Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

und die neuen Lieder,
etwan zuweilen, wiewol sparsam genug, zu bedienen
pflegte; indem, weil er nicht viel Humaniora
studi
ret, solche nicht anders zu nennen wuste,
oder aus bösen Muthe dieselben nicht anders
nennen wolte; da er doch selbsten in seinen Pre-
digten wohl eher aus dem Petronio die Historie
von der Quartilla angeführet, die sich nicht mehr
zu besinnen, noch einer Zeit ihres Lebens zu
erinnern wuste, da sie noch eine reine Jungfrau
gewesen. Weil neue Lieder in der Peters-
Kirche gesungen worden, so muste ich auch deß-
halben sehr in andern Predigten herhalten, ob ich
gleich bey Einführung derselben die wenigste
Schuld hatte. Es hieß, die Leute würden
in der Andacht gehindert, oder bekämen Gele-
genheit, mit den Gedancken anders wo zu seyn,
weil ihnen das Lied unbekannt wäre, und sie
das Lied nicht mit singen könten; und was
der elenden Gründe mehr waren, welche der
gemeinste Mann gleich zu widerlegen fähig war,
und also seinen Lehrer zu verachten anfieng, daß
er nicht bessere Gründe, und Ursachen anzufüh-
ren wuste. Jst das nicht ein Lermen wegen
der neuen Lieder, sprach einst ein Bürger auf
dem Heim-Wege? es heist, man könne nicht
mit singen. Wie haben denn die Leute vor
50. und 60. Jahren gethan, da die alten Lie-
der, die wir ietzt singen, auch noch neu waren?

Zur

und die neuen Lieder,
etwan zuweilen, wiewol ſparſam genug, zu bedienen
pflegte; indem, weil er nicht viel Humaniora
ſtudi
ret, ſolche nicht anders zu nennen wuſte,
oder aus boͤſen Muthe dieſelben nicht anders
nennen wolte; da er doch ſelbſten in ſeinen Pre-
digten wohl eher aus dem Petronio die Hiſtorie
von der Quartilla angefuͤhret, die ſich nicht mehr
zu beſinnen, noch einer Zeit ihres Lebens zu
erinnern wuſte, da ſie noch eine reine Jungfrau
geweſen. Weil neue Lieder in der Peters-
Kirche geſungen worden, ſo muſte ich auch deß-
halben ſehr in andern Predigten herhalten, ob ich
gleich bey Einfuͤhrung derſelben die wenigſte
Schuld hatte. Es hieß, die Leute wuͤrden
in der Andacht gehindert, oder bekaͤmen Gele-
genheit, mit den Gedancken anders wo zu ſeyn,
weil ihnen das Lied unbekannt waͤre, und ſie
das Lied nicht mit ſingen koͤnten; und was
der elenden Gruͤnde mehr waren, welche der
gemeinſte Mann gleich zu widerlegen faͤhig war,
und alſo ſeinen Lehrer zu verachten anfieng, daß
er nicht beſſere Gruͤnde, und Urſachen anzufuͤh-
ren wuſte. Jſt das nicht ein Lermen wegen
der neuen Lieder, ſprach einſt ein Buͤrger auf
dem Heim-Wege? es heiſt, man koͤnne nicht
mit ſingen. Wie haben denn die Leute vor
50. und 60. Jahren gethan, da die alten Lie-
der, die wir ietzt ſingen, auch noch neu waren?

