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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Feststellung des Gegenstandes.
selbständiges Daseyn führt*). In diesem Sinn ist das Volk
nicht der Regierung gegenübergestellt als Inbegriff der Ge-
horchenden, der Unterthanen; es umschließt auch die Regie-
rung, nur nicht als solche, sondern in ihren einzelnen Trä-
gern, welche auch die Genossen der Gesammtheit sind. Dahin
gehört selbst der Souverain und das regierende Haus, wie denn
ja auch der hohe Adel deutscher Nation, zu dem die deutschen
Souveraine auch jetzt noch in gewisser Beziehung zu rechnen
sind, einen eigenen Stand ausmacht und ein besonderes Stan-
desrecht gebildet hat, ohne deswegen jedes allgemeineren Ein-
flusses auf die Rechtsbildung beraubt gewesen zu seyn. --
Das Volk führt aber nicht bloß in der Gesammtheit ein selb-
ständiges Leben, und bewährt bloß darin seine rechtsbildende
Kraft; sondern es tritt uns in demselben ein geordneter Orga-
nismus entgegen, in dem sich das Ganze wieder nach engeren
Kreisen abtheilt, welche, obgleich von jenem bestimmt und um-
schlossen, doch auch für sich ein eigenthümliches Leben führen.
Diese engeren Kreise des Volksorganismus sind nun entweder
auf dem Wege der unbewußten, naturgemäßen Entwicklung
entstanden, wie die Theilung des Volkes nach Stämmen,
Ständen und meistens auch nach Corporationen; oder es ist
in Folge bewußter That oder zufälliger Ereignisse eine äußere
Abgrenzung der Theile entstanden, welche auch wiederum auf
deren besondere Ausbildung von Einfluß seyn kann. Dahin
gehört die politische Zerlegung eines Volkes nach der Abgren-
zung des Staatsgebietes in Territorien, Provinzen, Kreise
u. s. w. zum Theil auch in Gemeinden, insofern diese nicht
genossenschaftlich sich entwickelt haben. Das Volksrecht bildet

*) Vgl. v. Savigny, System I. S. 30.
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Feſtſtellung des Gegenſtandes.
ſelbſtaͤndiges Daſeyn fuͤhrt*). In dieſem Sinn iſt das Volk
nicht der Regierung gegenuͤbergeſtellt als Inbegriff der Ge-
horchenden, der Unterthanen; es umſchließt auch die Regie-
rung, nur nicht als ſolche, ſondern in ihren einzelnen Traͤ-
gern, welche auch die Genoſſen der Geſammtheit ſind. Dahin
gehoͤrt ſelbſt der Souverain und das regierende Haus, wie denn
ja auch der hohe Adel deutſcher Nation, zu dem die deutſchen
Souveraine auch jetzt noch in gewiſſer Beziehung zu rechnen
ſind, einen eigenen Stand ausmacht und ein beſonderes Stan-
desrecht gebildet hat, ohne deswegen jedes allgemeineren Ein-
fluſſes auf die Rechtsbildung beraubt geweſen zu ſeyn. —
Das Volk fuͤhrt aber nicht bloß in der Geſammtheit ein ſelb-
ſtaͤndiges Leben, und bewaͤhrt bloß darin ſeine rechtsbildende
Kraft; ſondern es tritt uns in demſelben ein geordneter Orga-
nismus entgegen, in dem ſich das Ganze wieder nach engeren
Kreiſen abtheilt, welche, obgleich von jenem beſtimmt und um-
ſchloſſen, doch auch fuͤr ſich ein eigenthuͤmliches Leben fuͤhren.
Dieſe engeren Kreiſe des Volksorganismus ſind nun entweder
auf dem Wege der unbewußten, naturgemaͤßen Entwicklung
entſtanden, wie die Theilung des Volkes nach Staͤmmen,
Staͤnden und meiſtens auch nach Corporationen; oder es iſt
in Folge bewußter That oder zufaͤlliger Ereigniſſe eine aͤußere
Abgrenzung der Theile entſtanden, welche auch wiederum auf
deren beſondere Ausbildung von Einfluß ſeyn kann. Dahin
gehoͤrt die politiſche Zerlegung eines Volkes nach der Abgren-
zung des Staatsgebietes in Territorien, Provinzen, Kreiſe
u. ſ. w. zum Theil auch in Gemeinden, inſofern dieſe nicht
genoſſenſchaftlich ſich entwickelt haben. Das Volksrecht bildet

*) Vgl. v. Savigny, Syſtem I. S. 30.
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[83/0095] Feſtſtellung des Gegenſtandes. ſelbſtaͤndiges Daſeyn fuͤhrt *). In dieſem Sinn iſt das Volk nicht der Regierung gegenuͤbergeſtellt als Inbegriff der Ge- horchenden, der Unterthanen; es umſchließt auch die Regie- rung, nur nicht als ſolche, ſondern in ihren einzelnen Traͤ- gern, welche auch die Genoſſen der Geſammtheit ſind. Dahin gehoͤrt ſelbſt der Souverain und das regierende Haus, wie denn ja auch der hohe Adel deutſcher Nation, zu dem die deutſchen Souveraine auch jetzt noch in gewiſſer Beziehung zu rechnen ſind, einen eigenen Stand ausmacht und ein beſonderes Stan- desrecht gebildet hat, ohne deswegen jedes allgemeineren Ein- fluſſes auf die Rechtsbildung beraubt geweſen zu ſeyn. — Das Volk fuͤhrt aber nicht bloß in der Geſammtheit ein ſelb- ſtaͤndiges Leben, und bewaͤhrt bloß darin ſeine rechtsbildende Kraft; ſondern es tritt uns in demſelben ein geordneter Orga- nismus entgegen, in dem ſich das Ganze wieder nach engeren Kreiſen abtheilt, welche, obgleich von jenem beſtimmt und um- ſchloſſen, doch auch fuͤr ſich ein eigenthuͤmliches Leben fuͤhren. Dieſe engeren Kreiſe des Volksorganismus ſind nun entweder auf dem Wege der unbewußten, naturgemaͤßen Entwicklung entſtanden, wie die Theilung des Volkes nach Staͤmmen, Staͤnden und meiſtens auch nach Corporationen; oder es iſt in Folge bewußter That oder zufaͤlliger Ereigniſſe eine aͤußere Abgrenzung der Theile entſtanden, welche auch wiederum auf deren beſondere Ausbildung von Einfluß ſeyn kann. Dahin gehoͤrt die politiſche Zerlegung eines Volkes nach der Abgren- zung des Staatsgebietes in Territorien, Provinzen, Kreiſe u. ſ. w. zum Theil auch in Gemeinden, inſofern dieſe nicht genoſſenſchaftlich ſich entwickelt haben. Das Volksrecht bildet *) Vgl. v. Savigny, Syſtem I. S. 30. 6*

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/95>, abgerufen am 28.04.2024.