Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

der ihn zu einem Stengenianer
sem 1705ten Jahre das erstemahl meine Aufwar-
tung machte. Er kam im Discurse mit mir
unter andern auch auf Herr Wolffen, der dazu-
mahl, wie gedacht, noch zu Leipzig war, zu re-
den. Um GOttes willen, sieng er an, was
macht doch der Mensch draußen? Er ist ja
ein purer
Spinoziste. Er hat mit mir zu
correspondiren angefangen, und, da wir
einmahl mit einander auf den
Spinozam zu
reden gekommen, so will er ihn mit aller
Gewalt
excusiren: er soll kein Atheist seyn,
sondern überall recht haben, oder zu ent-
schuldigen seyn.

Mich aber wolte der Herr Inspector in dem-
selben Jahre zum Stengeristen machen, sobald
er mich das erstemahl predigen gehöret hatte, weil
ich etwan gesaget, daß die vielfältigen Wieder-
holungen der Busse der rückfälligen Sünder, die
sich die Welt-Kinder wohl etliche hundertmahl im
Leben zu thun einbildeten, und die unzehligen Ver-
änderungen des gantzen Hertzens moraliter unmög-
lich wären. Zwar war seine erste Zukunfft in
das Zimmer, in welchem er mir nach gehaltener
Predigt in seinem Hause Audienz gab, noch
ziemlich sanfftmüthig. Was er wegen Wieder-
holung der Buße gedachte, geschahe alles nur in
Freundlichkeit, und gleichsam aus alter Liebe mich
zu warnen, daß ich mich in folgenden Predigten

in acht

der ihn zu einem Stengenianer
ſem 1705ten Jahre das erſtemahl meine Aufwar-
tung machte. Er kam im Diſcurſe mit mir
unter andern auch auf Herr Wolffen, der dazu-
mahl, wie gedacht, noch zu Leipzig war, zu re-
den. Um GOttes willen, ſieng er an, was
macht doch der Menſch draußen? Er iſt ja
ein purer
Spinoziſte. Er hat mit mir zu
correſpondiren angefangen, und, da wir
einmahl mit einander auf den
Spinozam zu
reden gekommen, ſo will er ihn mit aller
Gewalt
excuſiren: er ſoll kein Atheiſt ſeyn,
ſondern uͤberall recht haben, oder zu ent-
ſchuldigen ſeyn.

Mich aber wolte der Herr Inſpector in dem-
ſelben Jahre zum Stengeriſten machen, ſobald
er mich das erſtemahl predigen gehoͤret hatte, weil
ich etwan geſaget, daß die vielfaͤltigen Wieder-
holungen der Buſſe der ruͤckfaͤlligen Suͤnder, die
ſich die Welt-Kinder wohl etliche hundertmahl im
Leben zu thun einbildeten, und die unzehligen Ver-
aͤnderungen des gantzen Hertzens moraliter unmoͤg-
lich waͤren. Zwar war ſeine erſte Zukunfft in
das Zimmer, in welchem er mir nach gehaltener
Predigt in ſeinem Hauſe Audienz gab, noch
ziemlich ſanfftmuͤthig. Was er wegen Wieder-
holung der Buße gedachte, geſchahe alles nur in
Freundlichkeit, und gleichſam aus alter Liebe mich
zu warnen, daß ich mich in folgenden Predigten

