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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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und Schreyen zu.
streiffenden Partheyen gekommen, alles geplün-
dert, ja wol gar in das Heu und Stroh mit den
Degen gestochen, und die Leute aufgesuchet, und
wenn sie dieselben gefunden, sie gemartert, und
ihnen den damals sogenannten Schwedischen
Tranck eingegeben, oder sie solchen einzunehmen
genöthiget, wenn sie nicht gesaget, wo sie ihr Geld
hätten. Solches, und noch mehr hatte meine
Mutter in ihrer Jugend erlebet und erfahren;
und, da sie von Natur ein furchtsam Weib war,
so kam ietzt, nemlich im Jahr 1675. noch dazu,
daß sich alle Jnwohner auf dem Lande, und alle
Kohl-Gärtner in der Vorstadt mit Gewehr ver-
sehen, und auf ein Jahr verproviantiren musten;
welches alles sie in große Angst gesetzet, so daß es
nicht Wunder, daß der ein melancholisches Ge-
blüte, und ein zusammen gepreßtes Hertze auf die
Welt gebracht, den die Mutter unter einem 9.
Monat lang zerknirschten, und mit Furcht und
Angst beklemten Hertzen getragen; partus enim
sequitur conditionem ventris.
Weil ich auch
nicht habe an der Mutter trincken wollen, so hat
man mich mit Küh-Milch kümmerlich ernehren
müssen; welches ich iederzeit mit als eine Ursache
meiner schwachen Leibes-Constitution angese-
hen, indem mich die Erfahrung nur allzu offt an
andern gelehret, daß die Kinder, so nicht mit
Menschen-Milch geträncket werden, schwache

und

und Schreyen zu.
ſtreiffenden Partheyen gekommen, alles gepluͤn-
dert, ja wol gar in das Heu und Stroh mit den
Degen geſtochen, und die Leute aufgeſuchet, und
wenn ſie dieſelben gefunden, ſie gemartert, und
ihnen den damals ſogenannten Schwediſchen
Tranck eingegeben, oder ſie ſolchen einzunehmen
genoͤthiget, wenn ſie nicht geſaget, wo ſie ihr Geld
haͤtten. Solches, und noch mehr hatte meine
Mutter in ihrer Jugend erlebet und erfahren;
und, da ſie von Natur ein furchtſam Weib war,
ſo kam ietzt, nemlich im Jahr 1675. noch dazu,
daß ſich alle Jnwohner auf dem Lande, und alle
Kohl-Gaͤrtner in der Vorſtadt mit Gewehr ver-
ſehen, und auf ein Jahr verproviantiren muſten;
welches alles ſie in große Angſt geſetzet, ſo daß es
nicht Wunder, daß der ein melancholiſches Ge-
bluͤte, und ein zuſammen gepreßtes Hertze auf die
Welt gebracht, den die Mutter unter einem 9.
Monat lang zerknirſchten, und mit Furcht und
Angſt beklemten Hertzen getragen; partus enim
ſequitur conditionem ventris.
Weil ich auch
nicht habe an der Mutter trincken wollen, ſo hat
man mich mit Kuͤh-Milch kuͤmmerlich ernehren
muͤſſen; welches ich iederzeit mit als eine Urſache
meiner ſchwachen Leibes-Conſtitution angeſe-
hen, indem mich die Erfahrung nur allzu offt an
andern gelehret, daß die Kinder, ſo nicht mit
Menſchen-Milch getraͤncket werden, ſchwache

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[16/0062] und Schreyen zu. ſtreiffenden Partheyen gekommen, alles gepluͤn- dert, ja wol gar in das Heu und Stroh mit den Degen geſtochen, und die Leute aufgeſuchet, und wenn ſie dieſelben gefunden, ſie gemartert, und ihnen den damals ſogenannten Schwediſchen Tranck eingegeben, oder ſie ſolchen einzunehmen genoͤthiget, wenn ſie nicht geſaget, wo ſie ihr Geld haͤtten. Solches, und noch mehr hatte meine Mutter in ihrer Jugend erlebet und erfahren; und, da ſie von Natur ein furchtſam Weib war, ſo kam ietzt, nemlich im Jahr 1675. noch dazu, daß ſich alle Jnwohner auf dem Lande, und alle Kohl-Gaͤrtner in der Vorſtadt mit Gewehr ver- ſehen, und auf ein Jahr verproviantiren muſten; welches alles ſie in große Angſt geſetzet, ſo daß es nicht Wunder, daß der ein melancholiſches Ge- bluͤte, und ein zuſammen gepreßtes Hertze auf die Welt gebracht, den die Mutter unter einem 9. Monat lang zerknirſchten, und mit Furcht und Angſt beklemten Hertzen getragen; partus enim ſequitur conditionem ventris. Weil ich auch nicht habe an der Mutter trincken wollen, ſo hat man mich mit Kuͤh-Milch kuͤmmerlich ernehren muͤſſen; welches ich iederzeit mit als eine Urſache meiner ſchwachen Leibes-Conſtitution angeſe- hen, indem mich die Erfahrung nur allzu offt an andern gelehret, daß die Kinder, ſo nicht mit Menſchen-Milch getraͤncket werden, ſchwache und

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/62>, abgerufen am 03.05.2024.