Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Feststellung des Gegenstandes.
die Berechtigung zu einer solchen Machtvollkommenheit nicht
hergeleitet werden darf.

Von dieser Ansicht weicht freilich eine andere ganz und
gar ab, welche namentlich von Puchta ausgeführt, im We-
sentlichen auch von Savigny gebilligt worden ist, und die,
wie schon bemerkt worden, darauf beruht, daß das Juristen-
recht eine Fortführung des Volksrechts sey.

"Wir haben also," sagt Puchta (Gewohnheitsrecht II.
S. 20) "eine doppelte Art des auf die unmittelbare Volks-
überzeugung gegründeten Rechts zu unterscheiden. Ein
Gewohnheitsrecht ist vorhanden, nicht bloß wenn der Uebung
eines Satzes 1) eine gemeinsame Ueberzeugung der Volks-
glieder überhaupt, sondern auch wenn ihr 2) eine solche
der Rechtskundigen, der Juristen als Vertreter des Volks
zu Grunde liegt." -- --

Daher soll auch das Juristenrecht nur insofern, als sich
darin wirklich eine Repräsentation des Volksgeistes, der sich
unter andern Verhältnissen als unmittelbares Volksrecht gel-
tend machen würde, ausspricht, einen Anspruch auf positive
Geltung haben. Ich muß es vorläufig dem Leser überlassen,
in der angeführten Schrift von Puchta selbst nachzusehen, wie
er das deutsche Juristenrecht von diesem Standpuncte aus zu
rechtfertigen gesucht hat, und empfehle in dieser Beziehung na-
mentlich das vierte Buch: "Von der Gewohnheit im öffentli-
chen und im Kirchenrechte" -- zum Nachlesen. Besonders
bezeichnend ist aber die Art, wie der Fall behandelt wird, wenn
ein Irrthum der Juristen die Veranlassung eines Rechtssatzes
geworden ist, -- worauf sich etwa auch die Reception des rö-
mischen Rechts in Deutschland zurückführen ließe. Daran
denkt Puchta nun freilich nicht; seine Beispiele sind bescheide-

Feſtſtellung des Gegenſtandes.
die Berechtigung zu einer ſolchen Machtvollkommenheit nicht
hergeleitet werden darf.

Von dieſer Anſicht weicht freilich eine andere ganz und
gar ab, welche namentlich von Puchta ausgefuͤhrt, im We-
ſentlichen auch von Savigny gebilligt worden iſt, und die,
wie ſchon bemerkt worden, darauf beruht, daß das Juriſten-
recht eine Fortfuͤhrung des Volksrechts ſey.

„Wir haben alſo,“ ſagt Puchta (Gewohnheitsrecht II.
S. 20) „eine doppelte Art des auf die unmittelbare Volks-
uͤberzeugung gegruͤndeten Rechts zu unterſcheiden. Ein
Gewohnheitsrecht iſt vorhanden, nicht bloß wenn der Uebung
eines Satzes 1) eine gemeinſame Ueberzeugung der Volks-
glieder uͤberhaupt, ſondern auch wenn ihr 2) eine ſolche
der Rechtskundigen, der Juriſten als Vertreter des Volks
zu Grunde liegt.“ — —