in acht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0430" n="384"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der ihn zu einem <hi rendition="#aq">Stengenian</hi>er</hi></fw><lb/>
&#x017F;em 1705ten Jahre das er&#x017F;temahl meine Aufwar-<lb/>
tung machte. Er kam im <hi rendition="#aq">Di&#x017F;cur&#x017F;</hi>e mit mir<lb/>
unter andern auch auf Herr Wolffen, der dazu-<lb/>
mahl, wie gedacht, noch zu Leipzig war, zu re-<lb/>
den. <hi rendition="#fr">Um GOttes willen,</hi> &#x017F;ieng er an, <hi rendition="#fr">was<lb/>
macht doch der Men&#x017F;ch draußen? Er i&#x017F;t ja<lb/>
ein purer</hi> <hi rendition="#aq">Spinozi&#x017F;t</hi><hi rendition="#fr">e. Er hat mit mir zu</hi><lb/><hi rendition="#aq">corre&#x017F;pondi</hi><hi rendition="#fr">ren angefangen, und, da wir<lb/>
einmahl mit einander auf den</hi> <hi rendition="#aq">Spinozam</hi> <hi rendition="#fr">zu<lb/>
reden gekommen, &#x017F;o will er ihn mit aller<lb/>
Gewalt</hi> <hi rendition="#aq">excu&#x017F;i</hi><hi rendition="#fr">ren: er &#x017F;oll kein</hi> <hi rendition="#aq">Athei&#x017F;t</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;eyn,<lb/>
&#x017F;ondern u&#x0364;berall recht haben, oder zu ent-<lb/>
&#x017F;chuldigen &#x017F;eyn.</hi></p><lb/>
        <p>Mich aber wolte der Herr <hi rendition="#aq">In&#x017F;pector</hi> in dem-<lb/>
&#x017F;elben Jahre zum <hi rendition="#aq">Stengeri&#x017F;t</hi>en machen, &#x017F;obald<lb/>
er mich das er&#x017F;temahl predigen geho&#x0364;ret hatte, weil<lb/>
ich etwan ge&#x017F;aget, daß die vielfa&#x0364;ltigen Wieder-<lb/>
holungen der Bu&#x017F;&#x017F;e der ru&#x0364;ckfa&#x0364;lligen Su&#x0364;nder, die<lb/>
&#x017F;ich die Welt-Kinder wohl etliche hundertmahl im<lb/>
Leben zu thun einbildeten, und die unzehligen Ver-<lb/>
a&#x0364;nderungen des gantzen Hertzens <hi rendition="#aq">moraliter</hi> unmo&#x0364;g-<lb/>
lich wa&#x0364;ren. Zwar war &#x017F;eine er&#x017F;te Zukunfft in<lb/>
das Zimmer, in welchem er mir nach gehaltener<lb/>
Predigt in &#x017F;einem Hau&#x017F;e <hi rendition="#aq">Audienz</hi> gab, noch<lb/>
ziemlich &#x017F;anfftmu&#x0364;thig. Was er wegen Wieder-<lb/>
holung der Buße gedachte, ge&#x017F;chahe alles nur in<lb/>
Freundlichkeit, und gleich&#x017F;am aus alter Liebe mich<lb/>
zu warnen, daß ich mich in folgenden Predigten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in acht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[384/0430] der ihn zu einem Stengenianer ſem 1705ten Jahre das erſtemahl meine Aufwar- tung machte. Er kam im Diſcurſe mit mir unter andern auch auf Herr Wolffen, der dazu- mahl, wie gedacht, noch zu Leipzig war, zu re- den. Um GOttes willen, ſieng er an, was macht doch der Menſch draußen? Er iſt ja ein purer Spinoziſte. Er hat mit mir zu correſpondiren angefangen, und, da wir einmahl mit einander auf den Spinozam zu reden gekommen, ſo will er ihn mit aller Gewalt excuſiren: er ſoll kein Atheiſt ſeyn, ſondern uͤberall recht haben, oder zu ent- ſchuldigen ſeyn. Mich aber wolte der Herr Inſpector in dem- ſelben Jahre zum Stengeriſten machen, ſobald er mich das erſtemahl predigen gehoͤret hatte, weil ich etwan geſaget, daß die vielfaͤltigen Wieder- holungen der Buſſe der ruͤckfaͤlligen Suͤnder, die ſich die Welt-Kinder wohl etliche hundertmahl im Leben zu thun einbildeten, und die unzehligen Ver- aͤnderungen des gantzen Hertzens moraliter unmoͤg- lich waͤren. Zwar war ſeine erſte Zukunfft in das Zimmer, in welchem er mir nach gehaltener Predigt in ſeinem Hauſe Audienz gab, noch ziemlich ſanfftmuͤthig. Was er wegen Wieder- holung der Buße gedachte, geſchahe alles nur in Freundlichkeit, und gleichſam aus alter Liebe mich zu warnen, daß ich mich in folgenden Predigten in acht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/430
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/430>, abgerufen am 27.04.2024.