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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 89. Widersetzlichkeit gegen Beamte.
war eine Menge von Beispielen angeführt worden, bei denen in der
Praxis die Frage zweifelhaft geblieben. "Ein Exequendus setzt sich auf
den Koffer, den der Exekutor öffnen will, um Sachen daraus abzupfän-
den; ein andrer nimmt von dem Wagen, auf dem die abgepfändeten Sa-
chen fortgeschafft werden sollen, ein Rad ab; ein dritter verrammelt die
Hausthür, durch welche der Beamte zu ihm gelangen will; ein vierter
entreißt demselben das bereits in Beschlag genommene Stück aus der
Hand, oder vernichtet dasselbe vor seinen Augen; ein fünfter sucht sich
der persönlichen Verhaftung dadurch zu entziehen oder sie zu erschweren,
daß er sich zur Erde niederwirft oder einen Baum fest umklammert." x)

Dazu kam denn noch die, durch die Berücksichtigung des Rheini-
schen Rechts angeregte Frage, inwiefern die Widersetzlichkeit gegen Be-
amte im Dienst eine Beleidigung derselben enthalte und als solche zu
bestrafen sei. y)

Bei der Revision hielt man nun den Gesichtspunkt konsequent fest,
daß der bloß passive Widerstand straflos sei; im Uebrigen wurde in den
einzelnen Vorschriften sehr gewechselt, und auf den "thätlichen" Wider-
stand ein besonderes Gewicht gelegt. Der Entwurf von 1847. erhielt
mit Rücksicht auf die inzwischen erhobenen Monita. z) folgende Fassung:

§. 118. "Wer die Vollziehung obrigkeitlicher Anordnungen da-
durch zu verhindern sucht, daß er sich an den mit der Vollziehung be-
auftragten Personen oder an denjenigen, welche zu deren Beistande zu-
gezogen worden sind, vergreift oder dieselben mit Thätlichkeiten bedrohet,
ingleichen wer obrigkeitliche Personen durch Gewalt oder Drohungen zu
einer Amtshandlung zu nöthigen sucht, soll mit Gefängniß nicht unter
Einem Monate oder mit Strafarbeit bis zu vier Jahren bestraft werden."

§. 119. "Wer die Vollziehung obrigkeitlicher Anordnungen durch
thätliche Widersetzlichkeit, aber ohne Anwendung von Gewaltthätigkeiten
gegen Personen und ohne Drohung, zu verhindern sucht, soll mit Ge-
fängnißstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldbuße bis zu funfzig
Thalern bestraft werden."

§. 120. "Die Strafbestimmungen über den Widerstand gegen die
Obrigkeit (§§. 118. 119.) finden auch Anwendung auf Widersetzlichkeit
gegen Schildwachen und kommandirte Militairpersonen."

Aus diesen Bestimmungen ist, unter Ausscheidung des in §. 90.
vorgesehenen Falls, der §. 89. des Strafgesetzbuchs hervorgegangen.

I. Es handelt sich hier von der Widersetzlichkeit gegen Beamte,

x) Motive zum ersten Entwurf. II. S. 76-80.
y) Code penal. Art. 222-33. Revision von 1845. II. S. 51.
z) Revision a. a. O. S. 50-53. -- Verhandlungen der Staats-
raths-Kommission von
1846. S. 64.

§. 89. Widerſetzlichkeit gegen Beamte.
war eine Menge von Beiſpielen angeführt worden, bei denen in der
Praxis die Frage zweifelhaft geblieben. „Ein Exequendus ſetzt ſich auf
den Koffer, den der Exekutor öffnen will, um Sachen daraus abzupfän-
den; ein andrer nimmt von dem Wagen, auf dem die abgepfändeten Sa-
chen fortgeſchafft werden ſollen, ein Rad ab; ein dritter verrammelt die
Hausthür, durch welche der Beamte zu ihm gelangen will; ein vierter
entreißt demſelben das bereits in Beſchlag genommene Stück aus der
Hand, oder vernichtet daſſelbe vor ſeinen Augen; ein fünfter ſucht ſich
der perſönlichen Verhaftung dadurch zu entziehen oder ſie zu erſchweren,
daß er ſich zur Erde niederwirft oder einen Baum feſt umklammert.“ x)

Dazu kam denn noch die, durch die Berückſichtigung des Rheini-
ſchen Rechts angeregte Frage, inwiefern die Widerſetzlichkeit gegen Be-
amte im Dienſt eine Beleidigung derſelben enthalte und als ſolche zu
beſtrafen ſei. y)

Bei der Reviſion hielt man nun den Geſichtspunkt konſequent feſt,
daß der bloß paſſive Widerſtand ſtraflos ſei; im Uebrigen wurde in den
einzelnen Vorſchriften ſehr gewechſelt, und auf den „thätlichen“ Wider-
ſtand ein beſonderes Gewicht gelegt. Der Entwurf von 1847. erhielt
mit Rückſicht auf die inzwiſchen erhobenen Monita. z) folgende Faſſung:

