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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das Volksrecht als gemeines Landrecht.
dificationen erfahren, namentlich was die Form und die Voll-
streckung der letztwilligen Verfügungen anlangt, und zwar ur-
sprünglich durch die Einwirkung des Volksrechts, an dessen
Stelle aber bald die Theorie der Juristen trat.

Im Sachenrecht ist, namentlich für das Recht der
Immobilien, noch Manches aus der älteren deutschen Rechts-
anschauung übrig geblieben, sowohl in Beziehung auf den ei-
gentlichen Begriff der Gewere als auch rücksichtlich der Art
ihrer Bestellung. Was das Erstere betrifft, so erinnere ich
nur an die Nachbarverhältnisse der Grundbesitzer, an das Recht
der Selbsthülfe gegen Beschädigung, namentlich durch fremdes
Vieh, vermöge der Pfändung; in Beziehung aber auf die Er-
langung einer Gewere oder, nach jetzigem Sprachgebrauch, ei-
nes dinglichen Rechts an Immobilien, ist vor Allem als ein
wichtiges, dem alten Volksrecht entlehntes Institut die Auf-
lassung
in ihrer modernen Gestaltung hierher zu rechnen,
indem sie das Recht des Grundbesitzes an den meisten Orten
beherrscht, und namentlich, wie früher gezeigt worden, für die
neueren, auf der sogenannten Publicität und Specialität ge-
bauten Hypothekenordnungen den einzigen gemeinrechtlichen
Anhalt gewährt. Dadurch ist denn auch ein Ersatz geboten
für den, seit dem 17. Jahrhundert durch das zinsbare Dar-
lehn fast ganz verdrängten deutschrechtlichen Rentenkauf, wenig-
stens insofern, als die bei dem letzteren Geschäft sofort mit der
Constitunung der Rente gesetzte dingliche Sicherheit durch die in
foro rei sitae
bestellte öffentliche Hypothek wiedergegeben ist. Der
andere Punct freilich, wo Rentenkauf und Darlehn sich scheiden,
nämlich die größere Unabhängigkeit des Schuldners und fol-
geweise des Grundbesitzers, welche durch die Unkündbarkeit der
Rente von Seiten des Kapitalisten herbeigeführt ward, ist

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Das Volksrecht als gemeines Landrecht.
dificationen erfahren, namentlich was die Form und die Voll-
ſtreckung der letztwilligen Verfuͤgungen anlangt, und zwar ur-
ſpruͤnglich durch die Einwirkung des Volksrechts, an deſſen
Stelle aber bald die Theorie der Juriſten trat.

Im Sachenrecht iſt, namentlich fuͤr das Recht der
Immobilien, noch Manches aus der aͤlteren deutſchen Rechts-
anſchauung uͤbrig geblieben, ſowohl in Beziehung auf den ei-
gentlichen Begriff der Gewere als auch ruͤckſichtlich der Art
ihrer Beſtellung. Was das Erſtere betrifft, ſo erinnere ich
nur an die Nachbarverhaͤltniſſe der Grundbeſitzer, an das Recht
der Selbſthuͤlfe gegen Beſchaͤdigung, namentlich durch fremdes
Vieh, vermoͤge der Pfaͤndung; in Beziehung aber auf die Er-
langung einer Gewere oder, nach jetzigem Sprachgebrauch, ei-
nes dinglichen Rechts an Immobilien, iſt vor Allem als ein
wichtiges, dem alten Volksrecht entlehntes Inſtitut die Auf-
laſſung
in ihrer modernen Geſtaltung hierher zu rechnen,
indem ſie das Recht des Grundbeſitzes an den meiſten Orten
beherrſcht, und namentlich, wie fruͤher gezeigt worden, fuͤr die
neueren, auf der ſogenannten Publicitaͤt und Specialitaͤt ge-
bauten Hypothekenordnungen den einzigen gemeinrechtlichen
Anhalt gewaͤhrt. Dadurch iſt denn auch ein Erſatz geboten
fuͤr den, ſeit dem 17. Jahrhundert durch das zinsbare Dar-
lehn faſt ganz verdraͤngten deutſchrechtlichen Rentenkauf, wenig-
ſtens inſofern, als die bei dem letzteren Geſchaͤft ſofort mit der
Conſtitunung der Rente geſetzte dingliche Sicherheit durch die in
foro rei sitae
beſtellte oͤffentliche Hypothek wiedergegeben iſt. Der
andere Punct freilich, wo Rentenkauf und Darlehn ſich ſcheiden,
naͤmlich die groͤßere Unabhaͤngigkeit des Schuldners und fol-
geweiſe des Grundbeſitzers, welche durch die Unkuͤndbarkeit der
Rente von Seiten des Kapitaliſten herbeigefuͤhrt ward, iſt

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[147/0159] Das Volksrecht als gemeines Landrecht. dificationen erfahren, namentlich was die Form und die Voll- ſtreckung der letztwilligen Verfuͤgungen anlangt, und zwar ur- ſpruͤnglich durch die Einwirkung des Volksrechts, an deſſen Stelle aber bald die Theorie der Juriſten trat. Im Sachenrecht iſt, namentlich fuͤr das Recht der Immobilien, noch Manches aus der aͤlteren deutſchen Rechts- anſchauung uͤbrig geblieben, ſowohl in Beziehung auf den ei- gentlichen Begriff der Gewere als auch ruͤckſichtlich der Art ihrer Beſtellung. Was das Erſtere betrifft, ſo erinnere ich nur an die Nachbarverhaͤltniſſe der Grundbeſitzer, an das Recht der Selbſthuͤlfe gegen Beſchaͤdigung, namentlich durch fremdes Vieh, vermoͤge der Pfaͤndung; in Beziehung aber auf die Er- langung einer Gewere oder, nach jetzigem Sprachgebrauch, ei- nes dinglichen Rechts an Immobilien, iſt vor Allem als ein wichtiges, dem alten Volksrecht entlehntes Inſtitut die Auf- laſſung in ihrer modernen Geſtaltung hierher zu rechnen, indem ſie das Recht des Grundbeſitzes an den meiſten Orten beherrſcht, und namentlich, wie fruͤher gezeigt worden, fuͤr die neueren, auf der ſogenannten Publicitaͤt und Specialitaͤt ge- bauten Hypothekenordnungen den einzigen gemeinrechtlichen Anhalt gewaͤhrt. Dadurch iſt denn auch ein Erſatz geboten fuͤr den, ſeit dem 17. Jahrhundert durch das zinsbare Dar- lehn faſt ganz verdraͤngten deutſchrechtlichen Rentenkauf, wenig- ſtens inſofern, als die bei dem letzteren Geſchaͤft ſofort mit der Conſtitunung der Rente geſetzte dingliche Sicherheit durch die in foro rei sitae beſtellte oͤffentliche Hypothek wiedergegeben iſt. Der andere Punct freilich, wo Rentenkauf und Darlehn ſich ſcheiden, naͤmlich die groͤßere Unabhaͤngigkeit des Schuldners und fol- geweiſe des Grundbeſitzers, welche durch die Unkuͤndbarkeit der Rente von Seiten des Kapitaliſten herbeigefuͤhrt ward, iſt 10*

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/159>, abgerufen am 29.04.2024.