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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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und nach einigen Kummer
einziehen, oder die Miethe wieder aufsagen, und
wo anders einmiethen solte. Gegen Ostern im Char-
Freytage hörte ich, daß der noch lebende Herr M.
Grübner, als damahliger Sonnabends-Prediger,
in ein Delirium verfallen, und seines Verstandes
beraubet worden. Jch kan, wie oben schon
gemeldt, in meinem Leben keinen Menschen von
verrücktem Verstande ohne Gefahr sehen; und
ietzt war mein Gemüthe durch die bevorstehende
große Veränderung so zermalmet, daß ich von
bloßem hören dieses betrübten Zufalls in ungemeine
Bangigkeit gesetzt wurde, welche Donnerstags
nach Ostern des Abends die höchste Staffel er-
reichte. Das Hertze wolte mir in Stücken
springen, und habe mein Lebtage solch Hertz-
drücken nicht gehabt, welches ohne Zweifel auch
von übeler Beschaffenheit meines Leibes seinen
Grund haben muste. Freytags drauf war der
Tag, da ich ausziehen solte; ich war aber so
schwer dazu zu bringen, daß ich mich frühe schon
entschlossen hatte, dem Knopffmacher die Miethe
wieder aufzusagen, und im rothen Collegio eine an-
dere Wohnung zu beziehen. Doch einer von meinen
Auditoribus, der zugleich im rothen Collegio wohn-
te, und mein guter Freund, und täglich um mich war,
mit Namen Stadtmüller aus Kemten gebürtig, ein
Schwabe von Geburt, redete mir ernstlich zu,
richtete mich aus, daß ich so kleinmüthig und

ver-
K k

und nach einigen Kummer
einziehen, oder die Miethe wieder aufſagen, und
wo anders einmiethen ſolte. Gegen Oſtern im Char-
Freytage hoͤrte ich, daß der noch lebende Herr M.
Gruͤbner, als damahliger Sonnabends-Prediger,
in ein Delirium verfallen, und ſeines Verſtandes
beraubet worden. Jch kan, wie oben ſchon
gemeldt, in meinem Leben keinen Menſchen von
verruͤcktem Verſtande ohne Gefahr ſehen; und
ietzt war mein Gemuͤthe durch die bevorſtehende
große Veraͤnderung ſo zermalmet, daß ich von
bloßem hoͤren dieſes betruͤbten Zufalls in ungemeine
Bangigkeit geſetzt wurde, welche Donnerſtags
nach Oſtern des Abends die hoͤchſte Staffel er-
reichte. Das Hertze wolte mir in Stuͤcken
ſpringen, und habe mein Lebtage ſolch Hertz-
druͤcken nicht gehabt, welches ohne Zweifel auch
von uͤbeler Beſchaffenheit meines Leibes ſeinen
Grund haben muſte. Freytags drauf war der
Tag, da ich ausziehen ſolte; ich war aber ſo
ſchwer dazu zu bringen, daß ich mich fruͤhe ſchon
entſchloſſen hatte, dem Knopffmacher die Miethe
wieder aufzuſagen, und im rothen Collegio eine an-
dere Wohnung zu beziehen. Doch einer von meinen
Auditoribus, der zugleich im rothen Collegio wohn-
te, und mein guter Freund, und taͤglich um mich war,
mit Namen Stadtmuͤller aus Kemten gebuͤrtig, ein
Schwabe von Geburt, redete mir ernſtlich zu,
richtete mich aus, daß ich ſo kleinmuͤthig und

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[513/0559] und nach einigen Kummer einziehen, oder die Miethe wieder aufſagen, und wo anders einmiethen ſolte. Gegen Oſtern im Char- Freytage hoͤrte ich, daß der noch lebende Herr M. Gruͤbner, als damahliger Sonnabends-Prediger, in ein Delirium verfallen, und ſeines Verſtandes beraubet worden. Jch kan, wie oben ſchon gemeldt, in meinem Leben keinen Menſchen von verruͤcktem Verſtande ohne Gefahr ſehen; und ietzt war mein Gemuͤthe durch die bevorſtehende große Veraͤnderung ſo zermalmet, daß ich von bloßem hoͤren dieſes betruͤbten Zufalls in ungemeine Bangigkeit geſetzt wurde, welche Donnerſtags nach Oſtern des Abends die hoͤchſte Staffel er- reichte. Das Hertze wolte mir in Stuͤcken ſpringen, und habe mein Lebtage ſolch Hertz- druͤcken nicht gehabt, welches ohne Zweifel auch von uͤbeler Beſchaffenheit meines Leibes ſeinen Grund haben muſte. Freytags drauf war der Tag, da ich ausziehen ſolte; ich war aber ſo ſchwer dazu zu bringen, daß ich mich fruͤhe ſchon entſchloſſen hatte, dem Knopffmacher die Miethe wieder aufzuſagen, und im rothen Collegio eine an- dere Wohnung zu beziehen. Doch einer von meinen Auditoribus, der zugleich im rothen Collegio wohn- te, und mein guter Freund, und taͤglich um mich war, mit Namen Stadtmuͤller aus Kemten gebuͤrtig, ein Schwabe von Geburt, redete mir ernſtlich zu, richtete mich aus, daß ich ſo kleinmuͤthig und ver- K k

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/559>, abgerufen am 30.04.2024.