§. 118. „Wer die Vollziehung obrigkeitlicher Anordnungen da-
durch zu verhindern ſucht, daß er ſich an den mit der Vollziehung be-
auftragten Perſonen oder an denjenigen, welche zu deren Beiſtande zu-
gezogen worden ſind, vergreift oder dieſelben mit Thätlichkeiten bedrohet,
ingleichen wer obrigkeitliche Perſonen durch Gewalt oder Drohungen zu
einer Amtshandlung zu nöthigen ſucht, ſoll mit Gefängniß nicht unter
Einem Monate oder mit Strafarbeit bis zu vier Jahren beſtraft werden.“

§. 119. „Wer die Vollziehung obrigkeitlicher Anordnungen durch
thätliche Widerſetzlichkeit, aber ohne Anwendung von Gewaltthätigkeiten
gegen Perſonen und ohne Drohung, zu verhindern ſucht, ſoll mit Ge-
fängnißſtrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldbuße bis zu funfzig
Thalern beſtraft werden.“

§. 120. „Die Strafbeſtimmungen über den Widerſtand gegen die
Obrigkeit (§§. 118. 119.) finden auch Anwendung auf Widerſetzlichkeit
gegen Schildwachen und kommandirte Militairperſonen.“

Aus dieſen Beſtimmungen iſt, unter Ausſcheidung des in §. 90.
vorgeſehenen Falls, der §. 89. des Strafgeſetzbuchs hervorgegangen.

I. Es handelt ſich hier von der Widerſetzlichkeit gegen Beamte,

x) Motive zum erſten Entwurf. II. S. 76-80.
y) Code pénal. Art. 222-33. Reviſion von 1845. II. S. 51.
z) Reviſion a. a. O. S. 50-53. — Verhandlungen der Staats-
raths-Kommiſſion von
1846. S. 64.
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[255/0265] §. 89. Widerſetzlichkeit gegen Beamte. war eine Menge von Beiſpielen angeführt worden, bei denen in der Praxis die Frage zweifelhaft geblieben. „Ein Exequendus ſetzt ſich auf den Koffer, den der Exekutor öffnen will, um Sachen daraus abzupfän- den; ein andrer nimmt von dem Wagen, auf dem die abgepfändeten Sa- chen fortgeſchafft werden ſollen, ein Rad ab; ein dritter verrammelt die Hausthür, durch welche der Beamte zu ihm gelangen will; ein vierter entreißt demſelben das bereits in Beſchlag genommene Stück aus der Hand, oder vernichtet daſſelbe vor ſeinen Augen; ein fünfter ſucht ſich der perſönlichen Verhaftung dadurch zu entziehen oder ſie zu erſchweren, daß er ſich zur Erde niederwirft oder einen Baum feſt umklammert.“ x) Dazu kam denn noch die, durch die Berückſichtigung des Rheini- ſchen Rechts angeregte Frage, inwiefern die Widerſetzlichkeit gegen Be- amte im Dienſt eine Beleidigung derſelben enthalte und als ſolche zu beſtrafen ſei. y) Bei der Reviſion hielt man nun den Geſichtspunkt konſequent feſt, daß der bloß paſſive Widerſtand ſtraflos ſei; im Uebrigen wurde in den einzelnen Vorſchriften ſehr gewechſelt, und auf den „thätlichen“ Wider- ſtand ein beſonderes Gewicht gelegt. Der Entwurf von 1847. erhielt mit Rückſicht auf die inzwiſchen erhobenen Monita. z) folgende Faſſung: §. 118. „Wer die Vollziehung obrigkeitlicher Anordnungen da- durch zu verhindern ſucht, daß er ſich an den mit der Vollziehung be- auftragten Perſonen oder an denjenigen, welche zu deren Beiſtande zu- gezogen worden ſind, vergreift oder dieſelben mit Thätlichkeiten bedrohet, ingleichen wer obrigkeitliche Perſonen durch Gewalt oder Drohungen zu einer Amtshandlung zu nöthigen ſucht, ſoll mit Gefängniß nicht unter Einem Monate oder mit Strafarbeit bis zu vier Jahren beſtraft werden.“ §. 119. „Wer die Vollziehung obrigkeitlicher Anordnungen durch thätliche Widerſetzlichkeit, aber ohne Anwendung von Gewaltthätigkeiten gegen Perſonen und ohne Drohung, zu verhindern ſucht, ſoll mit Ge- fängnißſtrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldbuße bis zu funfzig Thalern beſtraft werden.“ §. 120. „Die Strafbeſtimmungen über den Widerſtand gegen die Obrigkeit (§§. 118. 119.) finden auch Anwendung auf Widerſetzlichkeit gegen Schildwachen und kommandirte Militairperſonen.“ Aus dieſen Beſtimmungen iſt, unter Ausſcheidung des in §. 90. vorgeſehenen Falls, der §. 89. des Strafgeſetzbuchs hervorgegangen. I. Es handelt ſich hier von der Widerſetzlichkeit gegen Beamte, x) Motive zum erſten Entwurf. II. S. 76-80. y) Code pénal. Art. 222-33. Reviſion von 1845. II. S. 51. z) Reviſion a. a. O. S. 50-53. — Verhandlungen der Staats- raths-Kommiſſion von 1846. S. 64.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/265>, abgerufen am 30.04.2024.