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Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.

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Namen der Schildkröten.
Steinschildkröte, misu-game, Wasserschildkröte, oder nach Hoffmann
bei Schlegel auch yama-game, Bergschildkröte. In der Encyclopädie
finde ich übrigens die Wasser- und die Steinschildkröte in zwei
verschiedenen Artikeln hinter einander, kann aber keinen anderen
Unterschied in den betreffenden Abbildungen finden, als dass die
Wasserschildkröte am steinigen Ufer eines grossen Gewässers; die
Steinschildkröte auf unebenem Boden neben einem Bergbache ab-
gebildet ist. Mino-ngame ist der Name des fabelhaften, oft in Bild
und Sculptur dargestellten Schildkrötenkönigs mit äusseren Ohren
und reichem Haarschweif; letzteren wollten Manche, um die Treue
der japanischen Darstellungen zu verfechten, als auf der Schale
gewachsene Wasserpflanzen, Conferven, deuten, aber die Vergleichung
mit anderen fabelhaften Thieren (vergl. oben) spricht entschieden
dagegen. In der Encyclopädie finde ich noch eine ko-ngame oder
hebi-kui-game, schlangenfressende Schildkröte, ebenfalls mit äusse-
ren Ohren abgebildet und deshalb, wie ihrer angeblichen Nahrung
wegen, wohl nicht minder fabelhaft, als die vorige. Als umi-game,
Meerschildkröte, und tai-mai erscheinen in der Encyclopädie zwei
recht kenntlich dargestellte Meerschildkröten der Gattung Chelonia,
erstere mit einfarbiger, letztere mit gefleckter Schale. Tama-game,
Juwelenschildkröte, soll ohne Zweifel die das Schildpatt liefernde
Karettschildkröte, Chelonia caretta L. sp. = Ch. imbricata auct.,
darstellen, aber die Schuppen ihrer Schale sind in der betreffenden
Figur etwas gar zu flügelförmig ausgefallen, und die Zahl der Füsse
ist auf sechs gestiegen; es ist also für die Japaner ein fremdes,
halb fabelhaftes Thier, wie z. B. das Moschusthier oder der Löwe. An-
dere Entstellungen, wie eine Schildkröte mit Menschenkopf, welche
in der Encyclopädie neben den anderen wirklich existirenden Arten
sich findet, sind offenbar rein erfunden. Nur für die eigenthümliche
Schnappschildkröte, Trionyx (stellatus var. Schlegel = Schlegelii
Brandt), hat der Japaner auch ein eigenes Wort, gesprochen spon,
geschrieben so-u-po-n; die Abbildung in der Encyclopädie ist im
Allgemeinen gut, nur in der Zahl der Zehen nicht genau; ihr schliesst
sich eine ähnliche mit noch längerer gavialähnlicher Schnauze an,
vielleicht eine eigene Art, vielleicht nur abweichende Darstellung
derselben aus anderer Quelle, und endlich ein dreibeiniger spon,
offenbar nur auf einer Monstrosität oder geheilten Verstümmelung
beruhend.

Ost-Asien. Zoologisch. I. 8

Namen der Schildkröten.
Steinschildkröte, misu-game, Wasserschildkröte, oder nach Hoffmann
bei Schlegel auch yama-game, Bergschildkröte. In der Encyclopädie
finde ich übrigens die Wasser- und die Steinschildkröte in zwei
verschiedenen Artikeln hinter einander, kann aber keinen anderen
Unterschied in den betreffenden Abbildungen finden, als dass die
Wasserschildkröte am steinigen Ufer eines grossen Gewässers; die
Steinschildkröte auf unebenem Boden neben einem Bergbache ab-
gebildet ist. Mino-ngame ist der Name des fabelhaften, oft in Bild
und Sculptur dargestellten Schildkrötenkönigs mit äusseren Ohren
und reichem Haarschweif; letzteren wollten Manche, um die Treue
der japanischen Darstellungen zu verfechten, als auf der Schale
gewachsene Wasserpflanzen, Conferven, deuten, aber die Vergleichung
mit anderen fabelhaften Thieren (vergl. oben) spricht entschieden
dagegen. In der Encyclopädie finde ich noch eine ko-ngame oder
hebi-kui-game, schlangenfressende Schildkröte, ebenfalls mit äusse-
ren Ohren abgebildet und deshalb, wie ihrer angeblichen Nahrung
wegen, wohl nicht minder fabelhaft, als die vorige. Als umi-game,
Meerschildkröte, und tai-mai erscheinen in der Encyclopädie zwei
recht kenntlich dargestellte Meerschildkröten der Gattung Chelonia,
erstere mit einfarbiger, letztere mit gefleckter Schale. Tama-game,
Juwelenschildkröte, soll ohne Zweifel die das Schildpatt liefernde
Karettschildkröte, Chelonia caretta L. sp. = Ch. imbricata auct.,
darstellen, aber die Schuppen ihrer Schale sind in der betreffenden
Figur etwas gar zu flügelförmig ausgefallen, und die Zahl der Füsse
ist auf sechs gestiegen; es ist also für die Japaner ein fremdes,
halb fabelhaftes Thier, wie z. B. das Moschusthier oder der Löwe. An-
dere Entstellungen, wie eine Schildkröte mit Menschenkopf, welche
in der Encyclopädie neben den anderen wirklich existirenden Arten
sich findet, sind offenbar rein erfunden. Nur für die eigenthümliche
Schnappschildkröte, Trionyx (stellatus var. Schlegel = Schlegelii
Brandt), hat der Japaner auch ein eigenes Wort, gesprochen spôn,
geschrieben so-u-po-n; die Abbildung in der Encyclopädie ist im
Allgemeinen gut, nur in der Zahl der Zehen nicht genau; ihr schliesst
sich eine ähnliche mit noch längerer gavialähnlicher Schnauze an,
vielleicht eine eigene Art, vielleicht nur abweichende Darstellung
derselben aus anderer Quelle, und endlich ein dreibeiniger spon,
offenbar nur auf einer Monstrosität oder geheilten Verstümmelung
beruhend.

