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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Hoch-Gewitter.
witter oft stundenlang mit klassischem Ernst und entsetzlicher Ruhe
vor und läßt, bei dem umfassenden Horizont, dem aufmerksamen
Naturfreunde hinlänglich Zeit, das allmählige Formiren und Kon¬
glomeriren der, zuletzt zu einer massigen schwarzen Wand sich
vereinigenden, verschiedenen Wolken-Kontingente zu beobachten; es
ist dort ein still-majestätisches Auftreten voll furchtbarer Hoheit.
Hier, im Gebirge, wo die Aussicht vom Thale oder von einer unbe¬
deutend hohen Voralp aus meist sehr beschränkt ist, zieht der geheim¬
nißvolle Gast gewöhnlich schon ziemlich fix und fertig aus der Tiefe
dunkel herauf und rückt mit Sturmschritten vor. Jetzt beginnt auch
die Gegend sich prachtvoll-unheimlich zu dekoriren. Die Nadelwälder
versinken in schwarze Nacht, kein Gipfel tritt mehr selbstständig
hervor; die Felsengruppen verlieren ihre trennenden Profil-Contu¬
ren und verschmelzen zu gespenstergrauen unförmlichen Massen, über
welche der Wasserfall in seltsamer Geschäftigkeit, wie die verwirrt
suchenden Gedankensprünge eines Irrsinnigen herabeilt; der See
liegt stumm, todt, ohne Glanz, einer erstarrten indifferenten Fläche
gleich. Was dort an Beleuchtung schwindet, das häuft sich
grell, fast augentödtend, an anderen Stellen; die Matten und
Wiesen des Vordergrundes schwellen brennend-grün, als wollten sie
gewaltsam ihre innerste Lebenskraft mit Einemmale ausströmen;
die Wege und Straßenlinien der Thalsohle treten in nie gesehener
Schärfe blaßgelb hervor, und über Allem leuchten schreiend-weiß
die Firnen herab, erschreckende Gegensätze in dem tiefgeheinmißvoll¬
düsteren Bilde. Alle Farbenharmonie ist aus der Landschaft ver¬
schwunden; sie sieht aus wie ein von krankhaft erhitzter Phantasie
geschaffenes, alle natürliche Auffassung höhnendes Gemälde. --
Mit dieser entsetzlichen Scenerie kontrastirt in angsterfüllendem
Maße die fieberhafte Aufregung, welche Menschen und Thiere über¬
fällt. Die liegenden Heu-Schwaden der Wiese werden eilends ge¬
mandelt; schreiend, tobend treibt der Senn sein Vieh zusammen;
Jodelruf und Jauchzer sind verstummt, -- nur drängende Geschäf¬

Hoch-Gewitter.
witter oft ſtundenlang mit klaſſiſchem Ernſt und entſetzlicher Ruhe
vor und läßt, bei dem umfaſſenden Horizont, dem aufmerkſamen
Naturfreunde hinlänglich Zeit, das allmählige Formiren und Kon¬
glomeriren der, zuletzt zu einer maſſigen ſchwarzen Wand ſich
vereinigenden, verſchiedenen Wolken-Kontingente zu beobachten; es
iſt dort ein ſtill-majeſtätiſches Auftreten voll furchtbarer Hoheit.
