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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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Furcht, und Einbildung
zu reden wissen, gedacht haben, welche wol
hundert Jahr ihren Gestanck behalten, und also
immer kleine Partickelgen und Effluvia ausdün-
sten, welche in unsere Nase fahren, und die
Fibrillen des riechenden Organi bewegen, (denn
anders kan man doch nicht den Geruch, und
die Krafft des Menschen zu riechen erklären)
und doch an ihrem Gewichte wenig, ja gar
nichts, in so vielen Jahren verlohren haben.
Jch werde mich auch hier an die Einwürffe der-
jenigen nicht kehren, die da einwenden und sa-
gen, daß, wenn man die Krafft unserer mensch-
lichen Seele zu recordiren, und sich der ehe-
mahligen empfundenen Dinge wieder zu erin-
nern, also erklären wolle, wie ich ietzo gethan,
so könne man unmöglich zeigen, wie die See-
len, wenn sie vom Leibe geschieden, ein Ge-
dächtniß und eine Erinnerung dessen haben kön-
ten, was sie im Leibe ehemals empfunden, ge-
dacht, geschlossen, und gethan haben. Denn
man erkläre endlich die Weise und Krafft sich
zu erinnern, welche die Seele in diesem Leben
hat, wie man wolle, so wird man doch immer
eben diesen Einwurff darwider machen können,
und zu zeigen wenig fähig seyn, wie die Seele
nach dem Tode recordiren, und sich der
ehemahligen Dinge erinnern könne. Es kan
seyn, daß auch in unserm Geiste selbst durch die

Bewe-

Furcht, und Einbildung
zu reden wiſſen, gedacht haben, welche wol
hundert Jahr ihren Geſtanck behalten, und alſo
immer kleine Partickelgen und Effluvia ausduͤn-
ſten, welche in unſere Naſe fahren, und die
Fibrillen des riechenden Organi bewegen, (denn
anders kan man doch nicht den Geruch, und
die Krafft des Menſchen zu riechen erklaͤren)
und doch an ihrem Gewichte wenig, ja gar
nichts, in ſo vielen Jahren verlohren haben.
Jch werde mich auch hier an die Einwuͤrffe der-
jenigen nicht kehren, die da einwenden und ſa-
gen, daß, wenn man die Krafft unſerer menſch-
lichen Seele zu recordiren, und ſich der ehe-
mahligen empfundenen Dinge wieder zu erin-
nern, alſo erklaͤren wolle, wie ich ietzo gethan,
ſo koͤnne man unmoͤglich zeigen, wie die See-
len, wenn ſie vom Leibe geſchieden, ein Ge-
daͤchtniß und eine Erinnerung deſſen haben koͤn-
ten, was ſie im Leibe ehemals empfunden, ge-
dacht, geſchloſſen, und gethan haben. Denn
man erklaͤre endlich die Weiſe und Krafft ſich
zu erinnern, welche die Seele in dieſem Leben
hat, wie man wolle, ſo wird man doch immer
eben dieſen Einwurff darwider machen koͤnnen,
und zu zeigen wenig faͤhig ſeyn, wie die Seele
nach dem Tode recordiren, und ſich der
ehemahligen Dinge erinnern koͤnne. Es kan
ſeyn, daß auch in unſerm Geiſte ſelbſt durch die

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[271/0317] Furcht, und Einbildung zu reden wiſſen, gedacht haben, welche wol hundert Jahr ihren Geſtanck behalten, und alſo immer kleine Partickelgen und Effluvia ausduͤn- ſten, welche in unſere Naſe fahren, und die Fibrillen des riechenden Organi bewegen, (denn anders kan man doch nicht den Geruch, und die Krafft des Menſchen zu riechen erklaͤren) und doch an ihrem Gewichte wenig, ja gar nichts, in ſo vielen Jahren verlohren haben. Jch werde mich auch hier an die Einwuͤrffe der- jenigen nicht kehren, die da einwenden und ſa- gen, daß, wenn man die Krafft unſerer menſch- lichen Seele zu recordiren, und ſich der ehe- mahligen empfundenen Dinge wieder zu erin- nern, alſo erklaͤren wolle, wie ich ietzo gethan, ſo koͤnne man unmoͤglich zeigen, wie die See- len, wenn ſie vom Leibe geſchieden, ein Ge- daͤchtniß und eine Erinnerung deſſen haben koͤn- ten, was ſie im Leibe ehemals empfunden, ge- dacht, geſchloſſen, und gethan haben. Denn man erklaͤre endlich die Weiſe und Krafft ſich zu erinnern, welche die Seele in dieſem Leben hat, wie man wolle, ſo wird man doch immer eben dieſen Einwurff darwider machen koͤnnen, und zu zeigen wenig faͤhig ſeyn, wie die Seele nach dem Tode recordiren, und ſich der ehemahligen Dinge erinnern koͤnne. Es kan ſeyn, daß auch in unſerm Geiſte ſelbſt durch die Bewe-

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/317>, abgerufen am 28.04.2024.