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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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IV.
DIE TAE-PIN-BEWEGUNG

BIS 1857.

Der Opiumkrieg erschütterte die Autorität der Mandschu-Regie-
rung in ihren Grundfesten. So leicht konnte nur ein morscher
Bau ins Wanken kommen; bis dahin arbeitete jedoch die Ver-
waltungsmaschine in geordnetem Gange und ohne bedenkliche Stö-
rung. Betrachtete gleich das Volk die Tartaren als fremde Unter-
drücker, so brütete doch der Hass nur im Dunkelen oder ermannte
sich einmal zu hoffnungslosem Ringen. Die im Reiche zerstreuten
Tartaren-Garnisonen genügten zu Aufrechthaltung der Ordnung im
Grossen; das Volk zahlte seine Steuern; die Provinzial-Behörden
konnten Ueberschüsse nach der Hauptstadt senden und der kaiser-
liche Schatz war reich gefüllt. Erst der Opiumkrieg stellte die
Schwäche der Mandschu-Herrschaft in helles Licht und führte
mittelbar die grosse Tae-pin-Bewegung herbei, welche funfzehn
Jahre lang den Thron bedrohte und über den grössten Theil des
Reiches unsägliches Elend brachte.

Die Geschichte von China's Eroberung durch die Mandschu
ist in Kurzem folgende:

Die letzten Min-Kaiser waren entartete Sprossen des grossen
Hauses, dessen Gründer 1368 die mongolischen Nachkommen des
Dzengis-khan nach kaum hundertjähriger Herrschaft aus China
vertrieb; sie lebten, von Eunuchen beherrscht, in tiefster Ver-
weichlichung. Das leidende Volk scheint sie längst nicht mehr als
echte Himmelssöhne angesehen zu haben und bediente sich reich-
lich des in der Theorie des chinesischen Staates begründeten
Rechtes der Rebellion: die letzten fünfundzwanzig Jahre der Min-
Herrschaft bekämpften kaiserliche Heere unablässig Insurgenten in
den Provinzen und die von Norden und Westen eindringenden

IV.
DIE TAE-PIṄ-BEWEGUNG

BIS 1857.

Der Opiumkrieg erschütterte die Autorität der Mandschu-Regie-
rung in ihren Grundfesten. So leicht konnte nur ein morscher
Bau ins Wanken kommen; bis dahin arbeitete jedoch die Ver-
waltungsmaschine in geordnetem Gange und ohne bedenkliche Stö-
rung. Betrachtete gleich das Volk die Tartaren als fremde Unter-
drücker, so brütete doch der Hass nur im Dunkelen oder ermannte
sich einmal zu hoffnungslosem Ringen. Die im Reiche zerstreuten
Tartaren-Garnisonen genügten zu Aufrechthaltung der Ordnung im
Grossen; das Volk zahlte seine Steuern; die Provinzial-Behörden
konnten Ueberschüsse nach der Hauptstadt senden und der kaiser-
liche Schatz war reich gefüllt. Erst der Opiumkrieg stellte die
Schwäche der Mandschu-Herrschaft in helles Licht und führte
mittelbar die grosse Tae-piṅ-Bewegung herbei, welche funfzehn
Jahre lang den Thron bedrohte und über den grössten Theil des
Reiches unsägliches Elend brachte.

Die Geschichte von China’s Eroberung durch die Mandschu
ist in Kurzem folgende:

Die letzten Miṅ-Kaiser waren entartete Sprossen des grossen
Hauses, dessen Gründer 1368 die mongolischen Nachkommen des
Džengis-khan nach kaum hundertjähriger Herrschaft aus China
vertrieb; sie lebten, von Eunuchen beherrscht, in tiefster Ver-
weichlichung. Das leidende Volk scheint sie längst nicht mehr als
echte Himmelssöhne angesehen zu haben und bediente sich reich-
lich des in der Theorie des chinesischen Staates begründeten
Rechtes der Rebellion: die letzten fünfundzwanzig Jahre der Miṅ-
Herrschaft bekämpften kaiserliche Heere unablässig Insurgenten in
den Provinzen und die von Norden und Westen eindringenden

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[[151]/0173] IV. DIE TAE-PIṄ-BEWEGUNG BIS 1857. Der Opiumkrieg erschütterte die Autorität der Mandschu-Regie- rung in ihren Grundfesten. So leicht konnte nur ein morscher Bau ins Wanken kommen; bis dahin arbeitete jedoch die Ver- waltungsmaschine in geordnetem Gange und ohne bedenkliche Stö- rung. Betrachtete gleich das Volk die Tartaren als fremde Unter- drücker, so brütete doch der Hass nur im Dunkelen oder ermannte sich einmal zu hoffnungslosem Ringen. Die im Reiche zerstreuten Tartaren-Garnisonen genügten zu Aufrechthaltung der Ordnung im Grossen; das Volk zahlte seine Steuern; die Provinzial-Behörden konnten Ueberschüsse nach der Hauptstadt senden und der kaiser- liche Schatz war reich gefüllt. Erst der Opiumkrieg stellte die Schwäche der Mandschu-Herrschaft in helles Licht und führte mittelbar die grosse Tae-piṅ-Bewegung herbei, welche funfzehn Jahre lang den Thron bedrohte und über den grössten Theil des Reiches unsägliches Elend brachte. Die Geschichte von China’s Eroberung durch die Mandschu ist in Kurzem folgende: Die letzten Miṅ-Kaiser waren entartete Sprossen des grossen Hauses, dessen Gründer 1368 die mongolischen Nachkommen des Džengis-khan nach kaum hundertjähriger Herrschaft aus China vertrieb; sie lebten, von Eunuchen beherrscht, in tiefster Ver- weichlichung. Das leidende Volk scheint sie längst nicht mehr als echte Himmelssöhne angesehen zu haben und bediente sich reich- lich des in der Theorie des chinesischen Staates begründeten Rechtes der Rebellion: die letzten fünfundzwanzig Jahre der Miṅ- Herrschaft bekämpften kaiserliche Heere unablässig Insurgenten in den Provinzen und die von Norden und Westen eindringenden

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. [151]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/173>, abgerufen am 29.03.2024.