Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

er einem Bettler gegeben,
mache mich ihrer Sünden mit theilhafftig.
Denn wenn ihnen kein Mensch was gäbe, so
würden sie der Obrigkeit gehorsam seyn, und das
Herumlauffen einstellen. So dachte ich, und
doch plagte mich auf der andern Seite GOttes
sein Wort, welches befiehlet, den Armen mitzu-
theilen, so daß ich etliche mahl unsägliche Angst
und Unruhe gehabt, sowohl wenn ich gegeben,
als wenn ich nicht gegeben, weil ich das Gebot
GOttes mit dem Verbot der Obrigkeit nicht
vereinigen können. Der soll mir einen großen
Gefallen erzeigen, der diese Sache untersuchen,
und mir seine Gedancken eröffnen wird. Mei-
nes Erachtens wäre es gut, wenn die Obrigkei-
ten bey den Bettler-Mandaten eine Exception
machten, und den Reichen darinnen erlaubten, so
offt diesem und jenem Armen mitzutheilen, so offt
sie durch starcke Gründe befinden würden, daß
der Arme, den sie vor sich haben, höchst elend sey,
und unter diejenigen ruchlosen und bösen nicht
gehöre, um welcher willen das Gebot gestellet
worden. Weil ich vermuthet, daß das der Sinn
des Obrigkeitlichen Verbots sey, obgleich nicht
alles so mit Worten ausgedrücket, so habe ich mich
nach der Zeit nach solchem geachtet, und diesen Un-
terscheid in acht genommen, und GOtte zu geben
getrachtet, was GOttes ist,
und der Obrig-
keit zu geben, was der Obrigkeit ist.

Anno

er einem Bettler gegeben,
mache mich ihrer Suͤnden mit theilhafftig.
Denn wenn ihnen kein Menſch was gaͤbe, ſo
wuͤrden ſie der Obrigkeit gehorſam ſeyn, und das
Herumlauffen einſtellen. So dachte ich, und
doch plagte mich auf der andern Seite GOttes
ſein Wort, welches befiehlet, den Armen mitzu-
theilen, ſo daß ich etliche mahl unſaͤgliche Angſt
und Unruhe gehabt, ſowohl wenn ich gegeben,
als wenn ich nicht gegeben, weil ich das Gebot
GOttes mit dem Verbot der Obrigkeit nicht
vereinigen koͤnnen. Der ſoll mir einen großen
Gefallen erzeigen, der dieſe Sache unterſuchen,
und mir ſeine Gedancken eroͤffnen wird. Mei-
nes Erachtens waͤre es gut, wenn die Obrigkei-
ten bey den Bettler-Mandaten eine Exception
machten, und den Reichen darinnen erlaubten, ſo
offt dieſem und jenem Armen mitzutheilen, ſo offt
ſie durch ſtarcke Gruͤnde befinden wuͤrden, daß
der Arme, den ſie vor ſich haben, hoͤchſt elend ſey,
und unter diejenigen ruchloſen und boͤſen nicht
gehoͤre, um welcher willen das Gebot geſtellet
worden. Weil ich vermuthet, daß das der Sinn
des Obrigkeitlichen Verbots ſey, obgleich nicht
alles ſo mit Worten ausgedruͤcket, ſo habe ich mich
nach der Zeit nach ſolchem geachtet, und dieſen Un-
terſcheid in acht genommen, und GOtte zu geben
getrachtet, was GOttes iſt,
und der Obrig-
keit zu geben, was der Obrigkeit iſt.

