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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XVIII. Diebstahl u. Unterschlagung.

4) wenn eine Person, welche für Lohn oder Kost dient, den Diebstahl
gegen ihre Herrschaft oder gegen einen Dritten verübt, welcher sich in
der Wohnung der Herrschaft befindet; ingleichen wenn ein Arbeiter,
Geselle oder Lehrling den Diebstahl in der Wohnung, der Werkstätte
oder dem Waarenlager des Meisters oder Arbeitgebers begeht, oder
wenn eine Person, welche in einer Wohnung gewöhnlich arbeitet, in
dieser Wohnung stiehlt;
wenn ein Gastwirth oder ein Dienstbote desselben Sachen eines auf-
genommenen Gastes, oder wenn ein aufgenommener Gast in dem Gast-
hause stiehlt.

Wird festgestellt, daß mildernde Umstände vorhanden sind, so kann die
Strafe bis auf vierzehn Tage Gefängniß ermäßigt werden.



Bei der Feststellung der Strafe für den einfachen Diebstahl kam
es wiederholt zur Erörterung, ob nicht der Unterschied, welcher bisher
nach dem Werth der entwendeten Sache zwischen dem großen und dem
kleinen Diebstahl gemacht worden, beizubehalten sei. Der Entwurf von
1830. §. 338. 339. hatte dieß vorgeschlagen, aber sowohl die Staats-
raths-Kommission als auch der Staatsrath erklärten sich dagegen, letz-
terer mit 33. gegen 7. Stimmen. Man ging dabei von der Ansicht
aus, daß der Werth der gestohlenen Sache, dessen Feststellung schon mit
manchen Schwierigkeiten verbunden sei, nicht als ein sicherer Maaßstab
für den Grad der Verschuldung und daher für die Strafzumessung an-
gesehen werden könne. Wer einem armen Tagelöhner seinen Spar-
pfennig stehle, begehe eine schlechtere Handlung, als wer dem reichen
Manne eine beträchtliche Summe entwende; es sei nöthig, durch strenge
Strafsatzungen in dem einen wie dem andern Fall den Ernst des Ge-
setzgebers gegen die Eigenthumsverletzung geltend zu machen. Die nur
polizeiliche Ahndung kleinerer Diebstähle lasse dieselben als unbedeutende
Vergehen erscheinen, und stumpfe das Rechtsgefühl des Volkes ab.
Man lege freilich ein besonderes Gewicht darauf, daß das schnelle und
einfache Verfahren vor dem Einzelrichter große Vortheile mit sich bringe,
und die Geschäftslast der Gerichte erleichtere. Aber theils ergebe sich
daraus nur die Nothwendigkeit einer allgemeinen Reform des Gerichts-
wesens, theils frage es sich, ob die Berücksichtigung solcher Nützlichkeits-
gründe den höheren Anforderungen der Gerechtigkeit entspreche. Wer
wegen Diebstahls vor Gericht gestellt sei, und von dem Urtheilsspruch
die Entscheidung über seine künftige Stellung in der bürgerlichen Ge-
sellschaft erwarte, der habe einen Anspruch auf Garantien des Verfah-
rens, welche die summarische, polizeimäßige Verhandlung der Sache
nicht gewähre.

f)
f) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. III.
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XVIII. Diebſtahl u. Unterſchlagung.

4) wenn eine Perſon, welche für Lohn oder Koſt dient, den Diebſtahl
gegen ihre Herrſchaft oder gegen einen Dritten verübt, welcher ſich in
der Wohnung der Herrſchaft befindet; ingleichen wenn ein Arbeiter,
Geſelle oder Lehrling den Diebſtahl in der Wohnung, der Werkſtätte
oder dem Waarenlager des Meiſters oder Arbeitgebers begeht, oder
wenn eine Perſon, welche in einer Wohnung gewöhnlich arbeitet, in
dieſer Wohnung ſtiehlt;
wenn ein Gaſtwirth oder ein Dienſtbote deſſelben Sachen eines auf-
genommenen Gaſtes, oder wenn ein aufgenommener Gaſt in dem Gaſt-
hauſe ſtiehlt.

Wird feſtgeſtellt, daß mildernde Umſtände vorhanden ſind, ſo kann die
Strafe bis auf vierzehn Tage Gefängniß ermäßigt werden.