Daher ſoll auch das Juriſtenrecht nur inſofern, als ſich
darin wirklich eine Repraͤſentation des Volksgeiſtes, der ſich
unter andern Verhaͤltniſſen als unmittelbares Volksrecht gel-
tend machen wuͤrde, ausſpricht, einen Anſpruch auf poſitive
Geltung haben. Ich muß es vorlaͤufig dem Leſer uͤberlaſſen,
in der angefuͤhrten Schrift von Puchta ſelbſt nachzuſehen, wie
er das deutſche Juriſtenrecht von dieſem Standpuncte aus zu
rechtfertigen geſucht hat, und empfehle in dieſer Beziehung na-
mentlich das vierte Buch: „Von der Gewohnheit im oͤffentli-
chen und im Kirchenrechte“ — zum Nachleſen. Beſonders
bezeichnend iſt aber die Art, wie der Fall behandelt wird, wenn
ein Irrthum der Juriſten die Veranlaſſung eines Rechtsſatzes
geworden iſt, — worauf ſich etwa auch die Reception des roͤ-
miſchen Rechts in Deutſchland zuruͤckfuͤhren ließe. Daran
denkt Puchta nun freilich nicht; ſeine Beiſpiele ſind beſcheide-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0101" n="89"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fe&#x017F;t&#x017F;tellung des Gegen&#x017F;tandes</hi>.</fw><lb/>
die Berechtigung zu einer &#x017F;olchen Machtvollkommenheit nicht<lb/>
hergeleitet werden darf.</p><lb/>
            <p>Von die&#x017F;er An&#x017F;icht weicht freilich eine andere ganz und<lb/>
gar ab, welche namentlich von Puchta ausgefu&#x0364;hrt, im We-<lb/>
&#x017F;entlichen auch von Savigny gebilligt worden i&#x017F;t, und die,<lb/>
wie &#x017F;chon bemerkt worden, darauf beruht, daß das Juri&#x017F;ten-<lb/>
recht eine Fortfu&#x0364;hrung des Volksrechts &#x017F;ey.</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">&#x201E;Wir haben al&#x017F;o,&#x201C; &#x017F;agt Puchta (Gewohnheitsrecht <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
S. 20) &#x201E;eine doppelte Art des auf die unmittelbare Volks-<lb/>
u&#x0364;berzeugung gegru&#x0364;ndeten Rechts zu unter&#x017F;cheiden. Ein<lb/>
Gewohnheitsrecht i&#x017F;t vorhanden, nicht bloß wenn der Uebung<lb/>
eines Satzes 1) eine gemein&#x017F;ame Ueberzeugung der Volks-<lb/>
glieder u&#x0364;berhaupt, &#x017F;ondern auch wenn ihr 2) eine &#x017F;olche<lb/>
der Rechtskundigen, der Juri&#x017F;ten als Vertreter des Volks<lb/>
zu Grunde liegt.&#x201C; &#x2014; &#x2014;</hi> </p><lb/>
            <p>Daher &#x017F;oll auch das Juri&#x017F;tenrecht nur in&#x017F;ofern, als &#x017F;ich<lb/>
darin wirklich eine Repra&#x0364;&#x017F;entation des Volksgei&#x017F;tes, der &#x017F;ich<lb/>
unter andern Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en als unmittelbares Volksrecht gel-<lb/>
tend machen wu&#x0364;rde, aus&#x017F;pricht, einen An&#x017F;pruch auf po&#x017F;itive<lb/>
Geltung haben. Ich muß es vorla&#x0364;ufig dem Le&#x017F;er u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
in der angefu&#x0364;hrten Schrift von Puchta &#x017F;elb&#x017F;t nachzu&#x017F;ehen, wie<lb/>
er das deut&#x017F;che Juri&#x017F;tenrecht von die&#x017F;em Standpuncte aus zu<lb/>
rechtfertigen ge&#x017F;ucht hat, und empfehle in die&#x017F;er Beziehung na-<lb/>
mentlich das vierte Buch: &#x201E;Von der Gewohnheit im o&#x0364;ffentli-<lb/>
chen und im Kirchenrechte&#x201C; &#x2014; zum Nachle&#x017F;en. Be&#x017F;onders<lb/>
bezeichnend i&#x017F;t aber die Art, wie der Fall behandelt wird, wenn<lb/>
ein Irrthum der Juri&#x017F;ten die Veranla&#x017F;&#x017F;ung eines Rechts&#x017F;atzes<lb/>
geworden i&#x017F;t, &#x2014; worauf &#x017F;ich etwa auch die Reception des ro&#x0364;-<lb/>
mi&#x017F;chen Rechts in Deut&#x017F;chland zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hren ließe. Daran<lb/>
denkt Puchta nun freilich nicht; &#x017F;eine Bei&#x017F;piele &#x017F;ind be&#x017F;cheide-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0101] Feſtſtellung des Gegenſtandes. die Berechtigung zu einer ſolchen Machtvollkommenheit nicht hergeleitet werden darf. Von dieſer Anſicht weicht freilich eine andere ganz und gar ab, welche namentlich von Puchta ausgefuͤhrt, im We- ſentlichen auch von Savigny gebilligt worden iſt, und die, wie ſchon bemerkt worden, darauf beruht, daß das Juriſten- recht eine Fortfuͤhrung des Volksrechts ſey. „Wir haben alſo,“ ſagt Puchta (Gewohnheitsrecht II. S. 20) „eine doppelte Art des auf die unmittelbare Volks- uͤberzeugung gegruͤndeten Rechts zu unterſcheiden. Ein Gewohnheitsrecht iſt vorhanden, nicht bloß wenn der Uebung eines Satzes 1) eine gemeinſame Ueberzeugung der Volks- glieder uͤberhaupt, ſondern auch wenn ihr 2) eine ſolche der Rechtskundigen, der Juriſten als Vertreter des Volks zu Grunde liegt.“ — — Daher ſoll auch das Juriſtenrecht nur inſofern, als ſich darin wirklich eine Repraͤſentation des Volksgeiſtes, der ſich unter andern Verhaͤltniſſen als unmittelbares Volksrecht gel- tend machen wuͤrde, ausſpricht, einen Anſpruch auf poſitive Geltung haben. Ich muß es vorlaͤufig dem Leſer uͤberlaſſen, in der angefuͤhrten Schrift von Puchta ſelbſt nachzuſehen, wie er das deutſche Juriſtenrecht von dieſem Standpuncte aus zu rechtfertigen geſucht hat, und empfehle in dieſer Beziehung na- mentlich das vierte Buch: „Von der Gewohnheit im oͤffentli- chen und im Kirchenrechte“ — zum Nachleſen. Beſonders bezeichnend iſt aber die Art, wie der Fall behandelt wird, wenn ein Irrthum der Juriſten die Veranlaſſung eines Rechtsſatzes geworden iſt, — worauf ſich etwa auch die Reception des roͤ- miſchen Rechts in Deutſchland zuruͤckfuͤhren ließe. Daran denkt Puchta nun freilich nicht; ſeine Beiſpiele ſind beſcheide-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/101
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/101>, abgerufen am 06.05.2024.