Anno
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0780" n="734"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">er einem Bettler gegeben,</hi></fw><lb/>
mache mich ihrer Su&#x0364;nden mit theilhafftig.<lb/>
Denn wenn ihnen kein Men&#x017F;ch was ga&#x0364;be, &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rden &#x017F;ie der Obrigkeit gehor&#x017F;am &#x017F;eyn, und das<lb/>
Herumlauffen ein&#x017F;tellen. So dachte ich, und<lb/>
doch plagte mich auf der andern Seite GOttes<lb/>
&#x017F;ein Wort, welches befiehlet, den Armen mitzu-<lb/>
theilen, &#x017F;o daß ich etliche mahl un&#x017F;a&#x0364;gliche Ang&#x017F;t<lb/>
und Unruhe gehabt, &#x017F;owohl wenn ich gegeben,<lb/>
als wenn ich nicht gegeben, weil ich das Gebot<lb/>
GOttes mit dem Verbot der Obrigkeit nicht<lb/>
vereinigen ko&#x0364;nnen. Der &#x017F;oll mir einen großen<lb/>
Gefallen erzeigen, der die&#x017F;e Sache unter&#x017F;uchen,<lb/>
und mir &#x017F;eine Gedancken ero&#x0364;ffnen wird. Mei-<lb/>
nes Erachtens wa&#x0364;re es gut, wenn die Obrigkei-<lb/>
ten bey den Bettler-<hi rendition="#aq">Mandat</hi>en eine <hi rendition="#aq">Exception</hi><lb/>
machten, und den Reichen darinnen erlaubten, &#x017F;o<lb/>
offt die&#x017F;em und jenem Armen mitzutheilen, &#x017F;o offt<lb/>
&#x017F;ie durch &#x017F;tarcke Gru&#x0364;nde befinden wu&#x0364;rden, daß<lb/>
der Arme, den &#x017F;ie vor &#x017F;ich haben, ho&#x0364;ch&#x017F;t elend &#x017F;ey,<lb/>
und unter diejenigen ruchlo&#x017F;en und bo&#x0364;&#x017F;en nicht<lb/>
geho&#x0364;re, um welcher willen das Gebot ge&#x017F;tellet<lb/>
worden. Weil ich vermuthet, daß das der Sinn<lb/>
des Obrigkeitlichen Verbots &#x017F;ey, obgleich nicht<lb/>
alles &#x017F;o mit Worten ausgedru&#x0364;cket, &#x017F;o habe ich mich<lb/>
nach der Zeit nach &#x017F;olchem geachtet, und die&#x017F;en Un-<lb/>
ter&#x017F;cheid in acht genommen, und <hi rendition="#fr">GOtte zu geben<lb/>
getrachtet, was GOttes i&#x017F;t,</hi> und <hi rendition="#fr">der Obrig-<lb/>
keit zu geben, was der Obrigkeit i&#x017F;t.</hi></p>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">Anno</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[734/0780] er einem Bettler gegeben, mache mich ihrer Suͤnden mit theilhafftig. Denn wenn ihnen kein Menſch was gaͤbe, ſo wuͤrden ſie der Obrigkeit gehorſam ſeyn, und das Herumlauffen einſtellen. So dachte ich, und doch plagte mich auf der andern Seite GOttes ſein Wort, welches befiehlet, den Armen mitzu- theilen, ſo daß ich etliche mahl unſaͤgliche Angſt und Unruhe gehabt, ſowohl wenn ich gegeben, als wenn ich nicht gegeben, weil ich das Gebot GOttes mit dem Verbot der Obrigkeit nicht vereinigen koͤnnen. Der ſoll mir einen großen Gefallen erzeigen, der dieſe Sache unterſuchen, und mir ſeine Gedancken eroͤffnen wird. Mei- nes Erachtens waͤre es gut, wenn die Obrigkei- ten bey den Bettler-Mandaten eine Exception machten, und den Reichen darinnen erlaubten, ſo offt dieſem und jenem Armen mitzutheilen, ſo offt ſie durch ſtarcke Gruͤnde befinden wuͤrden, daß der Arme, den ſie vor ſich haben, hoͤchſt elend ſey, und unter diejenigen ruchloſen und boͤſen nicht gehoͤre, um welcher willen das Gebot geſtellet worden. Weil ich vermuthet, daß das der Sinn des Obrigkeitlichen Verbots ſey, obgleich nicht alles ſo mit Worten ausgedruͤcket, ſo habe ich mich nach der Zeit nach ſolchem geachtet, und dieſen Un- terſcheid in acht genommen, und GOtte zu geben getrachtet, was GOttes iſt, und der Obrig- keit zu geben, was der Obrigkeit iſt. Anno

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/780
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 734. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/780>, abgerufen am 05.05.2024.