 1835/36 den Zoll für Roheisen auf 5,60 bis
5,40 Mark und den für Stabeisen auf 15 bis 30 Mark pro 100 kg
herabsetzte. Belgiens Eisenindustrie gedieh ausser durch Schutzzölle
dadurch, dass der Staat mit der Eisenindustrie des Landes solidarisch
verbunden war und ihr, indem er alles Eisen für seine Eisenbahnen und
sonstigen Unternehmungen nur aus dem Inlande bezog, einen Absatz
verschaffte, der die belgische Industrie zu grossem Aufschwung brachte.

Die deutsche Eisenindustrie entbehrte des einen wie des anderen,
sie wurde nicht durch Zölle geschützt, noch kauften die Zollvereins-
staaten ihren Eisenbedarf im Vereinsgebiete. Englisches und belgisches
Eisen strömte in das Vaterland und die Eisenbahnen wurden fast
ausschliesslich mit englischem und belgischem Material gebaut. Dass
unter diesen Umständen unsere vaterländische Eisenindustrie nicht
den Aufschwung nehmen konnte, den sie gewiss genommen haben
würde, wenn Deutschland schon damals so geeinigt gewesen wäre

Deutschland 1831 bis 1850.

Der Zollverein hatte den groſsen unmittelbaren Nutzen, der be-
sonders auch der Industrie zu gute kam, daſs er die Zollgrenzen
zwischen den verbündeten Einzelstaaten aufhob. Der 1. Januar 1834
war der denkwürdige Tag, an dem die Schlagbäume an den Grenzen
der deutschen Zollvereinstaaten verschwanden. Dadurch wurde ein
groſses wirtschaftliches Gebiet geschaffen, welches dem Absatz der
deutschen Industrie freigegeben wurde.

Die handelspolitische Richtung des Zollvereins nach auſsen war
wesentlich eine freihändlerische. Seine Tendenz war, alle Fesseln
des Verkehrs nach Möglichkeit zu beseitigen. Wie segensreich er ge-
wirkt hat, wie die wirtschaftliche Vereinigung im Zollverein die poli-
tische Vereinigung des Deutschen Reiches vorbereitet hat, ist zu be-
kannt, um näherer Ausführung zu bedürfen. Uns berührt hier nur
die Stellung des Zollvereins zur Eisenindustrie. Für diese war
die freihändlerische Richtung nicht von Vorteil. Daſs die deutsche
Eisenindustrie, welche noch fast ganz auf den Holzkohlenbetrieb an-
gewiesen war, nicht mit England und Belgien konkurrieren konnte,
wird aus dem über diese Länder Mitgeteilten jedem klar sein. Durch
die Zollsätze des Vereins wurde die deutsche Eisenindustrie der eng-
lischen Konkurrenz schutzlos preisgegeben. Roheisen wurde als ein
Rohstoff behandelt und zollfrei eingelassen, während der Zoll auf
Schmiedeeisen ein mäſsiger war, er betrug 3 Mark für den Centner
(50 kg). In den Nachbarstaaten war diese Industrie weit mehr geschützt.
Frankreichs Eisenindustrie gedieh durch einen auſserordentlichen Zoll-
schutz. Man betrachtete es dort als eine groſse Konzession an den
Freihandel, als man 1835/36 den Zoll für Roheisen auf 5,60 bis
5,40 Mark und den für Stabeisen auf 15 bis 30 Mark pro 100 kg
herabsetzte. Belgiens Eisenindustrie gedieh auſser durch Schutzzölle
dadurch, daſs der Staat mit der Eisenindustrie des Landes solidarisch
verbunden war und ihr, indem er alles Eisen für seine Eisenbahnen und
sonstigen Unternehmungen nur aus dem Inlande bezog, einen Absatz
verschaffte, der die belgische Industrie zu groſsem Aufschwung brachte.

Die deutsche Eisenindustrie entbehrte des einen wie des anderen,
sie wurde nicht durch Zölle geschützt, noch kauften die Zollvereins-
staaten ihren Eisenbedarf im Vereinsgebiete. Englisches und belgisches
Eisen strömte in das Vaterland und die Eisenbahnen wurden fast
ausschlieſslich mit englischem und belgischem Material gebaut. Daſs
unter diesen Umständen unsere vaterländische Eisenindustrie nicht
den Aufschwung nehmen konnte, den sie gewiſs genommen haben
würde, wenn Deutschland schon damals so geeinigt gewesen wäre

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[690/0706] Deutschland 1831 bis 1850. Der Zollverein hatte den groſsen unmittelbaren Nutzen, der be- sonders auch der Industrie zu gute kam, daſs er die Zollgrenzen zwischen den verbündeten Einzelstaaten aufhob. Der 1. Januar 1834 war der denkwürdige Tag, an dem die Schlagbäume an den Grenzen der deutschen Zollvereinstaaten verschwanden. Dadurch wurde ein groſses wirtschaftliches Gebiet geschaffen, welches dem Absatz der deutschen Industrie freigegeben wurde. Die handelspolitische Richtung des Zollvereins nach auſsen war wesentlich eine freihändlerische. Seine Tendenz war, alle Fesseln des Verkehrs nach Möglichkeit zu beseitigen. Wie segensreich er ge- wirkt hat, wie die wirtschaftliche Vereinigung im Zollverein die poli- tische Vereinigung des Deutschen Reiches vorbereitet hat, ist zu be- kannt, um näherer Ausführung zu bedürfen. Uns berührt hier nur die Stellung des Zollvereins zur Eisenindustrie. Für diese war die freihändlerische Richtung nicht von Vorteil. Daſs die deutsche Eisenindustrie, welche noch fast ganz auf den Holzkohlenbetrieb an- gewiesen war, nicht mit England und Belgien konkurrieren konnte, wird aus dem über diese Länder Mitgeteilten jedem klar sein. Durch die Zollsätze des Vereins wurde die deutsche Eisenindustrie der eng- lischen Konkurrenz schutzlos preisgegeben. Roheisen wurde als ein Rohstoff behandelt und zollfrei eingelassen, während der Zoll auf Schmiedeeisen ein mäſsiger war, er betrug 3 Mark für den Centner (50 kg). In den Nachbarstaaten war diese Industrie weit mehr geschützt. Frankreichs Eisenindustrie gedieh durch einen auſserordentlichen Zoll- schutz. Man betrachtete es dort als eine groſse Konzession an den Freihandel, als man 1835/36 den Zoll für Roheisen auf 5,60 bis 5,40 Mark und den für Stabeisen auf 15 bis 30 Mark pro 100 kg herabsetzte. Belgiens Eisenindustrie gedieh auſser durch Schutzzölle dadurch, daſs der Staat mit der Eisenindustrie des Landes solidarisch verbunden war und ihr, indem er alles Eisen für seine Eisenbahnen und sonstigen Unternehmungen nur aus dem Inlande bezog, einen Absatz verschaffte, der die belgische Industrie zu groſsem Aufschwung brachte. Die deutsche Eisenindustrie entbehrte des einen wie des anderen, sie wurde nicht durch Zölle geschützt, noch kauften die Zollvereins- staaten ihren Eisenbedarf im Vereinsgebiete. Englisches und belgisches Eisen strömte in das Vaterland und die Eisenbahnen wurden fast ausschlieſslich mit englischem und belgischem Material gebaut. Daſs unter diesen Umständen unsere vaterländische Eisenindustrie nicht den Aufschwung nehmen konnte, den sie gewiſs genommen haben würde, wenn Deutschland schon damals so geeinigt gewesen wäre

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/706>, abgerufen am 26.04.2024.