Hier, im Gebirge, wo die Ausſicht vom Thale oder von einer unbe¬
deutend hohen Voralp aus meiſt ſehr beſchränkt iſt, zieht der geheim¬
nißvolle Gaſt gewöhnlich ſchon ziemlich fix und fertig aus der Tiefe
dunkel herauf und rückt mit Sturmſchritten vor. Jetzt beginnt auch
die Gegend ſich prachtvoll-unheimlich zu dekoriren. Die Nadelwälder
verſinken in ſchwarze Nacht, kein Gipfel tritt mehr ſelbſtſtändig
hervor; die Felſengruppen verlieren ihre trennenden Profil-Contu¬
ren und verſchmelzen zu geſpenſtergrauen unförmlichen Maſſen, über
welche der Waſſerfall in ſeltſamer Geſchäftigkeit, wie die verwirrt
ſuchenden Gedankenſprünge eines Irrſinnigen herabeilt; der See
liegt ſtumm, todt, ohne Glanz, einer erſtarrten indifferenten Fläche
gleich. Was dort an Beleuchtung ſchwindet, das häuft ſich
grell, faſt augentödtend, an anderen Stellen; die Matten und
Wieſen des Vordergrundes ſchwellen brennend-grün, als wollten ſie
gewaltſam ihre innerſte Lebenskraft mit Einemmale ausſtrömen;
die Wege und Straßenlinien der Thalſohle treten in nie geſehener
Schärfe blaßgelb hervor, und über Allem leuchten ſchreiend-weiß
die Firnen herab, erſchreckende Gegenſätze in dem tiefgeheinmißvoll¬
düſteren Bilde. Alle Farbenharmonie iſt aus der Landſchaft ver¬
ſchwunden; ſie ſieht aus wie ein von krankhaft erhitzter Phantaſie
geſchaffenes, alle natürliche Auffaſſung höhnendes Gemälde. —
Mit dieſer entſetzlichen Scenerie kontraſtirt in angſterfüllendem
Maße die fieberhafte Aufregung, welche Menſchen und Thiere über¬
fällt. Die liegenden Heu-Schwaden der Wieſe werden eilends ge¬
mandelt; ſchreiend, tobend treibt der Senn ſein Vieh zuſammen;
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[141/0169] Hoch-Gewitter. witter oft ſtundenlang mit klaſſiſchem Ernſt und entſetzlicher Ruhe vor und läßt, bei dem umfaſſenden Horizont, dem aufmerkſamen Naturfreunde hinlänglich Zeit, das allmählige Formiren und Kon¬ glomeriren der, zuletzt zu einer maſſigen ſchwarzen Wand ſich vereinigenden, verſchiedenen Wolken-Kontingente zu beobachten; es iſt dort ein ſtill-majeſtätiſches Auftreten voll furchtbarer Hoheit. Hier, im Gebirge, wo die Ausſicht vom Thale oder von einer unbe¬ deutend hohen Voralp aus meiſt ſehr beſchränkt iſt, zieht der geheim¬ nißvolle Gaſt gewöhnlich ſchon ziemlich fix und fertig aus der Tiefe dunkel herauf und rückt mit Sturmſchritten vor. Jetzt beginnt auch die Gegend ſich prachtvoll-unheimlich zu dekoriren. Die Nadelwälder verſinken in ſchwarze Nacht, kein Gipfel tritt mehr ſelbſtſtändig hervor; die Felſengruppen verlieren ihre trennenden Profil-Contu¬ ren und verſchmelzen zu geſpenſtergrauen unförmlichen Maſſen, über welche der Waſſerfall in ſeltſamer Geſchäftigkeit, wie die verwirrt ſuchenden Gedankenſprünge eines Irrſinnigen herabeilt; der See liegt ſtumm, todt, ohne Glanz, einer erſtarrten indifferenten Fläche gleich. Was dort an Beleuchtung ſchwindet, das häuft ſich grell, faſt augentödtend, an anderen Stellen; die Matten und Wieſen des Vordergrundes ſchwellen brennend-grün, als wollten ſie gewaltſam ihre innerſte Lebenskraft mit Einemmale ausſtrömen; die Wege und Straßenlinien der Thalſohle treten in nie geſehener Schärfe blaßgelb hervor, und über Allem leuchten ſchreiend-weiß die Firnen herab, erſchreckende Gegenſätze in dem tiefgeheinmißvoll¬ düſteren Bilde. Alle Farbenharmonie iſt aus der Landſchaft ver¬ ſchwunden; ſie ſieht aus wie ein von krankhaft erhitzter Phantaſie geſchaffenes, alle natürliche Auffaſſung höhnendes Gemälde. — Mit dieſer entſetzlichen Scenerie kontraſtirt in angſterfüllendem Maße die fieberhafte Aufregung, welche Menſchen und Thiere über¬ fällt. Die liegenden Heu-Schwaden der Wieſe werden eilends ge¬ mandelt; ſchreiend, tobend treibt der Senn ſein Vieh zuſammen; Jodelruf und Jauchzer ſind verſtummt, — nur drängende Geſchäf¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/169>, abgerufen am 29.04.2024.