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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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wohin auch die Neigung
sonderliche Ursache bey mir fand. Freytags
vor dem III. post Trinitatis war er aber wider
meinen Willen in seiner Stube geblieben, aus
welcher man alles vernehmen kunte. Nach ge-
endigtem Collegio fieng mich an der Unwille zu
quählen, welcher, so mäßig er auch war, mich
doch alle Augenblicke drohete zu Boden zu werf-
fen. Es entstund ein unsäglicher Kampff im
Gemüthe zwischen Passion und Vernunfft. Jch
redete mir zu mit Argumentis Theologicis und
Philosophicis, und wolte die aufsteigenden Be-
wegungen dämpffen, und gleichwol stritt Fleisch
und Blut darwider; so daß im Kopffe gleich-
sam eine rechte Bataille zwischen zweyerley Ge-
dancken vorgieng, und Erbarmen und Unwillen,
als zwey Kinder im Gemüthe, wie Jacob und
Esau in Mutter-Leibe, sich stiessen. Und end-
lich wäre der Unwille, oder die Kränckung doch
bald zuerst heraus gekommen. Denn kurtz vor
dem Essen, ehe wir beteten, grieff mich das Ubel
härter an, und wenn nicht zu allem Glück ein
Stuhl da gestanden, worauf ich mich setzen kön-
nen; so wüste ich nicht, was mir begegnet wäre.
Jch fieng an im niedersetzen zu schreyen: HErr
JEsu erbarme dich mein! und erzehlte dem
Famulo, und denen, die mit mir aßen, meine Noth;
ich welcher ich steckte, doch nur in generalen Ter-
minis.
Was ich Sonnabends mit concipiren

und

wohin auch die Neigung
ſonderliche Urſache bey mir fand. Freytags
vor dem III. poſt Trinitatis war er aber wider
meinen Willen in ſeiner Stube geblieben, aus
welcher man alles vernehmen kunte. Nach ge-
endigtem Collegio fieng mich an der Unwille zu
quaͤhlen, welcher, ſo maͤßig er auch war, mich
doch alle Augenblicke drohete zu Boden zu werf-
fen. Es entſtund ein unſaͤglicher Kampff im
Gemuͤthe zwiſchen Paſſion und Vernunfft. Jch
redete mir zu mit Argumentis Theologicis und
Philoſophicis, und wolte die aufſteigenden Be-
wegungen daͤmpffen, und gleichwol ſtritt Fleiſch
und Blut darwider; ſo daß im Kopffe gleich-
ſam eine rechte Bataille zwiſchen zweyerley Ge-
dancken vorgieng, und Erbarmen und Unwillen,
als zwey Kinder im Gemuͤthe, wie Jacob und
Eſau in Mutter-Leibe, ſich ſtieſſen. Und end-
lich waͤre der Unwille, oder die Kraͤnckung doch
bald zuerſt heraus gekommen. Denn kurtz vor
dem Eſſen, ehe wir beteten, grieff mich das Ubel
haͤrter an, und wenn nicht zu allem Gluͤck ein
Stuhl da geſtanden, worauf ich mich ſetzen koͤn-
nen; ſo wuͤſte ich nicht, was mir begegnet waͤre.
Jch fieng an im niederſetzen zu ſchreyen: HErr
JEſu erbarme dich mein! und erzehlte dem
Famulo, und denen, die mit mir aßen, meine Noth;
ich welcher ich ſteckte, doch nur in generalen Ter-
minis.
Was ich Sonnabends mit concipiren

und
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[605/0651] wohin auch die Neigung ſonderliche Urſache bey mir fand. Freytags vor dem III. poſt Trinitatis war er aber wider meinen Willen in ſeiner Stube geblieben, aus welcher man alles vernehmen kunte. Nach ge- endigtem Collegio fieng mich an der Unwille zu quaͤhlen, welcher, ſo maͤßig er auch war, mich doch alle Augenblicke drohete zu Boden zu werf- fen. Es entſtund ein unſaͤglicher Kampff im Gemuͤthe zwiſchen Paſſion und Vernunfft. Jch redete mir zu mit Argumentis Theologicis und Philoſophicis, und wolte die aufſteigenden Be- wegungen daͤmpffen, und gleichwol ſtritt Fleiſch und Blut darwider; ſo daß im Kopffe gleich- ſam eine rechte Bataille zwiſchen zweyerley Ge- dancken vorgieng, und Erbarmen und Unwillen, als zwey Kinder im Gemuͤthe, wie Jacob und Eſau in Mutter-Leibe, ſich ſtieſſen. Und end- lich waͤre der Unwille, oder die Kraͤnckung doch bald zuerſt heraus gekommen. Denn kurtz vor dem Eſſen, ehe wir beteten, grieff mich das Ubel haͤrter an, und wenn nicht zu allem Gluͤck ein Stuhl da geſtanden, worauf ich mich ſetzen koͤn- nen; ſo wuͤſte ich nicht, was mir begegnet waͤre. Jch fieng an im niederſetzen zu ſchreyen: HErr JEſu erbarme dich mein! und erzehlte dem Famulo, und denen, die mit mir aßen, meine Noth; ich welcher ich ſteckte, doch nur in generalen Ter- minis. Was ich Sonnabends mit concipiren und

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/651>, abgerufen am 29.04.2024.