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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Auf der Jagd.
Körper außer den oben angeführten Eigenschaften zur Ausübung
der Jagd in den Alpen gehört. Alle diese körperlichen Requisiten
bedingt die edle Hochjagd in Deutschlands Auen und Wäldern nicht.

Das Kapitel von den Gemsen und deren Jagd ist von dem
gründlichen Kenner der Alpen, Fr. von Tschudi, in seinem "Thier¬
leben" erschöpft. Indem wir auf dasselbe verweisen, tragen wir
zur Ausfüllung des Rahmens, der unsere Bilder umschließt, blos
einige charakteristische Jagdabenteuer nach.

Jäger-Spürsinn und Wild-Instinkt sind neben den soeben
aufgezählten körperlichen Erfordernissen die ersten bedingenden Eigen¬
schaften des Gemsen-Jägers. Er muß die Standquartiere, die
Weidegänge und Nachtlager erforschen, um mit einiger Sicherheit
berechnen zu können, in welcher Gegend er um irgend eine be¬
stimmte Zeit Gemsen zu treffen hoffen dürfe. Der Spittler Jan
aus dem Graubündner Münsterthale, seines Gewerkes eigentlich ein
Musikant, zugleich aber einer der verwegensten Gemsenschützen, soll
mehrmals Wetten gewonnen haben, weil er genau Stunde und
Platz angab, an denen man so und so viel Stück antreffen müsse.
-- Kennt er nun überhaupt den Jagdplatz, auf dem er seine Beute
holen will, so bricht er, je nach der Entfernung seines Wohnortes
(wenn er, wie dies die besten Gemsjäger immer thun, allein
jagt), um Mitternacht oder bald nachher auf und steigt in schwei¬
gender Nacht so weit empor, als er unbeschadet seines Jäger-Vor¬
theils kommen kann. Hierbei achtet er sorgfältig auf die Richtung
des Windes, damit derselbe nicht den Gemsen Witterung und
Schall des Kommenden zutrage. Ist er nun den Thieren im
Rücken, die noch ruhend im Grase liegen und nur die "Vorgaiß"
als Posten auf erhöhtem Felsenblock aufgestellt haben, so schleicht
er, noch unter dem Schutze der Dämmerung, so nahe als immerhin
möglich, sich heran und sucht seinen Körper durch irgend einen
Felsenblock, Baumstrunk oder wie sonst zu decken. Hier wartet er,
schußfertig, den Anbruch des Tages ab. Welche unendliche Be¬

Auf der Jagd.
Körper außer den oben angeführten Eigenſchaften zur Ausübung
der Jagd in den Alpen gehört. Alle dieſe körperlichen Requiſiten
bedingt die edle Hochjagd in Deutſchlands Auen und Wäldern nicht.

Das Kapitel von den Gemſen und deren Jagd iſt von dem
gründlichen Kenner der Alpen, Fr. von Tſchudi, in ſeinem „Thier¬
leben“ erſchöpft. Indem wir auf daſſelbe verweiſen, tragen wir
zur Ausfüllung des Rahmens, der unſere Bilder umſchließt, blos
einige charakteriſtiſche Jagdabenteuer nach.

