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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das gemeine Recht und seine Gegensätze.
denn eben vorliege; und dabei kann es denn auch wohl geschehen,
daß man, selbst wenn dieses festgestellt worden, noch im Zweifel
bleibt, nach welchen Grundsätzen dasselbe zu beurtheilen ist.
Diese Rechtsunsicherheit ist die unselige Folge unserer unter-
brochenen und verkümmerten Rechtsbildung; sie ist ein großes
Uebel und kann, zum Theil wenigstens, nur durch die Gesetz-
gebung gehoben werden. Aber es liegt darin kein Grund, der
Herrschaft des römischen Rechts eine Ausdehnung zu geben,
welche demselben nicht an und für sich nach der Stellung, die
es im heutigen Rechte einnimmt, gebührt; ein solches Verfahren
würde den Charakter der Willkühr an sich tragen, welche das
Uebel nur äußerlich verdeckte, und leicht zu den schlimmsten
Rechtswidrigkeiten führen könnte. -- Man wird also in einem
Fall, wo es zweifelhaft erscheint, ob das Güterrecht der Ehe-
gatten nach römischem oder deutschem Recht zu beurtheilen ist,
die Frage nicht so stellen dürfen: gilt hier das Dotalsystem
oder die Gütergemeinschaft? sondern man wird sie dahin for-
muliren müssen: welches Recht ist auf diesen Fall anzuwenden?
und nun näher zu untersuchen haben, ob es das reine römische
ist, oder irgend eine Form des deutschen Rechts oder etwa eine
Mischung von beidem, wie sie sich gerade auf diesem Gebiete
so häufig findet. Eben so hat man sich denn in ähnlichen
Fällen zu benehmen, z. B. bei dem bäuerlichen Güterrecht.
Nach Runde's Ansicht würde man auch bei der Erbpacht im
Zweifel für die römische Emphyteuse vermuthen müssen, und
das, glaube ich, wird der berühmte Bearbeiter unseres Bauern-
rechts selbst am Wenigsten gelten lassen wollen.

Ich fasse nun noch einmal das Ergebniß dieser Erörterung
kurz zusammen. Das Recht ist entweder gemeines oder par-
ticuläres (specielles) Recht, und jenes wieder Landrecht oder

Das gemeine Recht und ſeine Gegenſaͤtze.
denn eben vorliege; und dabei kann es denn auch wohl geſchehen,
daß man, ſelbſt wenn dieſes feſtgeſtellt worden, noch im Zweifel
bleibt, nach welchen Grundſaͤtzen daſſelbe zu beurtheilen iſt.
Dieſe Rechtsunſicherheit iſt die unſelige Folge unſerer unter-
brochenen und verkuͤmmerten Rechtsbildung; ſie iſt ein großes
Uebel und kann, zum Theil wenigſtens, nur durch die Geſetz-
gebung gehoben werden. Aber es liegt darin kein Grund, der
Herrſchaft des roͤmiſchen Rechts eine Ausdehnung zu geben,
welche demſelben nicht an und fuͤr ſich nach der Stellung, die
es im heutigen Rechte einnimmt, gebuͤhrt; ein ſolches Verfahren
wuͤrde den Charakter der Willkuͤhr an ſich tragen, welche das
Uebel nur aͤußerlich verdeckte, und leicht zu den ſchlimmſten
Rechtswidrigkeiten fuͤhren koͤnnte. — Man wird alſo in einem
Fall, wo es zweifelhaft erſcheint, ob das Guͤterrecht der Ehe-
gatten nach roͤmiſchem oder deutſchem Recht zu beurtheilen iſt,
die Frage nicht ſo ſtellen duͤrfen: gilt hier das Dotalſyſtem
oder die Guͤtergemeinſchaft? ſondern man wird ſie dahin for-
muliren muͤſſen: welches Recht iſt auf dieſen Fall anzuwenden?
und nun naͤher zu unterſuchen haben, ob es das reine roͤmiſche
iſt, oder irgend eine Form des deutſchen Rechts oder etwa eine
Miſchung von beidem, wie ſie ſich gerade auf dieſem Gebiete
ſo haͤufig findet. Eben ſo hat man ſich denn in aͤhnlichen
Faͤllen zu benehmen, z. B. bei dem baͤuerlichen Guͤterrecht.
Nach Runde’s Anſicht wuͤrde man auch bei der Erbpacht im
Zweifel fuͤr die roͤmiſche Emphyteuſe vermuthen muͤſſen, und
das, glaube ich, wird der beruͤhmte Bearbeiter unſeres Bauern-
rechts ſelbſt am Wenigſten gelten laſſen wollen.

Ich faſſe nun noch einmal das Ergebniß dieſer Eroͤrterung
kurz zuſammen. Das Recht iſt entweder gemeines oder par-
ticulaͤres (ſpecielles) Recht, und jenes wieder Landrecht oder

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[105/0117] Das gemeine Recht und ſeine Gegenſaͤtze. denn eben vorliege; und dabei kann es denn auch wohl geſchehen, daß man, ſelbſt wenn dieſes feſtgeſtellt worden, noch im Zweifel bleibt, nach welchen Grundſaͤtzen daſſelbe zu beurtheilen iſt. Dieſe Rechtsunſicherheit iſt die unſelige Folge unſerer unter- brochenen und verkuͤmmerten Rechtsbildung; ſie iſt ein großes Uebel und kann, zum Theil wenigſtens, nur durch die Geſetz- gebung gehoben werden. Aber es liegt darin kein Grund, der Herrſchaft des roͤmiſchen Rechts eine Ausdehnung zu geben, welche demſelben nicht an und fuͤr ſich nach der Stellung, die es im heutigen Rechte einnimmt, gebuͤhrt; ein ſolches Verfahren wuͤrde den Charakter der Willkuͤhr an ſich tragen, welche das Uebel nur aͤußerlich verdeckte, und leicht zu den ſchlimmſten Rechtswidrigkeiten fuͤhren koͤnnte. — Man wird alſo in einem Fall, wo es zweifelhaft erſcheint, ob das Guͤterrecht der Ehe- gatten nach roͤmiſchem oder deutſchem Recht zu beurtheilen iſt, die Frage nicht ſo ſtellen duͤrfen: gilt hier das Dotalſyſtem oder die Guͤtergemeinſchaft? ſondern man wird ſie dahin for- muliren muͤſſen: welches Recht iſt auf dieſen Fall anzuwenden? und nun naͤher zu unterſuchen haben, ob es das reine roͤmiſche iſt, oder irgend eine Form des deutſchen Rechts oder etwa eine Miſchung von beidem, wie ſie ſich gerade auf dieſem Gebiete ſo haͤufig findet. Eben ſo hat man ſich denn in aͤhnlichen Faͤllen zu benehmen, z. B. bei dem baͤuerlichen Guͤterrecht. Nach Runde’s Anſicht wuͤrde man auch bei der Erbpacht im Zweifel fuͤr die roͤmiſche Emphyteuſe vermuthen muͤſſen, und das, glaube ich, wird der beruͤhmte Bearbeiter unſeres Bauern- rechts ſelbſt am Wenigſten gelten laſſen wollen. Ich faſſe nun noch einmal das Ergebniß dieſer Eroͤrterung kurz zuſammen. Das Recht iſt entweder gemeines oder par- ticulaͤres (ſpecielles) Recht, und jenes wieder Landrecht oder

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/117>, abgerufen am 30.04.2024.