Bei der Feſtſtellung der Strafe für den einfachen Diebſtahl kam
es wiederholt zur Erörterung, ob nicht der Unterſchied, welcher bisher
nach dem Werth der entwendeten Sache zwiſchen dem großen und dem
kleinen Diebſtahl gemacht worden, beizubehalten ſei. Der Entwurf von
1830. §. 338. 339. hatte dieß vorgeſchlagen, aber ſowohl die Staats-
raths-Kommiſſion als auch der Staatsrath erklärten ſich dagegen, letz-
terer mit 33. gegen 7. Stimmen. Man ging dabei von der Anſicht
aus, daß der Werth der geſtohlenen Sache, deſſen Feſtſtellung ſchon mit
manchen Schwierigkeiten verbunden ſei, nicht als ein ſicherer Maaßſtab
für den Grad der Verſchuldung und daher für die Strafzumeſſung an-
geſehen werden könne. Wer einem armen Tagelöhner ſeinen Spar-
pfennig ſtehle, begehe eine ſchlechtere Handlung, als wer dem reichen
Manne eine beträchtliche Summe entwende; es ſei nöthig, durch ſtrenge
Strafſatzungen in dem einen wie dem andern Fall den Ernſt des Ge-
ſetzgebers gegen die Eigenthumsverletzung geltend zu machen. Die nur
polizeiliche Ahndung kleinerer Diebſtähle laſſe dieſelben als unbedeutende
Vergehen erſcheinen, und ſtumpfe das Rechtsgefühl des Volkes ab.
Man lege freilich ein beſonderes Gewicht darauf, daß das ſchnelle und
einfache Verfahren vor dem Einzelrichter große Vortheile mit ſich bringe,
und die Geſchäftslaſt der Gerichte erleichtere. Aber theils ergebe ſich
daraus nur die Nothwendigkeit einer allgemeinen Reform des Gerichts-
weſens, theils frage es ſich, ob die Berückſichtigung ſolcher Nützlichkeits-
gründe den höheren Anforderungen der Gerechtigkeit entſpreche. Wer
wegen Diebſtahls vor Gericht geſtellt ſei, und von dem Urtheilsſpruch
die Entſcheidung über ſeine künftige Stellung in der bürgerlichen Ge-
ſellſchaft erwarte, der habe einen Anſpruch auf Garantien des Verfah-
rens, welche die ſummariſche, polizeimäßige Verhandlung der Sache
nicht gewähre.

f)
f) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. III.
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[412/0422] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XVIII. Diebſtahl u. Unterſchlagung. 4) wenn eine Perſon, welche für Lohn oder Koſt dient, den Diebſtahl gegen ihre Herrſchaft oder gegen einen Dritten verübt, welcher ſich in der Wohnung der Herrſchaft befindet; ingleichen wenn ein Arbeiter, Geſelle oder Lehrling den Diebſtahl in der Wohnung, der Werkſtätte oder dem Waarenlager des Meiſters oder Arbeitgebers begeht, oder wenn eine Perſon, welche in einer Wohnung gewöhnlich arbeitet, in dieſer Wohnung ſtiehlt; wenn ein Gaſtwirth oder ein Dienſtbote deſſelben Sachen eines auf- genommenen Gaſtes, oder wenn ein aufgenommener Gaſt in dem Gaſt- hauſe ſtiehlt. Wird feſtgeſtellt, daß mildernde Umſtände vorhanden ſind, ſo kann die Strafe bis auf vierzehn Tage Gefängniß ermäßigt werden. Bei der Feſtſtellung der Strafe für den einfachen Diebſtahl kam es wiederholt zur Erörterung, ob nicht der Unterſchied, welcher bisher nach dem Werth der entwendeten Sache zwiſchen dem großen und dem kleinen Diebſtahl gemacht worden, beizubehalten ſei. Der Entwurf von 1830. §. 338. 339. hatte dieß vorgeſchlagen, aber ſowohl die Staats- raths-Kommiſſion als auch der Staatsrath erklärten ſich dagegen, letz- terer mit 33. gegen 7. Stimmen. Man ging dabei von der Anſicht aus, daß der Werth der geſtohlenen Sache, deſſen Feſtſtellung ſchon mit manchen Schwierigkeiten verbunden ſei, nicht als ein ſicherer Maaßſtab für den Grad der Verſchuldung und daher für die Strafzumeſſung an- geſehen werden könne. Wer einem armen Tagelöhner ſeinen Spar- pfennig ſtehle, begehe eine ſchlechtere Handlung, als wer dem reichen Manne eine beträchtliche Summe entwende; es ſei nöthig, durch ſtrenge Strafſatzungen in dem einen wie dem andern Fall den Ernſt des Ge- ſetzgebers gegen die Eigenthumsverletzung geltend zu machen. Die nur polizeiliche Ahndung kleinerer Diebſtähle laſſe dieſelben als unbedeutende Vergehen erſcheinen, und ſtumpfe das Rechtsgefühl des Volkes ab. Man lege freilich ein beſonderes Gewicht darauf, daß das ſchnelle und einfache Verfahren vor dem Einzelrichter große Vortheile mit ſich bringe, und die Geſchäftslaſt der Gerichte erleichtere. Aber theils ergebe ſich daraus nur die Nothwendigkeit einer allgemeinen Reform des Gerichts- weſens, theils frage es ſich, ob die Berückſichtigung ſolcher Nützlichkeits- gründe den höheren Anforderungen der Gerechtigkeit entſpreche. Wer wegen Diebſtahls vor Gericht geſtellt ſei, und von dem Urtheilsſpruch die Entſcheidung über ſeine künftige Stellung in der bürgerlichen Ge- ſellſchaft erwarte, der habe einen Anſpruch auf Garantien des Verfah- rens, welche die ſummariſche, polizeimäßige Verhandlung der Sache nicht gewähre. f) f) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. III.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/422>, abgerufen am 28.04.2024.