Ost-Asien. Zoologisch. I. 8
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[113/0131] Namen der Schildkröten. Steinschildkröte, misu-game, Wasserschildkröte, oder nach Hoffmann bei Schlegel auch yama-game, Bergschildkröte. In der Encyclopädie finde ich übrigens die Wasser- und die Steinschildkröte in zwei verschiedenen Artikeln hinter einander, kann aber keinen anderen Unterschied in den betreffenden Abbildungen finden, als dass die Wasserschildkröte am steinigen Ufer eines grossen Gewässers; die Steinschildkröte auf unebenem Boden neben einem Bergbache ab- gebildet ist. Mino-ngame ist der Name des fabelhaften, oft in Bild und Sculptur dargestellten Schildkrötenkönigs mit äusseren Ohren und reichem Haarschweif; letzteren wollten Manche, um die Treue der japanischen Darstellungen zu verfechten, als auf der Schale gewachsene Wasserpflanzen, Conferven, deuten, aber die Vergleichung mit anderen fabelhaften Thieren (vergl. oben) spricht entschieden dagegen. In der Encyclopädie finde ich noch eine ko-ngame oder hebi-kui-game, schlangenfressende Schildkröte, ebenfalls mit äusse- ren Ohren abgebildet und deshalb, wie ihrer angeblichen Nahrung wegen, wohl nicht minder fabelhaft, als die vorige. Als umi-game, Meerschildkröte, und tai-mai erscheinen in der Encyclopädie zwei recht kenntlich dargestellte Meerschildkröten der Gattung Chelonia, erstere mit einfarbiger, letztere mit gefleckter Schale. Tama-game, Juwelenschildkröte, soll ohne Zweifel die das Schildpatt liefernde Karettschildkröte, Chelonia caretta L. sp. = Ch. imbricata auct., darstellen, aber die Schuppen ihrer Schale sind in der betreffenden Figur etwas gar zu flügelförmig ausgefallen, und die Zahl der Füsse ist auf sechs gestiegen; es ist also für die Japaner ein fremdes, halb fabelhaftes Thier, wie z. B. das Moschusthier oder der Löwe. An- dere Entstellungen, wie eine Schildkröte mit Menschenkopf, welche in der Encyclopädie neben den anderen wirklich existirenden Arten sich findet, sind offenbar rein erfunden. Nur für die eigenthümliche Schnappschildkröte, Trionyx (stellatus var. Schlegel = Schlegelii Brandt), hat der Japaner auch ein eigenes Wort, gesprochen spôn, geschrieben so-u-po-n; die Abbildung in der Encyclopädie ist im Allgemeinen gut, nur in der Zahl der Zehen nicht genau; ihr schliesst sich eine ähnliche mit noch längerer gavialähnlicher Schnauze an, vielleicht eine eigene Art, vielleicht nur abweichende Darstellung derselben aus anderer Quelle, und endlich ein dreibeiniger spon, offenbar nur auf einer Monstrosität oder geheilten Verstümmelung beruhend. Ost-Asien. Zoologisch. I. 8

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Zitationshilfe: Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/131>, abgerufen am 28.04.2024.