Zur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0608" n="562"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und die neuen Lieder,</hi></fw><lb/>
etwan zuweilen, wiewol &#x017F;par&#x017F;am genug, zu bedienen<lb/>
pflegte; indem, weil er nicht viel <hi rendition="#aq">Humaniora<lb/>
&#x017F;tudi</hi>ret, &#x017F;olche nicht anders zu nennen wu&#x017F;te,<lb/>
oder aus bo&#x0364;&#x017F;en Muthe die&#x017F;elben nicht anders<lb/>
nennen wolte; da er doch &#x017F;elb&#x017F;ten in &#x017F;einen Pre-<lb/>
digten wohl eher aus dem <hi rendition="#aq">Petronio</hi> die Hi&#x017F;torie<lb/>
von der <hi rendition="#aq">Quartilla</hi> angefu&#x0364;hret, die &#x017F;ich nicht mehr<lb/>
zu be&#x017F;innen, noch einer Zeit ihres Lebens zu<lb/>
erinnern wu&#x017F;te, da &#x017F;ie noch eine reine Jungfrau<lb/>
gewe&#x017F;en. Weil neue Lieder in der Peters-<lb/>
Kirche ge&#x017F;ungen worden, &#x017F;o mu&#x017F;te ich auch deß-<lb/>
halben &#x017F;ehr in andern Predigten herhalten, ob ich<lb/>
gleich bey Einfu&#x0364;hrung der&#x017F;elben die wenig&#x017F;te<lb/>
Schuld hatte. Es hieß, die Leute wu&#x0364;rden<lb/>
in der Andacht gehindert, oder beka&#x0364;men Gele-<lb/>
genheit, mit den Gedancken anders wo zu &#x017F;eyn,<lb/>
weil ihnen das Lied unbekannt wa&#x0364;re, und &#x017F;ie<lb/>
das Lied nicht mit &#x017F;ingen ko&#x0364;nten; und was<lb/>
der elenden Gru&#x0364;nde mehr waren, welche der<lb/>
gemein&#x017F;te Mann gleich zu widerlegen fa&#x0364;hig war,<lb/>
und al&#x017F;o &#x017F;einen Lehrer zu verachten anfieng, daß<lb/>
er nicht be&#x017F;&#x017F;ere Gru&#x0364;nde, und Ur&#x017F;achen anzufu&#x0364;h-<lb/>
ren wu&#x017F;te. J&#x017F;t das nicht ein Lermen wegen<lb/>
der neuen Lieder, &#x017F;prach ein&#x017F;t ein Bu&#x0364;rger auf<lb/>
dem Heim-Wege? es hei&#x017F;t, man ko&#x0364;nne nicht<lb/>
mit &#x017F;ingen. Wie haben denn die Leute vor<lb/>
50. und 60. Jahren gethan, da die alten Lie-<lb/>
der, die wir ietzt &#x017F;ingen, auch noch neu waren?<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Zur</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[562/0608] und die neuen Lieder, etwan zuweilen, wiewol ſparſam genug, zu bedienen pflegte; indem, weil er nicht viel Humaniora ſtudiret, ſolche nicht anders zu nennen wuſte, oder aus boͤſen Muthe dieſelben nicht anders nennen wolte; da er doch ſelbſten in ſeinen Pre- digten wohl eher aus dem Petronio die Hiſtorie von der Quartilla angefuͤhret, die ſich nicht mehr zu beſinnen, noch einer Zeit ihres Lebens zu erinnern wuſte, da ſie noch eine reine Jungfrau geweſen. Weil neue Lieder in der Peters- Kirche geſungen worden, ſo muſte ich auch deß- halben ſehr in andern Predigten herhalten, ob ich gleich bey Einfuͤhrung derſelben die wenigſte Schuld hatte. Es hieß, die Leute wuͤrden in der Andacht gehindert, oder bekaͤmen Gele- genheit, mit den Gedancken anders wo zu ſeyn, weil ihnen das Lied unbekannt waͤre, und ſie das Lied nicht mit ſingen koͤnten; und was der elenden Gruͤnde mehr waren, welche der gemeinſte Mann gleich zu widerlegen faͤhig war, und alſo ſeinen Lehrer zu verachten anfieng, daß er nicht beſſere Gruͤnde, und Urſachen anzufuͤh- ren wuſte. Jſt das nicht ein Lermen wegen der neuen Lieder, ſprach einſt ein Buͤrger auf dem Heim-Wege? es heiſt, man koͤnne nicht mit ſingen. Wie haben denn die Leute vor 50. und 60. Jahren gethan, da die alten Lie- der, die wir ietzt ſingen, auch noch neu waren? Zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/608
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/608>, abgerufen am 30.05.2024.