Jäger-Spürſinn und Wild-Inſtinkt ſind neben den ſoeben
aufgezählten körperlichen Erforderniſſen die erſten bedingenden Eigen¬
ſchaften des Gemſen-Jägers. Er muß die Standquartiere, die
Weidegänge und Nachtlager erforſchen, um mit einiger Sicherheit
berechnen zu können, in welcher Gegend er um irgend eine be¬
ſtimmte Zeit Gemſen zu treffen hoffen dürfe. Der Spittler Jan
aus dem Graubündner Münſterthale, ſeines Gewerkes eigentlich ein
Muſikant, zugleich aber einer der verwegenſten Gemſenſchützen, ſoll
mehrmals Wetten gewonnen haben, weil er genau Stunde und
Platz angab, an denen man ſo und ſo viel Stück antreffen müſſe.
— Kennt er nun überhaupt den Jagdplatz, auf dem er ſeine Beute
holen will, ſo bricht er, je nach der Entfernung ſeines Wohnortes
(wenn er, wie dies die beſten Gemsjäger immer thun, allein
jagt), um Mitternacht oder bald nachher auf und ſteigt in ſchwei¬
gender Nacht ſo weit empor, als er unbeſchadet ſeines Jäger-Vor¬
theils kommen kann. Hierbei achtet er ſorgfältig auf die Richtung
des Windes, damit derſelbe nicht den Gemſen Witterung und
Schall des Kommenden zutrage. Iſt er nun den Thieren im
Rücken, die noch ruhend im Graſe liegen und nur die „Vorgaiß“
als Poſten auf erhöhtem Felſenblock aufgeſtellt haben, ſo ſchleicht
er, noch unter dem Schutze der Dämmerung, ſo nahe als immerhin
möglich, ſich heran und ſucht ſeinen Körper durch irgend einen
Felſenblock, Baumſtrunk oder wie ſonſt zu decken. Hier wartet er,
ſchußfertig, den Anbruch des Tages ab. Welche unendliche Be¬

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[412/0460] Auf der Jagd. Körper außer den oben angeführten Eigenſchaften zur Ausübung der Jagd in den Alpen gehört. Alle dieſe körperlichen Requiſiten bedingt die edle Hochjagd in Deutſchlands Auen und Wäldern nicht. Das Kapitel von den Gemſen und deren Jagd iſt von dem gründlichen Kenner der Alpen, Fr. von Tſchudi, in ſeinem „Thier¬ leben“ erſchöpft. Indem wir auf daſſelbe verweiſen, tragen wir zur Ausfüllung des Rahmens, der unſere Bilder umſchließt, blos einige charakteriſtiſche Jagdabenteuer nach. Jäger-Spürſinn und Wild-Inſtinkt ſind neben den ſoeben aufgezählten körperlichen Erforderniſſen die erſten bedingenden Eigen¬ ſchaften des Gemſen-Jägers. Er muß die Standquartiere, die Weidegänge und Nachtlager erforſchen, um mit einiger Sicherheit berechnen zu können, in welcher Gegend er um irgend eine be¬ ſtimmte Zeit Gemſen zu treffen hoffen dürfe. Der Spittler Jan aus dem Graubündner Münſterthale, ſeines Gewerkes eigentlich ein Muſikant, zugleich aber einer der verwegenſten Gemſenſchützen, ſoll mehrmals Wetten gewonnen haben, weil er genau Stunde und Platz angab, an denen man ſo und ſo viel Stück antreffen müſſe. — Kennt er nun überhaupt den Jagdplatz, auf dem er ſeine Beute holen will, ſo bricht er, je nach der Entfernung ſeines Wohnortes (wenn er, wie dies die beſten Gemsjäger immer thun, allein jagt), um Mitternacht oder bald nachher auf und ſteigt in ſchwei¬ gender Nacht ſo weit empor, als er unbeſchadet ſeines Jäger-Vor¬ theils kommen kann. Hierbei achtet er ſorgfältig auf die Richtung des Windes, damit derſelbe nicht den Gemſen Witterung und Schall des Kommenden zutrage. Iſt er nun den Thieren im Rücken, die noch ruhend im Graſe liegen und nur die „Vorgaiß“ als Poſten auf erhöhtem Felſenblock aufgeſtellt haben, ſo ſchleicht er, noch unter dem Schutze der Dämmerung, ſo nahe als immerhin möglich, ſich heran und ſucht ſeinen Körper durch irgend einen Felſenblock, Baumſtrunk oder wie ſonſt zu decken. Hier wartet er, ſchußfertig, den Anbruch des Tages ab. Welche unendliche Be¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/460>, abgerufen am 27.04.2024.