Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

seines Lebens.
daß wir auch manchmal uns darinnen ihm zu wi-
dersetzen, wenn er gar zu freygebig seyn wolte, kein
Bedencken trugen. Etliche Jahre vor seinem
Tode wurde er auf der rechten Seite durch den
Schlag gelähmet, daß er wenig mehr arbeiten
konte, folgentlich seine Zeit mit vielem Weinen zu-
brachte. Uns Kindern war dieses sehr zuwider;
denn wir verstunden damals noch nicht, daß nicht
alle Thränen aus Zaghafftigkeit, oder weltlicher
Traurigkeit herkommen, sondern manchmal auch
eine Würckung eines inbrünstigen Gebetes, Seh-
nens und Verlangens nach GOtt, ja wol eine
Frucht des Glaubens, der Liebe und Freude in
GOtt seyn können. Und wenn man auch sol-
ches selbst schon erfahren, so denckt man nicht alle-
mal daran, indem man, so zu reden, einen natür-
lichen Eckel und Aversation davor hat, wenn
man einen andern weinen, und Thränen vergies-
sen siehet. Jch kan mich zwar auf keine sonder-
liche Sünde besinnen, so ich meinen Vater hätte
begehen sehen, ob ich wol schon 20. Jahre alt war,
da er starb; gleichwol mögen ihm dieselben doch
in seinem letzten Ende, wie auch andern Christen
zu geschehen pfleget, Kummer und Angst verur-
sachet haben. Denn im letzten Kampffe hörte
man ihn den Anfang vom 6. Psalm, HErr straf
mich nicht in deinem Zorn,
beten; schließe
also, weil er Vergebung der Sünden bey GOtt

mit

ſeines Lebens.
daß wir auch manchmal uns darinnen ihm zu wi-
derſetzen, wenn er gar zu freygebig ſeyn wolte, kein
Bedencken trugen. Etliche Jahre vor ſeinem
Tode wurde er auf der rechten Seite durch den
Schlag gelaͤhmet, daß er wenig mehr arbeiten
konte, folgentlich ſeine Zeit mit vielem Weinen zu-
brachte. Uns Kindern war dieſes ſehr zuwider;
denn wir verſtunden damals noch nicht, daß nicht
alle Thraͤnen aus Zaghafftigkeit, oder weltlicher
Traurigkeit herkommen, ſondern manchmal auch
eine Wuͤrckung eines inbruͤnſtigen Gebetes, Seh-
nens und Verlangens nach GOtt, ja wol eine
Frucht des Glaubens, der Liebe und Freude in
GOtt ſeyn koͤnnen. Und wenn man auch ſol-
ches ſelbſt ſchon erfahren, ſo denckt man nicht alle-
mal daran, indem man, ſo zu reden, einen natuͤr-
lichen Eckel und Averſation davor hat, wenn
man einen andern weinen, und Thraͤnen vergieſ-
ſen ſiehet. Jch kan mich zwar auf keine ſonder-
liche Suͤnde beſinnen, ſo ich meinen Vater haͤtte
begehen ſehen, ob ich wol ſchon 20. Jahre alt war,
da er ſtarb; gleichwol moͤgen ihm dieſelben doch
in ſeinem letzten Ende, wie auch andern Chriſten
zu geſchehen pfleget, Kummer und Angſt verur-
ſachet haben. Denn im letzten Kampffe hoͤrte
man ihn den Anfang vom 6. Pſalm, HErr ſtraf
mich nicht in deinem Zorn,
beten; ſchließe
alſo, weil er Vergebung der Suͤnden bey GOtt

mit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0056" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">&#x017F;eines Lebens.</hi></fw><lb/>
daß wir auch manchmal uns darinnen ihm zu wi-<lb/>
der&#x017F;etzen, wenn er gar zu freygebig &#x017F;eyn wolte, kein<lb/>
Bedencken trugen. Etliche Jahre vor &#x017F;einem<lb/>
Tode wurde er auf der rechten Seite durch den<lb/>
Schlag gela&#x0364;hmet, daß er wenig mehr arbeiten<lb/>
konte, folgentlich &#x017F;eine Zeit mit vielem Weinen zu-<lb/>
brachte. Uns Kindern war die&#x017F;es &#x017F;ehr zuwider;<lb/>
denn wir ver&#x017F;tunden damals noch nicht, daß nicht<lb/>
alle Thra&#x0364;nen aus Zaghafftigkeit, oder weltlicher<lb/>
Traurigkeit herkommen, &#x017F;ondern manchmal auch<lb/>
eine Wu&#x0364;rckung eines inbru&#x0364;n&#x017F;tigen Gebetes, Seh-<lb/>
nens und Verlangens nach GOtt, ja wol eine<lb/>
Frucht des Glaubens, der Liebe und Freude in<lb/>
GOtt &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen. Und wenn man auch &#x017F;ol-<lb/>
ches &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon erfahren, &#x017F;o denckt man nicht alle-<lb/>
mal daran, indem man, &#x017F;o zu reden, einen natu&#x0364;r-<lb/>
lichen Eckel und <hi rendition="#aq">Aver&#x017F;ation</hi> davor hat, wenn<lb/>
man einen andern weinen, und Thra&#x0364;nen vergie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;iehet. Jch kan mich zwar auf keine &#x017F;onder-<lb/>
liche Su&#x0364;nde be&#x017F;innen, &#x017F;o ich meinen Vater ha&#x0364;tte<lb/>
begehen &#x017F;ehen, ob ich wol &#x017F;chon 20. Jahre alt war,<lb/>
da er &#x017F;tarb; gleichwol mo&#x0364;gen ihm die&#x017F;elben doch<lb/>
in &#x017F;einem letzten Ende, wie auch andern Chri&#x017F;ten<lb/>
zu ge&#x017F;chehen pfleget, Kummer und Ang&#x017F;t verur-<lb/>
&#x017F;achet haben. Denn im letzten Kampffe ho&#x0364;rte<lb/>
man ihn den Anfang vom 6. P&#x017F;alm, <hi rendition="#fr">HErr &#x017F;traf<lb/>
mich nicht in deinem Zorn,</hi> beten; &#x017F;chließe<lb/>
al&#x017F;o, weil er Vergebung der Su&#x0364;nden bey GOtt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0056] ſeines Lebens. daß wir auch manchmal uns darinnen ihm zu wi- derſetzen, wenn er gar zu freygebig ſeyn wolte, kein Bedencken trugen. Etliche Jahre vor ſeinem Tode wurde er auf der rechten Seite durch den Schlag gelaͤhmet, daß er wenig mehr arbeiten konte, folgentlich ſeine Zeit mit vielem Weinen zu- brachte. Uns Kindern war dieſes ſehr zuwider; denn wir verſtunden damals noch nicht, daß nicht alle Thraͤnen aus Zaghafftigkeit, oder weltlicher Traurigkeit herkommen, ſondern manchmal auch eine Wuͤrckung eines inbruͤnſtigen Gebetes, Seh- nens und Verlangens nach GOtt, ja wol eine Frucht des Glaubens, der Liebe und Freude in GOtt ſeyn koͤnnen. Und wenn man auch ſol- ches ſelbſt ſchon erfahren, ſo denckt man nicht alle- mal daran, indem man, ſo zu reden, einen natuͤr- lichen Eckel und Averſation davor hat, wenn man einen andern weinen, und Thraͤnen vergieſ- ſen ſiehet. Jch kan mich zwar auf keine ſonder- liche Suͤnde beſinnen, ſo ich meinen Vater haͤtte begehen ſehen, ob ich wol ſchon 20. Jahre alt war, da er ſtarb; gleichwol moͤgen ihm dieſelben doch in ſeinem letzten Ende, wie auch andern Chriſten zu geſchehen pfleget, Kummer und Angſt verur- ſachet haben. Denn im letzten Kampffe hoͤrte man ihn den Anfang vom 6. Pſalm, HErr ſtraf mich nicht in deinem Zorn, beten; ſchließe alſo, weil er Vergebung der Suͤnden bey GOtt mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/56
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/56>, abgerufen am 05.05.2024.